Kolumne Gottlos: Nach mir die Sintflut
Mit wallenden Röcken und Zahnspangen verstopfte U-Bahnen, Unterrichtsausfall und überall Sandalen. Ein Frevel, dieser Kirchentag in Berlin.
![nackte Beine baumeln in einem Springbrunnen nackte Beine baumeln in einem Springbrunnen](https://taz.de/picture/2010212/14/61831847.jpeg)
Komm, sag es allen weiter /ruf es in jedes Haus hinein / Komm, sag es allen weiter / Gott selber lädt uns ein.“ Da muss schon Gott herhalten als Phantom eines Gastgebers, denn die Berliner haben niemanden zum Kirchentag eingeladen. Im Gegenteil: Dass der schlecht synchronisierte Gleichschritt von 140.000 Paar Trekkingsandalen nun ausgerechnet durch das Mekka des Atheismus hallt wie einst die Stiefel der deutschen Besatzer durch die Straßen von Paris, ist ein ähnlich symbolischer Frevel wider alles, wofür die Stadt steht.
Und ein Schlag gegen die Bildung. Denn viele „Gäste“ werden für die Dauer des Affentheaters in Schulen untergebracht. Die vorzeitig in die Pfingstferien geschickten Kinder freuen sich natürlich. Das böse Erwachen kommt erst zehn Jahre später, wenn sie einen Beruf ergreifen wollen. Wegen Geld und so. Doch der Beruf ist zu schwierig, denn sie haben nichts gelernt.
Aber ihre Zukunft ist den ungebetenen Gästen scheißegal: Sollen die Schüler doch verrecken, nach uns – welch biblischer Gedanke! – die Sintflut. Das diesjährige Motto der Veranstaltung „Du siehst mich“ müsste man durch „aber ich seh dich nicht“ an die Adresse der Berliner ergänzen. Die ganze Nacht wird geträllert, gebetet und Messwein getrunken. Fromm und laut geschnarcht.
Am Tag an roten Ampeln gestoppt und somit der gewohnte Verkehrsfluss behindert. Die U-Bahnen mit wallenden Röcken, Klampfen und sperrigen Zahnspangen verstopft. Viele benutzen kein Deo, weil sie denken, dass Gott sie schon gut riechen lassen wird. Es gibt eh nur zwei Waschbecken in der Schultoilette. Das reicht nicht für die Säuberung der fünftausend, da kann man noch so lang für beten.
Auch in diesem Jahr hat die taz Panterstiftung junge NachwuchsjournalistInnen eingeladen. Sie werden für uns und für Sie auf täglich vier Sonderseiten sowie bei taz.de aus Berlin berichten. Mit unverstelltem Blick, stets neugierig und das Geschehen ernstnehmend. Das Team besteht aus: Korede Amojo, Malina Günzel, David Gutensohn, Edda Kruse Rosset, Lara Kühnle, Sami Rauscher, Tasnim Rödder und Linda Rustemeier. Unterstützend mitwirken werden die taz-Redakteure Philipp Gessler und Susanne Memarnia. Die redaktionelle Leitung übernehmen die taz-Redakteure Annabelle Seubert und Paul Wrusch.
Die taz ist zudem mit eigenen Ständen auf dem Kirchentag vertreten.
Dergleichen sollte in einem säkularen Staat weder öffentlichen Raum einnehmen noch mit Millionen bezuschusst werden. Denn Religion ist Privatsache, eine fragwürdige noch dazu: Die einen glauben an unfassbar kindische Wunder, die nächsten halten sich für das auserwählte Volk, die dritten essen zu scharf, wieder andere haben ein tierisches Problem mit Frauen.
Milder Frauenhass
Letzteres scheint ohnehin die Basisvoraussetzung für die Gründung einer Religion zu sein. Dennoch mischen überall auch frömmelnde Weiber mit. Das ist kein Widerspruch: Frauen pauschal zu besseren Menschen zu verklären, die gegen Opportunismus, Indoktrination und Schwachsinn gefeit wären, wäre auch nur eine Form von Sexismus.
Nun meint mancher, „Gottele, das sind doch bloß putzige Lutheraner“. Christentum light. Milder Frauenhass. Und diese Dire Straits hörenden Rotbäckchen seien ja völlig harmlos. Die Ansicht deckt sich auch mit der eines Experten: „Mit einem Ruck durchbrach er (Luther) die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen“ (Hitler über Luther).
Stimmt, sie feiern auch das Luther-Jahr. Wie Flipperkugeln des Glaubens schussern deshalb die Shuttlebusse und -bahnen zwischen Berlin und Wittenberg hin und her. Das lässt den Berlinern wenigstens ein bisschen Luft zum Atmen.
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