Kolumne Die eine Frage: Ist Bütikofer kein Genie?
Weiterhin auf Platz 1 der Verlierer-der-Woche-Charts: Die Grünen. Eine Mobilisierung der europäischen Öffentlichkeit ist gescheitert.
I st Reinhard Bütikofer doch kein Genie? Dazu muss man zunächst einschränkend sagen: Es ist nicht bewiesen, dass er eins ist, und schon gar nicht, dass andere denken, er sei eins. Es ist aber Realität, dass andere denken, dass er denkt, dass er ein Genie sei. Und dass soeben mal wieder das Gegenteil bewiesen wurde.
MdEP und Transatlantiker Bütikofer, 61, hatte einen seiner Meinung nach großartigen Einfall: europaweite und nationalstaatenübergreifende Primaries zur Wahl der (symbolischen) Grünen-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl im Mai. Partizipation, Innovation, europäisches Denken, die Grünen endlich wieder vornedran! Er war überzeugt und so überzeugend, dass auch die Berliner Entscheider-Grünen die Sache zumindest nicht verhinderten.
Hinterher ist man immer schlauer, klar. Es gab technische Probleme, problematische Teilhabekriterien, aber der Punkt ist: Es hat keine Sau gejuckt. 22.000 von 200 Millionen wahlberechtigter Europäer wollten online dabei sein. Das ist ein Zehntel der europäischen Parteimitglieder. Davon dürfte noch ein beträchtlicher Anteil von der deutschen Grünen Jugend sein, deren ehemaliges Bundesvorstandsmitglied Ska Keller die Wahl zusammen mit Frankreichs Heldenbauern José Bové gewann. Das Interesse ist größer, wenn – sagen wir – Kaiserslautern gegen Paderborn spielt. Da weiß man aber auch, worum es geht, wer wer ist und für was er genau steht.
„Was soll ich mich engagieren in Russland, ändern kann ich sowieso nichts“, sagt Olympia-Teilnehmer Maximilian Arndt. Viele Sportler sehen das wie er und schweigen zu Putins Politik. Welche Gründe sie haben und wer den Mund aufmacht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Februar 2014. Außerdem: Die EU-Staaten überlegen, wie sie in der Zentralafrikanischen Republik intervenieren können. Eine schnelle Eingreiftruppe hätten sie: die EU Battle Group trainiert seit fast zehn Jahren, eingesetzt wurde sie noch nie. Ein Besuch bei Europas vergessener Armee. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Realistisch betrachtet, gibt es überhaupt nur einen EU-Politiker, den ganz Europa kennt. Der ist zwar ein Grüner, hatte sich aber entschieden, nicht mehr anzutreten: Daniel Cohn-Bendit. Das wollte Bütikofer ändern, klar, aber das Problem ist, dass es praktisch keine Europäer, keine europäische Öffentlichkeit und keine Medienöffentlichkeit gibt, in der die Primary-Kandidaten sich bekannt hätten machen können. Grüne gibt es so richtig auch nur in einer Handvoll Länder. Das relativiert Bütikofers schönen Titel des Parteichefs der Europäischen Grünen.
Wer hat verloren?
Und nun haben eben doch alle jene in der skeptischen EU-Fraktion recht, die Bütikofer darauf hinwiesen, dass man so eine große Sache auch lange und sorgfältig vorbereiten muss.
Wer hat verloren? Die EU, wenn selbst die Superwähler der Grünen sich einen Dreck scheren. Die Grünen, weil sie sich schon wieder selbst eine Schlappe eingebrockt haben. Und ohne Not ihre europaweit anerkannteste Politikerin in Frage gestellt haben, die Co-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms, die das versprengte Wählerhäuflein nur auf Platz 3 gewählt hat.
Harms wird nächste Woche beim deutschen Nominierungsparteitag für Platz 1 antreten. Das hatte sie für sich schon vor Bekanntgabe des Ergebnisses entschieden. Wenn sie gewählt ist, wird es erst richtig spannend, denn dann tritt Sven Giegold gegen Bütikofer um Platz 2 an. Und falls er gewinnt, womöglich ein weiterer Kandidat gegen Bütikofer um Platz 4.
Unlängst im Cicero wurde ihm eine geradezu catilinarische Verschwörung gegen Harms unterstellt. Er habe die Primaries ausgedacht, um Harms mittelfristig zu schwächen, die mit ihrer identitären Verknüpfung des grünen und europäischen Gedankens als logische Nachfolgerin von Cohn-Bendit gilt, gegen den er auch schon vergeblich sondiert haben soll. Ein „grotesker Unsinn“ sei das, Verschwörungsgemunkele, sagt Sven Giegold. Aber andere in Fraktion und Partei sind richtig sauer.
Nachdem jedenfalls Reinhard Bütikofers Strategie einer Mobilisierung der europäischen Öffentlichkeit gescheitert ist, muss er am kommenden Wochenende in Dresden die grünen Delegierten mobilisieren.
Er braucht jetzt eine gute Rede. Vielleicht sogar eine geniale.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version hieß es, Ska Keller sei Sprecherin der Grünen Jugend. SprecherInnen der Grünen Jugend sind aber Theresa Kalmer und Felix Banaszak. Wir bitten um Entschuldigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko