piwik no script img

Kolumne GerüchteIch kack dir auf den Tisch

Merz, von Beust, Köhler - Wir alle sind staunende Zeugen einer neuen christdemokratischen Befreiungskultur.

B ERLIN taz Unter all den Kindergeschichten, die Mütter gern zum Besten geben, gehört jene in die Kategorie: peinlich. Im Alter von drei Jahren sollte mein Widerstand gegen einen Mittagsschlaf dadurch gebrochen werden, dass die Türe des Kinderzimmers für die betreffende Zeit von außen abgeschlossen wurde. Aus Protest gegen diese Inhaftierung, so wird erzählt, soll ich daraufhin meine Notdurft auf dem Tisch des Zimmers verrichtet haben.

Ich schreibe "soll", da ich mich an diesen Vorgang nicht erinnere und ihn auch gar nicht glauben möchte. Allerdings wuchs bei mir mit jeder Wiederholung der Geschichte die Überzeugung, dass es am Ende vielleicht doch so gewesen sein könnte. Denn mit zunehmendem Alter spüre ich immer häufiger die Lust, zumindest symbolisch auf den Tisch zu kacken.

Dieser Drang ist vermutlich jener Lust vergleichbar, mit der Horst Köhler sein Amt aufgab. Er hat es zwar nicht gesagt, aber er hat es gemeint: "Leckt mich am Arsch!" Die Köhlers, die Lafontaines und die Beusts dieser Republik verhalten sich damit nicht anders als mein dreijähriges Ego im Kinderzimmer, nur dass es eben nicht so stinkt.

privat

Philipp Mausshardt (49) ist Mitglied der Reportage-Agentur "Zeitenspiegel" und hat große Angst davor, seine Leser zu langweilen oder einzuschläfern. Darum klatscht er beim Schreiben oftmals laut in die Hände in der Hoffnung, dass sie es beim Lesen hören.

Die Freude, die es macht, etwas aufzugeben, was anderen als wertvoll erscheint, ist eine Erfahrung, die derzeit vor allem in der CDU Konjunktur hat. Von Merz bis Koch lassen sie gut gelaunt ihre "Häufchen" auf dem Tisch zurück. Gehen, verzichten, austreten - wir alle sind staunende Zeugen einer neuen christdemokratischen Befreiungskultur.

Nicht mehr dazu gehören zu müssen, das ist ein sehr schönes Gefühl. An jenen Tag, als ich aus der SPD austrat, kann ich mich jedenfalls noch gut erinnern, vor allem, weil ich innerhalb von wenigen Jahren gleich zweimal eingetreten und daher auch zweimal ausgetreten war. Unter Protest versteht sich und in der wahnwitzigen Hoffnung, mein Austritt würde den Parteivorstand zu einer Korrektur bewegen.

Zumindest eines hat sich geändert: Es schimpft sich leichter über die Politiker, wenn man keiner Partei angehört. "Wenn das alle so machen", sagte mir mein Freund Peter eines Tages, "dann gibt es bald niemanden mehr, der sich für die Demokratie engagiert." Ganz unrecht hat er nicht. Rechnet man den Mitgliederschwund der Volksparteien in Deutschland auf das Jahr 2050 hoch, reichen SPD und CDU für ihren Bundesparteitag das Nebenzimmer in der Bahnhofsgaststätte von Uelzen.

Jahrelang gärte es in mir, und ich beschloss, wieder einzutreten. Dieses Mal aber vielleicht in eine Partei mehr am Rand des demokratischen Spektrums, also entweder in die CSU oder bei den Linken. Beide Parteien sind mir in etwa gleich sympathisch, weil sie versuchen, sich unterscheidbar zu halten vom Gewusel in der Mitte. Mein Los fiel auf die Linke.

Kaum war ich eingetreten, fing ich an, mich über deren Politik noch mehr zu ärgern als vor meiner Mitgliedschaft. Und seit sich herumgesprochen hat, ich sei Mitglied der Linken, muss ich mich für meine zehn Euro Mitgliedsbeitrag im Monat auch noch von meinen Freunden beschimpfen lassen. Als "mein" Parteivorstand vor kurzem beschloss, eine eigene Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufzustellen und die Chance zu vertun, sich von der SED-Vergangenheit zu distanzieren, war es dann so weit: Ich sah wieder den Tisch und das Häufchen vor mir.

