Kolumne Habibitus: Die Täter-Opfer-Umkehr der Almans
Wenn ich Menschen kritisiere, dass sie einen diskriminieren, fühlen sie sich als Opfer. Als hätte man etwas Unerhörtes unterstellt.
E s fängt an mit einem „Wo kommst du eigentlich her?“. Manchmal ist es ein „Du sprichst aber gut Deutsch“ oder auch ein „Mit 15 Kilo weniger würdest du so gut aussehen“. Ein anderes Mal ist es ein als Kompliment gemeintes „Es ist so mutig, dass du einfach dein Ding durchziehst“ – unklar, worauf genau es bezogen ist. Fühle ich mich in diesen Momenten als Opfer? Auf keinen Fall. Wenn, dann sind die Ursulas und Renates, die diese ungebetenen Kommentare von sich geben, Opfer. Zumindest verhalten sie sich so.
Wenn ich die Energie habe, fronte ich sie und weise nett darauf hin, dass ihre Fragen, Tipps und das „Lob“ unangebracht bis übergriffig sind. Zumal ich Ursula und Renate meist nicht mal persönlich kenne. Oft spare ich mir den Aufwand, weil ich weiß, was für ein Rattenschwanz an emotionaler Arbeit wie Trösten eine solche Kritik mit sich zieht. Wenn ich großzügig bin, gebe ich den Leuten noch etwas Kontext dazu: dass es rassistisch ist, mich zu fragen, woher ich komme, und sich nicht mal mit meiner norddeutschen Geburtsstadt zufrieden zu geben. Dass es dickenfeindlich ist, ungefragte Selbstoptimierungstipps zu geben. Und so weiter.
Zu diesem Zeitpunkt müsste logischerweise eine Entschuldigung eintreten. So zumindest wäre der Gesprächsverlauf zwischen Menschen, die sich gegenseitig respektieren. Weil diese Menschen jedoch entweder unlogisch oder respektlos sind, tritt ein Plot-Twist ein (nicht wirklich; es ist mittlerweile Routine): Sie werden sauer. Manchmal werden sie vorher noch defensiv, wehren ab, suchen nach einer Legitimation dafür, warum es scheinbar völlig normale, menschliche Neugierde sei, Leute nach der Herkunft ihrer Eltern oder Großeltern zu fragen, weil sie nicht aussehen oder heißen wie die 98 anderen Leute aus ihrem Dorf (und nicht etwa Rassismus).
Inszenierung als Opfer
Aber auch nach diesen Erklärungen, die von der Fantasie und der Naivität eher an Grimms Märchen erinnern, tritt die Wut ein. Wie man ihnen denn so etwas Unerhörtes unterstellen könnte. (Just like that.) Dass sie aus den und den Gründen gar nicht so und so sein könnten. (Scheinbar können sie es ja doch, und zwar sehr gut.) Dass man ja heutzutage gar nichts mehr sagen dürfe. (Doch, haben sie doch gerade getan.)
Am 8. März veröffentlichen wir auf taz.de nur Beiträge von Frauen* und nicht-binären Menschen, und auch nur diese kommen darin vor: als Expert*innen, als Protagonist*innen, auf den Fotos. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht primär mit dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch gern als „Frauenthemen“ bezeichnet wird – sondern mit dem Tagesgeschehen.
Was mich an diesem vorhersehbaren Plot am meisten verblüfft, ist eigentlich Folgendes: Ich habe sie dafür kritisiert, etwas Diskriminierendes gesagt zu haben, und das in einem sehr gelassenen und wohlwollenden Ton. Ich könnte angepisst sein, bin es aber nicht. Sie schon. Und wie! Ich bin die Person, die (wenn auch nicht immer mit Absicht) angegriffen wurde, aber Ursula und Renate sind die Wütenden. Die Opfer. Ist zwar irgendwie absurd, aber sie sind auch Almans, und Deutschland ist ein Meister in Täter-Opfer-Umkehr. Opfer-Abos unterstellen Almans aber trotzdem denjenigen, die sich gegen Aggressionen wehren. Komisch.
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