Kolumne Die Kriegsreporterin: Journalisten auf NSA-Bereitschaft
Wer darf bei Varoufakis übernachten? Wer stürzt Merkel? Und auf welchem Loch pustet Franz Josef Wagner? Es ist viel los in den Medien.
Hallo, taz-Medienredaktion!
O mein Gott! Ein Journalist des Sterns war im Haus von Varoufakis, als zwei Journalisten vom Spiegel mit ihm, Varoufakis, nicht dem vom Stern, ein Interview führen wollten! Ich fasse es nicht! Nun fürchten, ja vermuten die Spiegel-Leute – Thomas Hüetlin und Dirk Kurbjuweit –, der Stern-Heini, Arno Luik, habe das Gespräch belauschen wollen. Ist ja klar. Denn er war „in der Nähe der Tür“. Und es war Donnerstag, „elf Uhr“. Ich meine, hallo!, wenn der Spiegel kommt, dann hängen wir doch alle an den Türen und blasen unsere Ohren auf NSA-Empfangsbereitschaft auf.
Achtung, Achtung!, der Spiegel spricht. Nein, er fragt! Was mag er fragen? Herr Varoufakis, fahren Sie ein deutsches Auto? Nein, er fragt: „Werden Sie bei diesem Gespräch rote oder blaue Pillen verabreichen?“ Na, bei so einem tollen Einstieg will man kein Wort verpassen, so als Journalist, der ja selbst keine Fragen hat. Warum sollte man die auch haben, wenn der Spiegel vor Ort ist?
Lustigerweise ätzen gerade die Herren des Magazins, das im Laufe der Jahrzehnte in der oberstes Journalistenprämisse, möglichst „nah“ an einen Protagonisten heranzukommen, Maßstäbe gesetzt hat, in Anbetracht der Tatsache, dass der Stern-Kollege bei Varoufakis übernachtet hat: „Mehr Nähe geht nicht“. Aber vielleicht ist das auch Anerkennung, who knows. Ich sehe jedenfalls förmlich vor mir, wie denen der Hut hochgegangen ist, als sie nach Tagen des Kratzens an Varoufakis’ Tür endlich eingelassen wurden und dann feststellten: Die Konkurrenz ist schon da. Und zwar mitsamt ihrem Kuschelkissen.
Mickrigkeit ist die neue Größe
Wohl dem, der jetzt eine offene Tür im Keller von Horst Seehofer findet, um bei seiner Modelleisenbahn ein paar Züge ineinander krachen zu lassen!
Immerhin aber können sie sich nächstes Jahr, wenn der Henri-Nannen-Preis unter der Vorgabe der stärkeren Würdigung des journalistischen Handwerks „näher an den Stern herangerückt“ ist, sich von den Sternis in Sachen Schnelligkeit einen Oscar abholen. Denn während Arno Luik am Donnerstag um elf Uhr mitsamt seinen spitzen Ohren auf den Kalender starrt und die Tage zählt, bis der Stern wieder erscheint (sieben) und seine Geschichte bringen könnte, ist beim Spiegel die KuHü-Varou-Story bereits am Sonnabend drin.
Und während an einem Ort Mickrigkeit die neue Größe wird, gehen bei Springer die Lichter langsam völlig aus: Kohl tot. Merkel zusammengebrochen. Aufgrund enger privater Verbindungen zur konservativen Machtelite – Helmut Kohl war Trauzeuge von Bild-Chef Kai Diekmann, Friede Springer und Angela Merkel springeln im Berliner Damenkreis – sind die Axel-Medien immer die Ersten, die berichten, wenn bei der CDU ein Stuhl wackelt oder ein Herz zu schlagen aufhören könnte.
Dass sich die Meldungen alsbald als falsch herausstellen, ist geschenkt in Anbetracht der Tatsache, dass ich alias Dr. Psycho hier eine Freud’sche Fehlleistung ausmache. Der unbewusste Wunsch der Springer-Leute, der olle Kohl möge endlich für immer ruhen, ebenso wie die unterdrückte Aggression gegen Merkel führen immer wieder dazu, dass Springer mit Meldungen à la „Das war’s“ an die Öffentlichkeit geht, ohne dass dies den Tatsachen entspricht.
Auch ich bin nicht frei von solchen Fehlleistungen, und so, wie ich Podiums-Tourette habe, so rutschen mir neuerdings auch beim Schreiben Zeilen raus wie: „Die Brieftaube fliegt nicht mehr: Franz Josef Wagner wegen Altersirre ausgemustert“. Oder: „Zu viel Popo-Sex – Franz Josef Wagner pustet auf dem letzten Loch“. Immer optimistisch zurück nach Berlin!
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