Philipp Maußhardt vertritt die urlaubende Barbara Dribbusch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Philipp Mausshardt
Journalist, Mitbegründer der Zeitenspiegel-Reportageschule, hält Brandenburg für die neue Toskana.

8 Kommentare

 / 
  • H
    hto

    "Unter Protest versteht sich und in der wahnwitzigen Hoffnung, mein Austritt würde den Parteivorstand zu einer Korrektur bewegen."

     

    Hoffnung, wie auch stumpfsinnige Forderungen, ist etwas für die GLEICHERMAßEN unverarbeitete / MANIPULIERBARE Bewußtseins- und Glaubensschwäche in Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein" - eben für die gebildete Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche, mit der hauptsächlich die konfusionierende Überproduktion an systemrationalem Kommunikationsmüll betrieben wird.

  • S
    suki

    "mausi" ist wieder da (unvergessen ihre einst an gleicher stelle dargelegten erfahrungen als lehrer in einer waldorfschule)! wieso denn nur in vertretung???

     

    zum text:

    heißt nach freudscher lesart "kacken" bei kleinkindern nicht auch "schenken" ...

  • UB
    Ulrich Bogun

    Lieber Her Mausshardt,

     

    der Austritt aus einer Partei ist doch kein demokratiefeindlicher, sondern ganz im Gegenteil urdemokratischer Gedanke. Damals, als wir noch ganz klar ein als Temporärlösung definiertes Grundgesetz hatten (welches man uns heute so gerne als ordnungsgemäß abgestimmte Verfassung verkaufen will), war man von direkten Wahlen seiner Abgeordneten ausgegangen, deren Mischung dann ein demokratisch repräsentatives Parlament ergeben sollte. Nur seinem Gewissen sollte ein Abgeordneter verpflichtet sein, und Schaden vom Volke abzuwenden war seine Mission. Denn alle Macht, so dachte man, ginge vom Volke aus.

     

    Die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der ungewählten Volksvertreter haben daraus ein Parteienwahlverfahren mit all seinen irrsinnigen Auswüchsen wie Fraktionszwang und Weisungsgebundenheit gezimmert. Seiner Parteiführung ist der Abgeordnete verpflichtet, und Schaden von den Lobbyistenverbänden abzuwenden sein Auftrag. Denn alle Macht, so weiß man heute, geht vom Gelde aus.

     

    Da kann ich nur begeistert Beifall klatschen, wenn der eine oder die andere doch zur Besinnung kommt. Sollte dabei ein Häuflein auf dem Tisch landen, das die Parteienoligarchie zu beseitigen hat, ist das eigentlich noch viel zu wenig.

  • N
    neonschein

    Da ham wir's wieder einmal:

    Gib den "bildungsbürgerlichen" "Besserdeutschen" ein paar unzivilisierte "Pfui"-Wörter und es geht nicht mehr um Inhalte, sondern um Benehmen und wie "man" in dem und dem Alter und in dem und dem Kreise sich zu verhalten ziehmt.

    Wer noch nicht erkannt hat, dass es sich um eine plakative Provokation handelt und noch nicht derart befremdender Kommunikation umgehen kann, sollte mal überlegen, ob er/sie sich nich doch schon wieder in eine Art "Elfenbeinturm aus gutem Willen, Idealismus und Opportunismus" verkrochen hat.

     

    So long, anregender Artikel, ich muss jetzt kacken!

  • F
    FriedrichvK

    Internetkommentar, die Unmut ausdrücken wollen, langweilen maßlos, weil sie bloß Fäkalsprache (!) absondern. Insofern sind die bisherigen Kommentare zu diesem Artikel wohltuend sachlich und auf hohem intellektuellem Niveau gehalten. Trotzdem erfasst mich das Bedürfnis (!), hier einfach anzumerken: Ein scheiß(!)dämlicher Kommentar.

  • H
    Holger

    Im Unterschied zu Anke glauben ich (und Papa Freud) schon, dass ein Kleinkind seine Fäkalien als gelungenes Mittel der Agression einsetzen kann, vor allem wenn es weiss, das das Mittel gegenüber seinen Eltern wirkt - aber das ist gar nicht mein Thema.

