Kolumne „Durch die Nacht“: Jeder braucht einen Lieblingsort

BerlinerInnen definieren sich durch die Stadt und noch mehr durch ihre Stammkneipe oder ihren Lieblingspark – ultimative Seismografen fürs Lebensgefühl

Auch so ein Lieblingsplatz: am Kletterfelsen im Volkspark Friedrichshain. Bouldern heißt das neudeutsch Foto: dpa

Was einem ein bestimmter Ort in Berlin wirklich bedeutet, merkt man meist erst, wenn er nicht mehr da ist oder zu verschwinden droht. Denn mit dem Ort geht immer auch ein Stück Berlin – und man muss erst mal mit den Phantomschmerzen klarkommen.

Wenn ich etwa an der Stelle vorbeifahre, wo einst der Festsaal Kreuzberg stand, werde ich daran erinnert, was da mal war, und muss jedes Mal erneut feststellen, dass da jetzt eben nichts mehr ist. Wie sehr diese mal subjektiv, mal objektiv bedeutsamen Orte auch als Seismografen für ein bestimmtes Lebensgefühl stehen, lässt sich an der andauernden Debatte über die Volksbühne ablesen. Den Laden übernimmt bald der gelackte Neue aus Großbritannien, und der bisherige Chef, ein verschrobener Ossi, muss gehen. Das kann ja nur bedeuten, dass Berlin erneut ein Stückchen durchregierbarer gemacht werden soll.

Durch die Wahl eines bestimmten Lieblingsortes stellt man sich selbst in einen bestimmten Bezug zur Stadt und definiert sich dadurch ein Stück weit selbst.

Ich habe ziemlich lange gebraucht, bis ich für mich so einen Ort gefunden habe, der mir wirklich etwas bedeutet. Lange Zeit habe ich alles Mögliche versucht, um herauszufinden, welcher mein Lieblingsort in Berlin sein könnte, aber es war stets vergebens. Ich saß zum Beispiel auf der Modersohnbrücke rum, um gemeinsam mit anderen und einem Bongo-Spieler zu erleben, wie die Sonne hinter dem Fernsehturm unterging. Ziemlich Berlin war das, aber nichts, was ich dauernd brauche.

Lieber keine Stammkneipe

Freunde haben versucht, mich für ihre Neuköllner Stammkneipen zu begeistern, in denen sie jeden am Kickertisch und selbst den Namen des fliegenden Samosa-Verkäufers kennen. Ich musste schnell feststellen, dass ich einfach keine Stammkneipe brauche. Einfach schon deswegen, weil ich selbst in der tollsten Bar mit dem besten Bier immer noch das Gefühl habe, dass es irgendwo anders bestimmt trotzdem noch etwas besser ist.

Unvermutet ist es dann aber doch passiert: Ich habe endlich mein ganz persönliches Stückchen Berlin entdeckt, das hoffentlich nie verschwinden wird, weil alles, was an dessen Stelle treten könnte, nur eine Verschlechterung der Beziehung zwischen mir und Berlin mit sich bringen würde.

Mein Lieblingsort ist das „b-ware! Ladenkino“ in Friedrichshain, ein Kino, das gar keines ist, sondern eine Videothek, in der auch Filme gezeigt werden. Das genaue Konzept versteht niemand, wahrscheinlich tun das nicht einmal die Betreiber des Ladens selbst, und das finde ich faszinierend.

Das b-ware! in der Gärtnerstraße verkörpert für mich mein Ideal-Berlin. Es ist schrullig und schwer erklärbar. Es kommt ohne den Foodie-Quatsch aus, der gerade in anderen Programmkinos der Stadt Einzug hält. Statt Popcorn gibt’s dort eine Whiskeybar.

Trinkgeld fürs Kinoticket

Hipster meiden das b-ware!, weil viele Filme erst gezeigt werden, wenn über sie längst niemand mehr redet, was den Spielregeln des Hipstertums ja widerspricht. Zu viel Kapitalismus wird implizit kritisiert: Es gibt keine Werbung vor den Filmen; der Eintritt beträgt durchschnittlich 4,75 Euro, da gibt man gerne ein paar Cent Trinkgeld obendrauf. Die Musik im Foyer ist auch immer gut und was anderes als das für Foyers übliche Gedudel. Gerade läuft viel Riot-Grrrl-Punk, Seven Year Bitch, Sleater Kinney und solche Sachen.

Egal, was nun genau aus der Volksbühne wird – solange mein Lieblingsort in Berlin in bestehender Form weiterexistiert, ist eigentlich alles gut.

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