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Kolumne Die eine FrageWer war Harald Schmidt?

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Es wird der Tag kommen, an dem wir uns gegenüber unseren Kindern verantworten müssen, warum wir Harald Schmidt vergöttert haben. Eine Antwort.

Wirft einen langen Schatten: Harald Schmidt. Bild: dpa

D ie letzte Schmidt-Show auf Sky am Donnerstag in einer Woche wird keiner anschauen. Die Leute sagen nur: Ach. Was aber, wenn unsere Kinder eines Tages von uns Rechenschaft verlangen, wie es passieren konnte, dass Harald Schmidt so wichtig wurde, dass wir ihm als „Enzensberger des Privatfernsehens“ (Zeit) huldigten, der eine „eine kollektive Analyse der Gegenwart mit den Mitteln des Humors“ (FAS) leistete? Dann sollten wir nicht betreten schweigen oder fragen, wer Enzensberger war, sondern eine aufrichtige und selbstbewusste Antwort haben.

Also: Harald Schmidt war unser Mann. Und zwar zu Recht. Er war wichtig, weil er gebraucht wurde. Der Sohn eines böhmischen Vertriebenen schuf – das ist meine einzige biografische Unterstellung – mit dem Antrieb einer schwäbischen Kindheit als pickliger Brillenträger, der keine Mädchen abkriegte, peu a peu die omnipotente Kunstfigur „Schmidt“ und irgendwann das Schmidt-Universum.

Diese Figur (und nur um die Figur geht es) suchte in der Uniform des Late-Talkers ab Dezember 1995 bei Sat.1 und ARD seine Welt nach Sinn ab. Und fand Irrsinn. Er emanzipierte sich und uns vom SPD-Moral-Kabarett. Er repositionierte Literatur und Kunstkonsum im Postbürgertum. Oder verhöhnte er solche Gebräuche? Man konnte sich nie sicher sein – das war der entscheidende Fortschritt gegenüber den Moralisten und Leitartiklern. Das war das aufklärerische Moment, denn man kann sich ja eben wirklich nie sicher sein. Außer man ist tot.

taz.am wochenende

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Es gibt Erklärungsversuche, dass das „Format“ sich totgelaufen habe oder Schmidt zu gelangweilt wurde. Ach: Carson, Leno und Letterman haben das viele Jahrzehnte gemacht. Jeden Abend.

Richtig ist: Metafernsehen ist gestern; lineares Fernsehen auch. (Insofern hatte Schmidt schon den richtigen Move zu Sky gemacht.) Vor allem aber: Die Welt hat sich geändert. Manche sagen zwar, „die Welt“ ändere sich nie, aber wenn sich individuelle Welten ändern, ändert sich auch „die Welt“.

So gesehen: Die Ironie war seit den Spontis der späten sechziger Jahre Notwehr gegen die Zumutungen der Zeit, also zum Beispiel schlimme Konservative, noch schlimmere Linksfundamentalisten und die ganzen Phrasen der Gut-Böse-Diskurse. Ironie war eine absolut überlebenswichtige ästhetische Distanzierung. Die superhohl gewordene Formel „im Zweifel links“ wurde völlig zu Recht abgelöst von der Formel „im Zweifel Schmidt“. Nur bei Schmidt war man vor dem ganzen Wahnsinn sicher.

Die Ironie wurde dann nach Nine Eleven und Hartz IV nicht von der Moral abgelöst, wie die Moralisten jubilierten. Quatsch. Es stellte sich nur heraus, dass Ironie als Lebenshaltung für das 21. Jahrhundert genauso unproduktiv ist, wie es Moral immer war. Die Moral, wie sie von unserer Moralpartei Die Grünen vertreten und verkörpert wird, diese Moral ist obsolet, weil sie nur auf Moralproduktion und Moralkonsum zielen kann. Und die ironische Distanzierung von diesen und anderen politischen und vor allem auch ästhetischen Zumutungen ändert real auch nichts.

State of the Art ist jetzt eine Haltung, die auf Handeln zielt, also brüchig und schmutzig ist und manchmal unsexy. Die neue Formel lautet: Im Zweifel – machen. Das aber ist von (der Figur) Schmidt nicht zu leisten, deren Omnipotenz sich ja dem Raushalten und der Unangreifbarkeit verdankt.

