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Kolumne HenningwayDas Geheimnis der Isländer

Kolumne
von Henning Harnisch

„We believe we can do everything!“ Die Isländer sind ein kleines Volk, spielen aber international im Sport mit. Wie schaffen sie das?

Im Sommer werden die isländischen Fußballer wieder mit dabei sein. Die isländischen Basketballer hatten sich erstmals 2015 für eine Europameisterschaft qualifiziert Foto: reuters

W as ist die Steigerung von kahlen Bäumen? Keine Bäume. Island hat fast keine Bäume, aber umso mehr Vulkane, Geysire und Wasserfälle. Und knapp 340.000 Einwohner. Das ist ungefähr das Quantum Mensch von Wuppertal oder Bielefeld. Und dieses Island mit seinen wenigen Bürgerinnen und Bürgern qualifizierte sich für die vergangenen Europameisterschaften der Männer im Handball, im Fußball, im Basketball.

Wie machen die Isländer das? Was ist das Geheimnis für diesen sportlichen Erfolg? Mit diesen Fragen hatte mich Manfred, einer unserer hauptamtlichen Jugendtrainer bei Alba Berlin, überrascht. Manfred ist ein Traum von einem Jugendtrainer, weil er klug, lustig und auf eine angenehme Art ehrgeizig ist; und weil er öfter solche Fragen stellt. Manfred war im Rahmen der Ausbildung für Jugendtrainer der Basketballbundesliga zuvor schon beim FC Barcelona und dem THW Kiel, um zu hospitieren. Jetzt stellt er also die Islandfrage und meinte, da müsse er hin. Ich sage, Manfred, da muss ich mit.

Auf Island simulierten die US-Amerikaner in den 60er Jahren bereits die Landung auf dem Mond. Daran muss ich denken, als wir in der Gegend rund um Reykjavík ein paar Tage unterwegs sind, um den Präsidenten und den Sportdirektor des Basketballverbands sowie einige Trainer und Manager aus Handball und Fußball zu treffen. Beim allabendlichen Bier analysieren wir unsere Eindrücke. „We believe we can do everything!“, sagt uns etwa der Präsident des Basketballverbands, Hannes Jónsson, ein echter Wikinger. War das die Erklärung?

Körfutbolti

Das hörte sich doch ziemlich trumpig an. Zumindest wussten wir schnell, dass Basketball auf Isländisch Körfubolti heißt und die Isländer selbstbewusste und feine Menschen sind. Als wir uns dann auf dem Weg zurück zum Flughafen in Keflavík einen Stopp in der Blauen Lagune gönnen, summieren wir beim Naturplanschen in den heißen Quellen alles Erlebte und kommen zu objektiveren Ergebnissen: Die Isländer haben enorm in die Infrastruktur investiert und zum Beispiel Fußballhallen gebaut. Und ja, das hat sie, was die Wetterunabhängigkeit angeht, auf einen Stand mit, sagen wir mal, San Marino gebracht.

Doch in diese Fußballhallen sind auch Trainingszentren für andere Sportarten integriert, und gleichzeitig sind sie wichtige soziale Orte. Es gibt Cafés und die Menschen verweilen dort.

Bild: Gerald von Foris
Henning Harnisch

Henning Harnisch ist ehemaliger Basketballnationalspieler und Vizepräsident des Bundesligisten Alba Berlin. Er schreibt künftig jeden zweiten Donnerstag im Monat für die Printausgabe über die Bereiche Kultur, Sport und Pädagogik.

Doch das allein kann es nicht sein, was die Isländer so erfolgreich macht. Sie haben auch eine Menge bestens ausgebildeter Trainer. Im Fußball allein sind es über 600 hochqualifizierte; und viele dieser Trainer üben ihre Tätigkeit dauerhaft als Zweitberuf aus, verdienen damit zusätzliches Geld und geben ihr stetig wachsendes Sportwissen an die Kinder weiter. Als Spieler wiederum ist es selbstverständlich, dass man Multi-Spieler ist und bis weit in die Jugend hinein mehrere Spielsportarten gleichzeitig betreibt.

Bock auf Sport

Der etwas banalere Hauptgrund für Islands Erfolg ist jedoch ein anderer: Alle in diesem Land haben Bock auf Sport! Alle lieben Sport, alle machen Sport, alle gucken Sport! Alle sind wie Manfred. Okay, fast alle. Was können wir also von Island lernen? Dass durchdachter, gelebter und geliebter Sport zum Erfolg führt.

Wir können Island nicht kopieren, aber die Kinder, die Manfred bei uns unter seine Fittiche genommen hat, sind vom Spiel durchdrungen und lieben es. Man gucke sich ein Spiel von seiner U12 an – wie die spielen, wie die begeistert sind!

Und nun sagt mir ebendieser Manfred, dass er Ende Januar aufhören wird. Sein alter Beruf lockt, mehr Zeit für die Familie, die ewig fehlenden Wochenenden. Er sagt das in einem Tonfall, in dem man normalerweise Niederlagen erklärt. Aber Manfred, denke ich, warum waren wir denn auf Island?

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1 Kommentar

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  • „Aber Manfred, denke ich, warum waren wir denn auf Island?“

     

    Je nun. Warum? Vielleicht, weil Menschen, die „klug, lustig und auf eine angenehme Art ehrgeizig“ sind, oft eine ausgeprägte Neugierde entwickeln auf Dinge, die sie noch nicht kennen. Vielleicht, weil Neugierde die Lust aufs Reisen stimuliert. Vielleicht, weil Reisen bildet und der, der sich gebildet hat, dabei riskieren musste, dass ihm die eigenen Grenzen und die aller anderen nachher noch deutlicher bewusst sind als zuvor.

     

    Könnte es nicht sein, dass Manfred, der künftige Ex-Trainer, in Island schlagartig begriffen hat: In Deutschland hat er keine Chance. Und "seine" Jungen haben auch keine. Weil: Die aller meisten Deutschen machen kaum etwas mit Liebe. Sie sind ganz anders, als der Trainer Manfred ist. Das aller meiste machen sie aus Angst, aus Pflichtgefühl, aus Ehrgeiz oder aus Ärger. Und deswegen machen sie am liebsten überhaupt nichts selber. Sie lassen lieber machen. Von Leuten, die sie kommandieren dürfen, und die deswegen alles, was sie tun, nicht aus Liebe machen, sondern aus Pflichtgefühl, aus Ehrgeiz, aus Angst oder aus Ärger.

     

    Wer hier und heute irgendwas aus Liebe macht, sprengt jede deutsche Konvention. Er wird deswegen sehr leicht ausgegrenzt von all den Neid-... äh: Leithammeln, die alles, was sie (noch) selber tun, niemals aus Liebe machen werden. Wer will schon Kindern, die er liebt, solchen Gefahren aussetzen?

     

    Wenn Manfred seine Entscheidung "in einem Tonfall [kund tut], in dem man normalerweise Niederlagen erklärt", kann ich das ziemlich gut verstehen. Und zwar auch ohne dass der Mann mir irgendwas erklärt.