piwik no script img

Kolumne Der Rote FadenWenn nichts hilft, hilft Hitler

Daniel Schulz
Kolumne
von Daniel Schulz

Es gibt das neue Genre der Cockpittürenanalyse. Suizid ist ein Verbrechen. Und Trauer wird besser vom Zettel abgelesen. Ein Wochenrückblick

Gedenkstein in der Gegend des Airbus-Absturzes. Bild: ap

E s gibt nichts Schwierigeres, als nicht zu erklären. Man möchte den Leuten erklären, dass sie keine Angst vor dem Fliegen haben müssen. Das ist immer noch so viel sicherer als Auto fahren. Man muss ihnen erklären, dass die sogenannten Sicherheitsmaßnahmen nach 9/11 nur neue Risiken geschaffen haben so wie diese Tür vor dem Cockpit, und in der Bundesregierung sollten sie mal darüber nachdenken, ob die Vorratsdatenspeicherung nicht irgendwie das Gleiche ist.

Man muss dem Leser, dem Zuschauer mal erklären, wie so eine Cockpittür funktioniert. Und dass es einen Begriff dafür gibt, wenn ein Copilot andere Menschen ohne ihr Einverständnis mit in den Tod reißt: Homizid-Suizid. Ganz sicher muss man ihnen erklären, dass der Absturz in Frankreich für den //twitter.com/niggi/status/581204080338534400:schlimmsten deutschen Massenmord nach 1945 steht. Wenn gar nichts mehr hilft, hilft Hitler.

Wegen der begründeten Annahme, dass ein Mann, ohne dabei den Namen seines Gottes zu schreien, hundertfach erweiterten Suizid begeht, stehen JournalistInnen in französischen Bergtälern herum, in denen nichts passiert. Andere sind längst weitergezogen, nach Montabaur in den Westerwald – dorthin, wo der Pilot Andreas L. wohnte –, um, wie es Kai Diekmann von der Bild sagt, ein mögliches Verbrechen aufzuklären, das schlimmste seit Jahrzehnten. KollegInnen erklären ihm, warum das nicht geht. Voyeurismus habe nichts mit Journalismus zu tun. Was eine kühne These ist, aber der Streit hat etwas Tröstliches, er ist rational fassbar.

Diese Texte werden folgen: Medien im Zeitalter des Internets. Schneller, lüsterner, harte Konkurrenz. Interpretationen des Pressekodex. Richtlinie 8.1 – Nennung von Namen/Abbildungen: Die Nennung des vollständigen Namens und/oder die Abbildung von Tatverdächtigen, die eines Kapitalverbrechens beschuldigt werden, ist ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn dies im Interesse der Verbrechensaufklärung liegt …

Liegt ein Verbrechen vor? Immerhin hat ein Staatsanwalt die Ermittlungen aufgenommen, aber der könnte auch von Airbus gesteuert sein, die Franzosen haben schon früher versucht, ihre Konzerne zu schützen. Talkshow von Maybrit Illner, ein neuer Ansatz, dem man mal nachgehen könnte. Große Zeitleiste auf Seite 4, die fünf größten Verbrechen staatsnaher Firmen, die der französische Staat zu vertuschen versucht hat. Gab es da nicht diesen Konzernchef von Elf Aquitaine in Angola, der jahrelang Waffen für die Rebellen der Unita besorgt hat?

Es ist, als malte man ein Blatt mit Buntstiften aus, aber in der Mitte bliebe es immer weiß. Je mehr Erklärungen es gibt, desto sichtbarer wird die, die es nicht gibt, die Antwort auf die eine Frage: Warum?

taz.am Wochenende

Wir kennen die Bilder von überfüllten Flüchtlingsschiffen, die Storys von Schleusern. Aber wie sieht der Alltag einer Flucht aus? Wie verhandelt man mit Schleusern, wie genau überquert man Grenzen? In der taz.am wochenende vom 28./29. März 2015 rekonstruieren wir den Weg der drei jungen Syrer Amjad, Iyad und Osama und dokumentieren ihn mit ihren eigenen Fotos. Dazu gibt es die Multimedia-Reportage auf taz.de. Außerdem: Kann man Kinder bald nur noch in Großstädten bekommen? Wie eine Stadt um ihre Geburtsstation kämpft. Und: Ein Leben im Kornfeld. Unterwegs mit Jürgen Drews. Am Kiosk, eKiosk oder gleich .

