piwik no script img

Kolumne EbenVermutlich rechts

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

Wenn Rechte nur „vermutlich Rechte“ sind, dann ist Gott nur mutmaßlicher Gott, Marx mutmaßlicher Marxist und Adorno mutmaßlicher Adornit.

Vermutlich besorgt: Bürger in Heidenau. Foto: dpa

M utmaßlichen Dummschwätzern rief man bisher hinterher, dass es vermutlich besser wäre, einfach mal die Klappe zu halten. Auch der Kanzlerin wurde das im Umgang mit Flüchtlingskindern empfohlen. Dann sagte sie lange gar nichts mehr und alle riefen nach einem „Machtwort“, in der Hoffnung, dass die Rechten in Heidenau, Weissach und anderswo ihren Pogrom, äh sorry, ihren „Zwischenfall“ abbrechen.

Vermutlich hielt die Kanzlerin aber auch einfach nur die Klappe, weil sie sich nicht nochmal verplappern will. So wie die dpa, die den vermutlich seriösen Medien Sonntagabend von ZDF bis FAZ die Zeile „Randale zwischen Linken und vermutlich Rechten in Heidenau“ lieferte.

Mutmaßliche Medien wie Facebook und Twitter und andere “deutsche Medien ohne Mandat“ (Philipp Lengsfeld, vermutlicher Christdemokrat) würden vermutlich sowieso wieder nur rumnörgeln, denkt sie vermutlich. Vermutlich denkt sie aber auch, dass ein Machtwort die besorgten Bürger auch nicht davon abhalten würde, besorgt zu sein. Vermutlich denkt deswegen auch der Nachrichtenredakteur, dass er vermutlich alles richtig gemacht hat.

Vermutlich wäre die Geschichte eine andere gewesen, hätte der Mensch schon früher angefangen, seine Bewertungen in Vermutung zu stellen. Womöglich hätte es niemals Mord und Totschlag gegeben, wenn geschrieben worden wäre: „Sein oder Nichtsein, das ist hier vermutlich die Frage“ (Shakespeare, angeblicher Dichter).

Vielleicht hätte der Kapitalismus nie eine Chance gehabt, wenn es geheißen hätte: „Ein mutmaßliches Gespenst geht um in Europa – der mutmaßliche Kommunismus“ (Karl Marx, mutmaßlicher Marxist). Die Nazis wären womöglich nie über Deutschland hinausgekommen, hätte es geheißen: „Seit 5:45 wird vermutlich zurückgeschossen“ (Hitler, mutmaßlicher Nazi).

„Seien wir realistisch, versuchen wir das Mutmaßliche“

Vielleicht hätte es Stalin nie zu was gebracht, wenn es geheißen hätte: „Freiheit ist immer die Freiheit des vermutlich Andersdenkenden“ (Rosa Luxemburg, vermutliche Abweichlerin). Eventuell hätte es Kuba nie gegeben, wenn Che Guevara (mutmaßliche Ikone) gesagt hätte: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Mutmaßliche.“

Möglicherweise hätte die Sünde nie das Licht der Welt erblickt, wenn geschrieben gestanden hätte: „Am Anfang war wahrscheinlich das Wort und das Wort war mutmaßlich bei Gott“ (Gott, mutmaßlicher Schöpfer). Eventuell hätte es niemals ein Biomüllproblem gegeben, wäre gerufen worden: „Holger, der vermeintliche Kampf geht voraussichtlich weiter“ (Rudi Dutschke, vermeintlich grün).

Ganz eventuell hätte es niemals linke Kritiker gegeben, wenn geschrieben worden wäre: „Es gibt vermutlich kein richtiges Leben im wahrscheinlich falschen“ (Adorno, mutmaßlicher Adornit). Und das Wort vermutlicherweise wäre vermutlich in den Duden aufgenommen worden.

Bei aller Vermutung ist nur eins sicher: Die Schwierigkeit, auszusprechen, dass ein Rechter ein Rechter ist, ist so alt wie das Verbot der NSDAP. Daran hat sich nichts geändert. Oder um es mit Samuel Beckett (mutmaßlich Wartender) zu sagen: „Die Sonne schien, weil sie vermutlich keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Liebe Frau Akrap,

    der Spott über dieses "vermutlich" oder "mutmaßlich" hat auch mich als Nachrichtenjournalist in dieser Nacht sofort via Twitter erreicht - und maßlos geärgert. Denn alle, die schnell über den Vorfall berichteten und das gewissenhaft getan haben, hatten gar keine andere Wahl, als es genau so zu formulieren. Das "vermutlich" hatte in diesem Kontext aber auch gar nichts mit Euphemismus zu tun, sondern war pure journalistische Sorgfaltspflicht. Ihre Motive in allen Ehren, aber es ist sehr billig (und mit Verlaub - typisch taz) sich da übereifrig und großmäulig drauf zu stürzen, anstatt mal einen klaren Kopf zu bewahren. dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger hat hier sehr schlüssig erklärt, warum das "vermutlich" bzw. "mutmaßlich" in diesem Fall unvermeidlich war - und warum Ihr voreiliger Spott wenig hilfreich ist: http://kress.de/tagesdienst/detail/beitrag/132529-nachrichtenchef-froben-homburger-von-dpa-wie-das-vermutlich-bei-heidenau-in-die-ueberschrift-kam.html

  • Vermutlich hat Frau Akrap recht - aber wie soll man's jetzt so genau wissen?

