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Kolumne Die eine FrageTrittin des Südens gesucht

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Sind Sie eigentlich ein Grüner Oberideologe, Winfried Hermann? Auf einen Obstsalat mit dem bekanntesten Verkehrsminister der Bundesrepublik.

Winfried Hermann glaubt an die Kraft des guten Arguments. Bild: dpa

A ls der Grüne Landesminister Winfried Hermann in Bad Mergentheim den Spatenstich für eine Ortsumfahrung getan hatte, sprach ihn ein alter Mann an. Ob der Herr Verkehrsminister wisse, wer diese Straße den Mergentheimern versprochen habe, fragte der Alte und gab gleich die Antwort: Hans Filbinger. Zu seiner Zeit als Innenminister. Also in den Sechzigern.

Hermann wusste das nicht, aber er erzählt es seither gern. Weil es seine Sicht der Dinge bestätigt: Die CDU Baden-Württemberg hat über Jahrzehnte eine Verkehrspolitik der haltlosen Versprechungen von Straßen gemacht. Er hat nun den Wechsel zur nachhaltigen Mobilität eingeleitet, und der lautet im Bereich Straßenbau: sanieren statt neu bauen. Erst mal zu Ende bauen, was angefangen wurde. Nichts versprechen, was nicht finanziert ist.

Hermann interessiert sich nur für Fahrräder und weigert sich aus weltanschaulichen Gründen, Straßen und Ortsumfahrungen zu bauen, obwohl sie dringend gebraucht werden. Das ist die Sicht der CDU.

Der Minister sitzt in der Berliner Landesvertretung von Baden-Württemberg, hat gut zu Mittag gegessen und beschäftigt sich jetzt mit einem Obstsalat. „Der Witz ist“, sagt er halb grinsend, halb gequält, „dass die mir vorwerfen, ich sei ein Oberideologe.“ Es sei andersherum: „So verbohrte, verbiesterte Ideologen wie in der CDU-Landtagsfraktion triffst du sonst im ganzen Land nicht mehr.“ Er selbst mache „ganz rationale Verkehrspolitik“.

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Leiden unter der Oligarchie der CDU

Hermann, 61, und noch immer überall als „Winne“ bekannt, hat eine klassisch-baden-württembergische Anti-Establishment-Laufbahn hinter sich. Zivildienst, Gymnasiallehrer, 1982 wegen Helmut Schmidt von der SPD zu den Grünen. Litt immer unter der Oligarchie der CDU. Baute sich im realodominierten Landesverband einen Markenkern als aufrechter „Ströbele des Südens“ auf und platzierte sich verlässlich auf vorderen Listenplätzen. Er hätte 2011 als angesehener Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag bleiben können. Aber er wollte endlich zeigen, dass er es nicht nur besser weiß. Sondern es besser kann als die CDU.

Ob das faktisch so ist oder anders, ist sekundär. Primär geht es um die Frage, ob der grüne Ministerpräsident Kretschmann nur ein Wimpernschlag der Geschichte bleibt und nach der Wahl 2016 alles wieder seinen CDU-Gang geht. Angesichts der parteiübergreifenden Zustimmung für den Ministerpräsidenten soll nach dem Plan der CDU der Verkehrsminister in der Rolle des „Trittin des Südens“ den Ökofundi-Malus liefern und die beliebte grüne Volkspartei Richtung Bundesgrüne abschmelzen.

Erstens weil Autos und Straße im Land pars pro toto für Wirtschaft und Wohlstand stehen. Zweitens weil Hermann als oberster grüner Stuttgart-21-Gegner von Anfang an Angriffsflächen bot. Drittens weil die CDU in diesem Bereich mit der verkehrspolitischen Sprecherin Nicole Razavi eine ernstzunehmende Angreiferin hat. Einen echten Treffer landete sie, als sie behauptete, dass er 100 Millionen Euro an Bundesmitteln für Straßenbau nicht abgerufen habe. Wenn Hermann das gegenrechnet, bleiben 6 Millionen Euro, und er erklärt es als grundsätzlichen Bruch mit dem CDU-System des Bauens auf Verdacht.

„Man spürt einfach, dass Hermann mit Straßen und Automobilen auf Kriegsfuß steht“, sagt Razavi am Telefon. Der Unterschied zwischen grüner und CDU-Verkehrspolitik? „Grüne Verkehrspolitik ist ideologisch geprägt, bevormundend und will die Menschen stark beeinflussen.“ Ihre Politik orientiere sich an den Bedürfnissen des ganzen Landes, der Menschen und der Städte und des ländlichen Raums wie auch der Wirtschaft.

Razavi kennt sich im Ministerium aus, weil sie dort einst Referentin eines Staatssekretärs namens Stefan Mappus war. Sie ist besorgt darüber, wie dort heute mit bestimmten CDU-Mitgliedern umgegangen wird. Hermann denkt, das seien ihre Informanten. Sie beklagt Verschwörungstheorien. Er beklagt, dass die CDU ihre Methoden fälschlicherweise nun auf ihn projiziere. „Die CDU, die selbst Dreck am Stecken hat, versucht mit ihrem dreckigen Stecken mir etwas von dem Dreck anzuhängen.“ Die beiden haben sich ziemlich ineinander verkeilt.

In Wahrheit liegen sie wohl nicht so weit auseinander, wie sie tun. Genau deshalb wird eine Entweder-oder-Schicksalsentscheidung ausgerufen. Weshalb sie im Staatsministerium bisweilen halb skeptisch in seine Richtung schauen, ob was hängen bleibt. Manchmal ist Hermann selbst verwundert. „Es ist schon komisch, wenn man als Grüner betonen muss, dass man Rekordsummen aus Bundesmitteln im Straßenbau umgesetzt hat“, sagt er. Er ist ja wirklich Fahrradfahrer, nicht nur auf Werbefotos wie Parteikollegen. Und er glaubt tatsächlich, dass die Grünen als führende Regierungspartei ein Land in der Realität politisch und kulturell transformieren – und wiedergewählt werden können.

„Es ist vielleicht mein größter Irrtum, dass ich immer noch an die Kraft des guten Arguments in der Politik glaube“, sagt er seufzend. Dass das so ist, bestätigen Weggefährten. Manche halten ihn deshalb für naiv. Aber, keine Sorge: Der Mann hat Jahrzehnte in der düster-kalten Schlangengrube der Grünen überlebt. Den wirft so leicht nichts um.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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