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Kolumne Gott und die WeltThügida marschiert

Kolumne
von Micha Brumlik

Jena: Früher Schiller und Schlegel, Hegel und Fichte und heute „Thügida“ und eine eingeschüchterte sozialdemokratische Stadtregierung?

Die schöne Seite von Jena: Protest gegen einen geplanten „Thügida“-Aufmarsch im Damenviertel Foto: dpa

W em käme, hörte sie oder er das Wort „deutsche Kultur“, nicht mindestens auch die Stadt Jena in den Sinn. Hier wirkten und lehrten im 19. Jahrhundert Schiller und Schlegel, Hegel und Fichte, hier sorgte Goethe als Politiker, als Wissenschaftsminister – dieses Amt hieß damals „Hofrat“ – des Weimarer Fürsten dafür, dass Bibliotheken, Gärten und Laboratorien eingerichtet wurden, hier vollendete er unter anderem seinen Roman „Wilhelm Meister“ und seine Lebenserinnerungen „Dichtung und Wahrheit“, hier ist noch immer Schillers Gartenhaus zu sehen, wo er unter anderem den „Wallenstein“ schrieb.

Heute freilich, seit 2011, steht die lebens- und liebenswerte Universitätsstadt zum Nachteil ihrer Bewohnerinnen und Studierenden im Ruf, ein Zentrum der rassistischen und neonazistischen Untergrundszene zu sein – bis hin zu begründeten Vermutungen, dass sich dort auch Mitglieder des NSU getroffen haben. An Dreistigkeit ist die neonazistische Szene dort nicht zu überbieten: So marschierten an Hitlers Geburtstag 200 „Thügida“-Anhänger in einem Fackelzug durch Jena, eine Demonstration, die nach einem Verbot der Stadtverwaltung durch das Verwaltungsgericht Jena kassiert wurde.

Kurze Zeit später, am 17. August, dem Todestag des „Führerstellvertreters Rudolf Heß“, schritt die Polizei daher nicht mehr ein, wenngleich 3.000 Menschen, die Jenaer Zivilgesellschaft, dagegen aufstanden, aber von der Polizei mit Hunden und Wasserwerfern drangsaliert wurde. Doch hat die nach oben offene Skala neonazistischer Provokationen ihr Ende bei Weitem noch nicht erreicht: Ausgerechnet für den 9. November, jenem Tag, an dem 1938 die Synagogen brannten und Tausende jüdischer Männer in Konzentrationslager gesperrt wurden, hat „Thügida“ einen weiteren Aufmarsch angemeldet.

Die Stadt reagierte darauf halbherzig, indem sie zwar die Demonstration der Rechtsradikalen am 9. 11. untersagte, ihnen aber für den 8. 11. einen Marsch erlaubte – zwar nicht, wie angemeldet, in Häftlingskleidung, wohl aber mit Sarg und Fackeln. Dass und wie die Neonazis von „Thügida“ die deutsche Geschichte verdrehen, sich – als vermeintlich unterdrückte Deutsche – mit den jüdischen Opfern des 9. November 1938 gleichsetzen, ist so absurd, dass es keiner Widerlegung bedarf. Dass die Stadt Jena derlei hinnimmt, ist ein Skandal sondergleichen.

Eingeschüchtert oder opportunistisch?

Der Oberbürgermeister von Jena, Dr. Albrecht Schröter, Jg. 1955, gehört der SPD an, ist gelernter evangelischer Theologe und hat sich nicht zuletzt um die Aufarbeitung der Verfolgung der Jenaer Juden in der NS-Zeit verdient gemacht. Wie eingeschüchtert oder opportunistisch muss die politische, die sozialdemokratische Mehrheit in Jena sein, dass sie Naziaufmärsche zulässt?