     

    Ich staune nur, dass eine solche Petitesse wie die Wahl eines Bundespräsidenten bei Herrn Mausshard zu Darmkontraktionen führt. Und ich staune schon seit Wochen über die Aufregung, die die Nichtwahl des Kandidaten Gauck durch die Linkspartei unter "kulturlinken" Lesern und Redakteuren der Taz ausgelöst hat - und das, wo doch der bisherige Amtsinhaber Köhler in dankenswerter Weise nachgewiesen hat, wie überflüssig diese Amt und sein 30 Millionen-Etat ist.

     

    Ich staune, dass von der Linken quasi als staatsbürgerliche Pflicht erwartet wurde, Herrn Gauck zu wählen - warum gerade Herrn Gauck, und warum nicht Herrn Wulff? Denn worin sehen die "kulturlinken" Leser und Redakteure der Taz die politisch-inhaltliche Differenz zwischen Herrn Gauck und Herrn Wulff? Oder geht es hier gar nicht ums politische, sondern um die Geborgenheit, die eine charismatische Vaterfigur wie Herr Gauck dem deutschen Michel in seiner Orientierungslosigkeit eventuell vermitteln kann?

     

    Warum nimmt niemand der Linken übel, dass sie nicht Herrn Wulff gewählt hat?

     

    Und hätte die Linke auch den Agenda-Schröder wählen müssen, wenn die SPD ihn statt des Agenda-Freundes Gauck aufgestellt hätte?

     

    ... wage ich mal zu fragen - jetzt, wo sich die grösste Aufregung um die Wahl des Bundes-Grüss-Augusts gelegt hat.

  • A
    anke

    Habe ich das richtig verstanden, Herr Mausshardt? Sie glauben, Sie müssten dem Vorstand der Linken auf seinen Präsidiumstisch kacken, weil er der SPD nicht zu ihrem angeblichen Wunschpräsidenten verholfen hat? Da kann man mal wieder sehen, wozu es führen kann, wenn unbegründete Behauptungen nur oft genug wiederholt werden: Am Ende können die Leute du und ich nicht mehr auseinander halten!

     

    Bei Kleinkindern, behaupten die Psychologen, wäre das normal. Sie würden keinerlei Unterschied machen zwischen dem eigenen Ego und dem ihrer engsten Bezugspersonen. Mir scheint das glaubhaft und zwar schon deswegen, weil den meisten Dreijährigen das theoretische Konzept der Persönlichkeit vollkommen unbekannt sein dürfte. Wenn Mütter von Kleinkindern ähnlich verfahren, kann ich mir das immerhin noch erklären. Sie können schließlich mit ihrem Spross nicht einmal über seine dringlichsten Bedürfnisse auf Augenhöhe debattieren, müssen also versuchen, von sich selbst aufs Kind zu schließen, und zwar auf möglichst kurzem Weg. In sofern wundert es mich nicht, wenn die eine oder andere ihrem Kind Trotz unterstellen, falls es nicht nur den Mittagsschlaf ablehnt, sondern auch das Ausharren mit fest zusammengekniffenen Pobacken. Welche Mutter wäre nicht froh, dürfte sie jeden Tag zwei Stunden ungestört Siesta halten? Die meisten würden gewiss noch ganz andere Bedürfnisse hinten anstellen für dieses "Privileg", als nur den Gang zur Toilette. Das Leben als Mutter, ich spreche aus Erfahrung, kann anstrengend sein. So anstrengend, dass man darüber gewisse Dinge einfach nicht registriert. Den Umstand zum Beispiel, dass es eine ganz erstaunliche Leistung für einen Dreijährigen wäre, könnte er seinen Verdauungsapparat tatsächlich dem Bedürfnis unterordnen, den Erziehungsberechtigten (wohlgemerkt: den Menschen, die es mit sich selbst gleichsetzt!) eine auszuwischen. Oder die Tatsache, dass Zeit ausgesprochen relativ ist für jemanden, dem das Zifferblatt einer Uhr noch nichts sagt. Ganz abgesehen davon, dass das Bedürfnis eines kleinen Kindes nach zwei Stunden Mittagsschlaf vermutlich um so geringer ausfällt, je leistungsfähiger sein Gehirn ist. Vor allem dann, wenn es von 19.00 Uhr bis 7.00 Uhr brav durchpennt.

