Kolumne Down: Ich darf das
Wie ich mal vor dem Kreml stand, kein Geld dabeihatte und Gebärdensprache imitierte, um hineinzukommen. Mich dann aber fragte: Darf ich das?
Über Behinderte macht man keine Witze, ich weiß. Man macht diese auch nicht nach oder sich gar über sie lustig. Wer wüsste das besser als ich? Nun, aber darf nicht gerade ich genau all das machen? Immerhin habe ich einen behinderten Bruder und damit quasi einen Freifahrtschein für politisch unkorrekte Witze – finde ich jedenfalls. Und zwar seit ich in der russischen Hauptstadt vor dem Kreml stand und mir all diese Gedanken durch den Kopf schossen.
Es war im Jahr 2000, ich war zum Studium in Moskau. Ich hatte zwar ein Stipendium, aber eigentlich war ich chronisch pleite. Zu gerne wollte ich mir den Amtssitz des russischen Präsidenten von innen anschauen, wollte in die Museen und die Befestigungsanlage. Ich spazierte über den Roten Platz, fotografierte die Zwiebeltürme und schaute also sehnsuchtsvoll auf den Kreml.
Es gab nämlich ein Problem: Ich konnte mir den Eintritt nicht leisten. Mit meinem Studentenausweis bekam ich zwar Rabatt, aber selbst dafür reichte mein Geld nicht mehr aus. Also schlenderte ich weiter um die Mauern herum und fragte mich, wie ich da reinkommen könnte. Da kam mir eine fiese Idee.
Für Menschen mit einem Handicap war der Eintritt kostenlos. Mein ausländischer Name und mein Äußeres waren kein Problem, Russland ist ein Vielvölkerstaat, Menschen wie ich fallen da kaum auf. Nur, sobald ich den Mund aufmachte, konnte jeder hören, dass ich kein Einheimischer war. Mein Körper war auch noch vollständig, sehr sogar. Da hatte ich den Einfall, einfach eine Gehörlose zu spielen.
Dann kommen die Gewissensbisse
Ich erschreckte mich über meine eigenen Gedanken, haderte mit mir, ob so etwas nicht unzulässig sei, und fragte mich, wo mein Gewissen abgeblieben war. Dann aber entschied ich für mich, dass die Armut mich in diese Situation getrieben hatte und dass ich wohl als Angehörige eines Behinderten bitte auch solche Gemeinheiten machen dürfte. Minderheiten dürfen immer über Minderheiten Witze machen, lautete mein neues Motto, und ich beschloss, es einfach zu probieren.
Ich lief also auf den Schalter zu, legte meinen Studentenausweis vor und machte etwas, was ich für Gebärden hielt. Die Frau schaute mich entgeistert an, ich machte einfach weiter, zappelte mit meinen Händen und Armen und schaute sie lieblich mit meinen braunen Augen an – ich muss wie die Unschuld in Person ausgesehen haben, als ich eine der miesesten Maschen meines Lebens abzog.
Doch die Russin wollte mir nicht so recht glauben, schaute auf den Ausweis, schaute mich an, schaute zu ihrer Kollegin rüber. Okay, nächster Schritt: Ich gab komische Geräusche von mir, so, als würde ich versuchen zu sprechen – und es wirkte.
Entweder war die Frau so genervt von meiner Performance oder sie glaubte mir einfach. Jedenfalls bekam ich ein Freiticket und durfte in den Kreml hereinspazieren.
Ich lächelte sie an, machte eine leichte Dankesbewegung und ging hinein. Drinnen achtete ich darauf, nicht einfach loszuplappern – es waren ja überall Kameras. Und ich muss sagen: Es hat sich gelohnt, die Anlage ist eine Sehenswürdigkeit.
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