Kolumne Die Couchreporter: Alles eine Frage der Perspektive
„The Affair“: Zwei Protagonist*innen, zwei taz-Redakteur*innen, zwei Zuschauer*innen, zwei Sichtweisen.
V on Anne Fromm
Am Anfang dachte ich, das sei eine moderne Version von „Dawson's Creek“. Nicht nur, weil Joshua Jackson mitspielt, sondern auch, weil das Setting ähnlich ist: Junge hübsche Menschen leiden und lieben in einem Feriendorf an der US-Küste. Aber dann wird ziemlich schnell klar, dass „The Affair“ mehr ist als das. Es ist ein Krimi, und zwar ein ziemlich intelligent erzählter.
Die Serie spielt mit zwei Perspektiven: Er, verheirateter Familienvater, trifft eine junge Frau mit einem dunklen Geheimnis. Sie lächelt verführerisch, streicht sich verlegen eine Strähne aus dem Gesicht, fordert ihn auf, ihr in die Dusche zu folgen.
Ihre Version der Geschichte zeigt etwas ganz anderes: Sie, traurig, unsicher und allein, lernt diesen offensiven, älteren Mann kennen. Er hängt sich an ihre Fersen. Sie hat eigentlich anderes im Kopf, als sich zu verlieben. Sie trauert.
Zugegeben, die ersten drei Folgen spielen mit platten Klischees. Doch das ist nebensächlich, denn die zwei Perspektiven sind reizvoll: Sie lösen unsere Vorstellung von Realität auf. Hat er nun recht, sie habe ihn angesprochen? Oder ist ihre Erinnerung richtig, in der er ihr zuerst Zigaretten angeboten hat? Vielleicht kann das ja der Kommissar klären, der die beiden in einer dritten filmischen Ebene getrennt voneinander befragt?
Vielleicht kann es niemand klären, weil es die eine wahre Version nicht gibt. Jede Folge dieser Serie wird zu einem Suchspiel: Ich habe jede Szene auf Unterschiede gescannt, Dialoge und Bilder miteinander abgeglichen – um dann festzustellen: Irgendwie glaube ich doch eher ihre Version.
Von Ambros Waibel
Am Anfang dachte ich, das interessiert mich jetzt nicht so. Nicht zuletzt, weil es kaum einen Schauspieler gibt, der für mich dermaßen auf eine Rolle festgelegt ist wie Dominic West als moralisch zerknautschter Polizist in „The Wire“.
„The Affair“ hat mich dann aber so fest an den Haken gekriegt wie zuvor nur „The Sopranos“. Das liegt daran, dass beide Serien die großen Fragen stellen: Wer bin ich? Was ist eine Familie? Wie geht das schöne Leben im falschen?
Dominic West verkörpert Noah Solloway: Mitvierziger, Ehemann, Familienvater, Lehrer. Er will all das sein, und er will es gut machen. Denkt er. Denn eigentlich will er etwas anderes. Ein berühmter Schriftsteller werden und tun, was seinen Künstlertraum bestimmt: In erster, zweiter und dritter Linie also rumvögeln.
Und da kommt die alte Geschichte eines Mannes ins Spiel, der von heute auf morgen seine Familie verlässt, spurlos verschwindet und nach Jahren in einer anderen Stadt gefunden wird, in der er exakt so lebt wie vorher – nur mit neuer Frau und neuen Kindern. So fährt auch Solloway nach einigen Eskapaden aufs tote Gleis zurück.
Ich gebe zu, dass mich die Hauptdarstellerin Ruth Wilson und ihre Rolle weniger interessiert. Ein bisschen, weil Wilson mich als wunderbar irre „Luther“-Freundin in der gleichnamigen Krimiserie mehr überzeugt; aber vor allem, weil mir die Geschichte von Aufbruch und Scheitern, von Wahn und Wirklichkeit des Noah Solloway einfach mehr Fallhöhe zu haben scheint. Aber vielleicht täusche ich mich. Wie alles in „The Affair“ ist auch das eine Frage der Wahrnehmung.
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