Politisch gibt es keinen Grund: Bei der Bundestagswahl 2013 erhielten NPD und AfD zusammen kaum mehr als 5 Prozent der Stimmen, für die AfD freilich kandidiert dort Michael Kaufmann, er lehrt in Jena als Professor für Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik am Fachbereich Maschinenbau der Ernst-Abbe-Fachhochschule. Er immerhin distanzierte sich von den Rechtsradikalen.

Und die Studierenden? Ihr politisches Interesse scheint rapide zu schwinden – haben doch bei der Wahl zum dortigen Studierendenrat im Sommer 2016 vom etwa 16.000 Wahlberechtigten nur 9,2 Prozent an der Wahl teilgenommen. So schließt sich ein Bild: opportunistische, pseudolegalistische Verwaltungsrichter, eine eingeschüchterte sozialdemokratische Stadtregierung sowie rapide schwindendes politisches Interesse – nein, nicht bei den sogenannten „Abgehängten“, sondern bei den Gebildeten: Studierende, die unter dem Druck der Bolognareformen offenbar nichts anderes im Sinn haben, als möglichst schnell ein Zertifikat zu erhalten und nebenbei noch zu jobben – wer wollte das verurteilen?

Auf jeden Fall: Die Zustände in Jena, jener Ikone der Kultur der deutschen Klassik, zeigen einen möglichen Entwicklungspfad der Politik in Deutschland. Was wohl Goethe, Schiller und Hegel dazu gesagt hätten?

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Was irgendwelche früheren ideellen Trendsetter dazu gesagt haben würden, ist eine abwegige Frage, weil sie selbst autoritär konnotiert ist.... wie auch die Info mir hier sehr egal sein kann, dass der Autor das Gerichtsurteil nicht richtig findet. Artikel in der taz sollten subtantieller sein... Gut gemeint ist das Gegenteil von gut!

  • Es sieht schlimm aus für unsere schöne "Heimat", wenn ich denn diesen Begriff noch nutzen kann, ohne in die Rechte Ecke gestellt zu werden!

    Wir haben ein insgesamt Meterdickes Gesetzes Werk, in dem steht mehrfach, dass Nationalsozialistische Aufmärsche mit Hintergrund der Verehrung von Hitler und seinen Taten verboten sind!

    Warum fällt den Politikern, ob Kommunal, Landes oder Bundesweit der Widerstand gegen diese Nazis so schwer?

    Es entsteht der Eindruck, das die Politik sich nicht dazu herablassen will, sich damit auseinander zu setzen, denn es könnte Stimmen kosten! Leider ist dieses Rechte Gedankengut in der Republik seit einiger Zeit wieder dabei sich weiter zu verbreiten. Aber wen wundert das, wenn man sich die abstrusen Kommentare der Regierenden zu den Renten, zu Hartz IV und zu der Flüchtlingspolitik so anhört.

    Jede Tag kommt die Politik mit einer anderen Idee, wie man die kleinen Leute weiter drangsalieren kann, um die Versicherungen, die Banken oder die Wirtschaft und Industrie zu mehr Einnahmen, Steuererleichterungen oder geringeren Sozialbeiträgen verhelfen zu können!

    Ich war schon mal für längere Zeit im nicht europäischem Ausland und musste feststellen das es da auch nicht viel besser läuft, mit dem Unterschied, dort war ich der Fremde!

    also ist Deutschland für mich Alternativlos geworden und es ärgert mich wie wenig ich hier gegen diese Politik unternehmen kann.

     

    Denn die Politik ist hier auch Alternativlos schlecht für Otto Normalwähler!!!

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Bekanntlich stinkt der Fisch immer vom Kopfe her. Solange Herr de Maiziere seine menschenverachtenden Beiträge liefert, Herr Seehofer die AfD zu überholen versucht und Frau Merkel das alles duldet, so lange wird sich die Situation nicht ändern. Es geht in unserer Republik nur in Sonntagsreden um "christliche Werte". Die Karriere, die Macht und der Opportunismus sind deutlich wichtiger.