  • Es ist das, wonach es aussieht.

  • Merkel denkt vermutlich, dass mit verpuffenden Machtworten auch die Macht verpufft. Recht hat sie. (unvermutlich)

  • Die Ode der Autorin über dem Wort "mutmasslich" übersieht, dass es bei uns leider keine Diskussionskultur gibt, bei der dumme Meinungen sachlich wiederlegt werden.

    Vielmehr werden Leute an Hand von singulären Indizien in die rechte (oder andere) Ecken gestellt:

    Wenn jemand irgendetwas im Nationalsozialismus mit etwas anderem vergleicht, so wird er verbannt. Dabei wird verkannt, dass selbst schlimmste Verbrecher nicht ständig schlimme Verbrechen begehen, sondern auch Dinge machen, die andere Menschen auch machen. Das macht die Verbrechen kein bisschen weniger schlimm - passt aber vielen nicht in ihr Schwarz-Weiss-Denken.

    Die offizielle Politik, die geltenden Gesetze und die Interpretation dieser Gesetze durch die Exekutive sind extrem flüchtlingsfeindlich. Wieso werden nur die Leute in die rechte Ecke gestellt, die diese Gesetze gut finden - aber nicht diejenigen, die diese Gesetze machen und entsprechend umsetzen?

    Es kann doch nicht sein, dass die Politik ungeächtet allen Flüchtlingen über die Fiktion der "sicheren Drittländer" die Einreise komplett verweigert. Wer dagegen fragt, wie viele Flüchtlinge ein Land wie Deutschland aufnehmen soll, gilt als Rechter und wird in einen Topf mit Brandstiftern gesteckt.

    Wir halten unsere Scheinmoral immer höher und ächten jeden, der diese Scheinmoral auch nur ein wenig in Frage stellt. Gleichzeitig leisten wir uns eine Regierung und einen Polizeiapparat, die dafür sorgen, dass wir nicht zu unser Scheinmoral stehen müssen.

    Wer die Verbreitung von rechtem Gedankengut verhindern will, muss Gegenargumente bieten und muss dafür sorgen, dass die reale Politik diese nicht legitimiert. Wer aber diejenigen, die mit Rechten diskutieren pauschal als Nazis diffamiert, unterstützt effektiv das rechte Gedankengut - und nicht nur mutmasslich!

  • "…Bei aller Vermutung ist nur eins sicher: Die Schwierigkeit, auszusprechen, dass ein Rechter ein Rechter ist, ist so alt wie das Verbot der NSDAP. …"

     

    Wie meinen? …Verbot der NSDAP¿

    Wann? Welches? - schwierig - Nö!

     

    Vermutlich wissen Sie nicht - ¿

    Daß der spätere stllv. Hauptankläger in den Nürnberger Prozessen Robert Kempner eine eindeutige Expertise zum Verbot der NSDAP gefertigt hatte - die aber Notverordnungs - Heinrich Brüning - der letzte Kanzler der Weimarer Republik in der Schublade verschwinden ließ;

    Was er später in USA als den größten Fehler seines Leben bezeichnet hat.

    Vermutlich wäre dann auch alles, manches ganz anders gekommen - vermutlich bis heute.

     

    (ps Kempner - eindrucksvoll bis ins hohe Alter - hat das Wannseeprotokoll 1947 gefunden in den Akten von Unterstaatssekretär Luther und mitgenommen;

    Vermutlich hätte das aber nichts geändert -

    Vermutlich haben nämlich alle Beteiligten "in dem entscheidenden Moment * gerade hinter einer der vermutlich unzähligen Säulen gestanden"!)

    So geht das.

     

    (*als der Beschluss zur „Endlösung der Judenfrage” schriftlich festgehalten wurde.)

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Robert_Kempner https://de.m.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Br%C3%BCning

    • @Lowandorder:

      Ha no! Da les ich beim Brüning aber so manches, was mir verdammt aktuell vorkommt...

       

      Das stimmt mich wenig optimistisch...

  • Dabei ist wohl weniger das öffentliche Feststellen das Problem!

    Vielmehr liegt es daran das eine solche Feststellung durch einen "Politiker" deren eigene Unfähigkeit des sachgerechten Umgangs mit der abgebildeten Menschen- und Ausländerfeindlichkeit nachweist. Für jeden sichtbar. Und auch die ganze Pleite im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten!

     

    Den wir alle sind gut™, nur darf das "gut sein" nicht durch Abbilden der Wirklichkeit in den Medien gestört werden.

  • 2G
    23879 (Profil gelöscht)

    Das ist neu. Kirchenpropaganda bei der Taz. Was der Autorin nicht klar zu sein scheint: Ihr Gott ist tatsächlich nur ein mutmaßlicher Gott.

    • @23879 (Profil gelöscht):

      Sie meinen vermutlich "Was der Autorin möglicherweise nicht klar ist"?