R. I. P., Schmidt. Und danke für alles.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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19 Kommentare

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  • Harald sagt ja zu deutschem Wasser...

  • Harald Schmidt ist immer dann großartig, wenn er improvisiert - als Kleinkünstler, als Talker oder als Schauspieler. Es gibt heute ja zahlreiche ordentliche Kleinkünstler, aber nur die wenigsten haben den Mut und die Fähigkeit zur Improvisation. Bei Schmidt hat das Format, noch dazu ein Amerika-Import, nach und nach die Improvisation verdrängt. Das konnte nur in einer Sackgasse enden. Anderen wird es ähnlich ergehen.

  • "..kongenial blödsinnig.."

    Wenn es keinen Sinn gibt, gibt es zwar eigentlich auch keinen Blödsinn, aber ich nehme das mal als Kompliment.

    Helau und Alaaf. :-)

    • P
      PinkNoise
      @lichtgestalt:

      ,

      Sie bestätigen mich nicht nur, indem Sie mit einer offenkundig unzutreffenden Behauptung replizieren, sondern auch, indem Sie: "das mal als Kompliment" nehmen – da hilft auch 00laafs’: „Helle-helle, güll-güll!“* nicht;

      (*cf.: C. Schlingensief’s: «Das deutsche Kettensägenmassaker»)

       

      Differenz zwischen 'Sinn' (Wahrnehmung) und 'Sinn' (Semantik) bekannt?

      • @PinkNoise:

        Mist.

        Meine Wahrnehmung war wieder mangelhaft. Habe die ganze Zeit "Pinknose" gelesen. Aber man lernt halt so selten Sinnnästhetiker kennen.

        • P
          PinkNoise
          @lichtgestalt:

          ,

          und das passiert DER "Lichtgestalt" "die ganze Zeit"? Tzz-tz-tz. Wie wäre es also lieber mit: 'Armleuchter' – auch ganz ohne synästhetische Fähigkeiten praktizierbar und unverdächtig "Sinnnästhetiker" zu sein; hilft auch das nicht, gäbe es ja noch das besondere "Mist"-Telekolleg im NDR, extra3, z.b.:

          http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/extra_3/media/extracc100.html

          .... leider noch ohne Ihre: "Pinknose".

          • @PinkNoise:

            Ironie ist immer dann gut, wenn sie verstanden wird.

            • P
              PinkNoise
              @lichtgestalt:

              ,

              Dualist.

              Und im Nachhinein soll ’s dann immer wieder: "Ironie" gewesen sein – last exit (to nowhere), resp.: “Wir amüsieren uns zu Tode”.

  • @Bruederlichkeit: Blödsinn. Satire, Zynismus, Ironie und Sarkasmus kommen schon mal scheinbar im gleichen Gewande daher und sind dann nur schwer zu unterscheiden.

     

    Der Text von Peter Unfried ist zuerst einmal eine feine Analyse. Vielleicht etwas ironisch. Ironie kann man ja einem Text auch noch nachträglich als Intention unterschieben. Das ist ein beliebtes Stilmittel, wenn man sich argumentativ verrannt hat. Das Problem liegt aber hier, wie gesagt, nicht vor, da es sich ja um eine Analyse handelt.

     

    Erhellend, aber eigentlich nicht überraschend an dieser Aufarbeitung von Peter Unfried ist für mich die Erkenntnis, dass auch Moral produziert und konsumiert werden. Bzw. wurden Braucht ja niemand mehr, also wird auch keine mehr produziert. Alles regelt der Markt. Angebot und Nachfrage regeln den Preis; und Moral ist einfach zu teuer. Kann sich kaum jemand leisten.

     

    Trotzdem sollen wir handeln. Wäre doch toll, wenn das mit Haltung gemacht wird. „Bella figura“, wie man in Italien sagt, in DE gern als „schöner Schein“ missinterpretiert. Die Krönung wäre dann, in graziler Haltung nichts zu tun und nur noch Sinn zu konsumieren. Wie weiland der große Wolfgang Neuss. „Hast Du noch Gras in der Matratze, so mach dem Leben eine Fratze.

    • P
      PinkNoise
      @lichtgestalt:

      ,

      "(....); und Moral ist einfach zu teuer. Kann sich kaum jemand leisten."

      "(....) und nur noch Sinn zu konsumieren."