     

    So viel zur Mutter-Kind-Beziehung. Und nun zum Verhältnis zwischen Leser und Journalist. Genauer: zum Verhältnis zwischen mir und Ihrer Kolumne, Herr Mausshardt. Ich finde. Wenn Journalisten ihren Hang zum Ignorieren fremder Identitäten ausleben, kann das ganz schön ins Auge gehen. Ihre Kolumne ist mir ein schriftlicher Beleg dafür. Wenn Sie gern Landesvater oder Kirchenmutter wären, ist das zwar nicht unbedingt begreiflich für mich, immerhin aber finde ich es normal. Andere, schließlich, wollen das auch. Zumindest so lange, wie sie nicht Landesvater oder Kirchenmutter sind. Und genau deswegen ärgert es mich, wenn ich annehmen muss, Sie würden das dringende Bedürfnis verspüren, Ihre küchenpsychologische hoch interessante These von den grundsätzlich häufelnden Berufs-Repräsentanten und -onkeln mit allen 50.000 taz-Abonenten zu teilen. Die allgemeine Lage ist schließlich schon traurig genug, auch ohne dass Sie alle irgendwie (und sei es auch nur aus purer Faulheit) an ihren Müttern Leidenden ihrer vollsten Solidarität versichern. Es wäre also nicht weiter erstaunlich, würde ich Ihre Kolumne öffentlich als Beleg dafür auslegen, dass sie sich mental noch immer nicht von ihren Mutter abgenabelt haben, denken Sie nicht auch, Herr Mausshardt? Dabei: Sind Sie als Nicht-CDU-Wähler überhaupt verantwortlich für Koch, von Beust und Köhler? Ich meine: so richtig? So, wie eine Mutter für ihr Kind verantwortlich ist? Nein? Wieso wollen sie die (ausgesprochen unterschiedlich schrägen) Typen dann unbedingt eingesperrt wissen auf ihrem Posten? So toll waren sie ja nun auch wieder nicht, dass unsereins nicht die begründete Hoffnung haben dürfte, es könne durchaus was besseres nachkommen, oder?

     

    Nein, man muss nicht jeden bedingungslos lieben. Vor allem dann nicht, wenn einen die eigene Biologie nicht dazu zwingt. Klar, der Mensch sehnt sich nach Beständigkeit, auch als Mittfünfziger noch. Aber die Annahme, diese Beständigkeit ließe sich mit Privilegien erkaufen, erweist sich nicht zum ersten Mal als Irrtum. Es kann Ihnen unmöglich entgangen sein bisher, dass Dankbarkeit ein ausgesprochen seltenes Phänomen ist, und zwar nicht nur unter Profis. Mit Geld, das man vor ein paar Jahren schon bekommen hat, ist abgegolten, was vor ein paar Jahren war, nicht das, was morgen sein könnte. Für alle übrigen Privilegien gilt das Gesagte analog. Mit Trotz hat diese Unterstellung nicht das Geringste zu tun. Sie ist lediglich Common Sense. Kein Grund also, seinerseits mit Aktionen zu reagieren, die man für kindisch hält. Vor allem dann nicht, wenn die zugrundegelegte Definition kindischen Verhaltens gar nicht auf eigener Erkenntnis fußt, sondern auf den uralten Legenden einer unterhaltungssüchtigen Mutter.

     

    Und nun, Herr Mausshard, bedanke ich mich noch ganz herzlich bei Ihnen. Sie wissen schon: für die Provokation. Sie war mir immerhin Anlass, selber zu denken. Grüßen Sie Ihre Mutter von mir und richten Sie ihr aus: Als Sieger darf sie sich erst dann fühlen, wenn ich mir über die Kolumnen ihres Sohnes denke: "Hat ja doch keinen Zweck. Also scheiß drauf!"

  • S
    Schawn

    Sehr schöner Kommentar. Ich finde, dass man das legitimatisieren sollte. Wenn man mit jemanden oder wegen irgendwas unzufrieden ist einfach mal auf den Tisch kacken. Ich glaube das heute gerade in der Politik viel öfter auf den Tisch gekackt werden müsste, weil die Politiker doch mit der viel zu komplex gewordenen Welt (lese hier: http://bit.ly/91gQ5I) nicht mehr fertig werden. Ich glaube nur Merkel hätte keinen Spaß daran, fast wöchentlich ihren Dissidenten in der Nation auf die Tische zu kacken...