       

      Abgesehen davon, dass es weder eine allgemeingültige "Moral", noch irgendwelchen "Sinn" gibt: kongenial blödsinniger Leserkommentar.

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    So einen drögen Artikel hat Harald Schmidt als Schwanengesang nicht verdient. Lasst ihn doch selber schreiben, das ist bestimmt vergnüglicher.

    • @738 (Profil gelöscht):

      Texte von Peter Unfried sind manchmal wie trockenes Brot. Da müssen Sie tüchtig drauf rum kauen. Dann kommt der Geschmack. Und das Dröge geht auch weg.

      • P
        PinkNoise
        @lichtgestalt:

        Aha, also eher was für Sabberer u./o. Speichellecker;

        oder schreibt der Unfried sonst für Bernd-das-Brot?!

  • Z
    zyx

    Also ich habe HS nie vergöttert. Gut er war manchmal witzig, aber niemand, den man jeden Abend sehen will. Schon gar kein wirklicher Intellektueller, der wichtige Anstöße gibt oder hilft, die Welt besser zu durchschauen. Eher jemand, der sich auf etwas höherem Niveau über die Welt lustig macht. Dass ihn sich allwissend dünkende Kritiker zum intellektuellen Komiker hochgejubelt haben, dafür kann ich nichts - HS übrigens auch nichts.

  • L
    lop

    Ein guter Witz ist der Untertitel der Überschrift.

     

    Unsere Kinder werden mit dem Namen und dieser bedeutungslosen TV-Welt-Figur ohnehin nichts anfangen können.

     

    Also besteht auch kein Grund zur Rechtfertigung...

    • A
      Anno
      @lop:

      Sich Hinsetzen, den Kindern Ausschnitte von Wim Thoelke, HJ Kulenkampf oder Harald Schmidt zeigen und denen erklären, dass man sich das mal angesehen hat früher?

       

      Wie denn?

  • B
    bruederlichkeit

    Nun Herr Unfried, Sie kritisieren moralinsauer (!) die „Moralapostel“, weil deren Argumentation ja nur auf Moralproduktion und Moralkonsum ziele und Sie kritisieren die Ironiker (die Sie leider von den Zynikern nicht unterscheiden), weil die eben auch nichts änderten.

    Ihre Moral, Herr Unfried, lautet: Mensch muss trotz Zweifeln vor allem handeln! Nun, das zeigt, auch Sie kommen an der moralischen Frage nicht vorbei, auch wenn Sie sich das einbilden. Auch Sie haben einen Maßstab der Bewertung genannt Moral. Das immer noch populäre verbale Rumdreschen auf den anderen - mit der anderen als der eigenen Distinktionsmethode, u.a. den Moralisten – verdeckt doch nur die Tatsache, dass wir als Bildungsbürgertum sehr, sehr erfindungsreich sind wenn es darum geht, uns aus dem Staub zu machen und uns unsere Hände an diesem Kapitalismus und in dieser Gesellschaft nicht wirklich schmutzig zu machen. Die einen flüchten in moralische Welten, führen gleichzeitig Kriege, die anderen ironisieren und zynisieren was das Zeug hält, bereichern sich gleichzeitig als Teil der Ausbeutungs- und Zerstörungsmechanismen, wieder andere flüchten in die Empfindsamkeit der Selbsttherapie und persönlichen Entwicklung (ein „notwendiger“ Schritt in die individuelle Sackgasse), die nächsten strömen in Kinos, Literatur und Kunst und lassen es sich gut gehen (während sie die Politiker verachten) usw. und so fort.

    Handeln ist gut. Nur ohne Wertmaßstab und Zielrichtung, ohne kritische Distanz (manchmal auch Ironie) zu den medialen Informanten und Kommentatoren, ohne demokratischen wie transparenten Diskurs, ohne Analyse der Macht- und Kommunikationssituation ist Handeln dummes Rumstochern im Heuhaufen, welches sich allzu leicht vereinnahmen und missbrauchen lässt. Natürlich muss es auch mal spontanes Handeln aus dem Bauch heraus geben. Alles zu seiner Zeit.

    • FF
      Feine Freunde
      @bruederlichkeit:

      Wow, für jede/n eine Schublade parat. Ich nehme an, nur Sie und Ihresgleichen passt in keine einzige.

    • A
      Annika
      @bruederlichkeit:

      Bravo