Aber was ist mit den Opfern, die es jeden Tag in Afrikasienlateinamerika gibt? Warum trauern wir um die nicht genauso? Schmerzensmathematik. Aufgabe: Ist das Leid eines Toten in Nigeria kleiner, gleich groß oder größer als das eines Toten aus Düsseldorf?

Empathie ist schwierig, anstrengend. Empathie ist keine Handlung im Affekt, kein Die-Hand-vor-den-Mund-Schlagen und auch nicht, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn man selbst in dem Flugzeug säße, vielleicht sogar derjenige wäre, der mit der Axt gegen die Tür drösche, immer und immer wieder, und um einen herum da schrien alle, und es wären Kinder an Bord, und dieses Arschloch von einem Piloten … Wie kann man so etwas nur tun, dieses Dreckschwein … Alles verständliche Reaktionen, aber keine Empathie. Sie hilft nicht, die eigene Angst und Verunsicherung zu beseitigen oder so zu tun, als ginge das. Sie verlangt das Gegenteil, sich auf den Schmerz anderer einzulassen – ohne zu vergessen, dass es nicht der eigene Schmerz ist und Rachefantasien allenfalls den Angehörigen zustehen. Empathie ist still, sie ist nutzlos, denn sie führt zu nichts. Sie macht keine Flugzeuge sicherer, produziert keine griffigen Sätze auf Facebook und Twitter.

Die erhellendste Passage in einem langen Text auf Seite 3 der Süddeutschen Zeitung vom Mittwoch beschreibt, dass auch Angela Merkel, emotionaler Frivolitäten unverdächtig, ihre Trauer von einem Zettel abliest. „Die Kanzlerin redet nicht frei, das macht sie nie in solchen Fällen.“

Sie sagt: „Meine Gedanken und meine Anteilnahme, auch die der gesamten Bundesregierung, sind bei den Menschen, die so jäh ihr Leben verloren haben.“

Braucht man dafür ein Blatt Papier? Für diesen Satz? Muss man nicht sehr ängstlich und herzenskalt sein, um in einer solchen Situation nicht frei sprechen zu wollen?

Es ist eine Kapitulation: die Anerkennung, wie übermächtig der Impuls ist, eine Antwort zu produzieren, sich selbst zu erleichtern und dabei die zu vergessen, denen Mitgefühl gebührt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Schulz
Reportage und Recherche
Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Daniel Schulz hat völlig recht: Manchmal gibt es tatsächlich nichts Schwierigeres für den vernunftbegabten Menschen, als nicht zu erklären. Die Hoffnung, schließlich, hält uns alle irgendwie am Leben.

     

    Dem Kai Dieckmann beispielsweise (oder dem, der unter diesem Namen twittert) möchte man ganz dringend den Unterschied erklären zwischen einem (erweiterten) Selbstmord und einem Verbrechen. Auch auf die Gefahr hin sich lächerlich zu machen, weil alle früheren Versuche, Herrn Diekmann irgendetwas zu erklären, gescheitert sind. Man möchte schreiben, dass es sich bei der Frage: "Suizid der Verbrechen?" um eine Frage der Entscheidungsfreiheit handelt. Selbstmörder, auch solche, die andere Leute mit in den Tod reißen, haben nach eigener Überzeugung keine andere Wahl mehr als den Tod. Verbrecher hingegen haben eine Wahl. Sie entscheiden sich mehr oder weniger frei. So wie die Nazis seinerzeit.

     

    Wer das weiß, der möchte dringend darauf hinweisen, dass Kai Diekmann seines Postens enthoben gehört. So, wie dieser Pilot hätte nicht fliegen dürfen, sollte Diekmann nicht veröffentlichen. Der Mann ist nämlich entweder krank (wenn er nicht anders KANN), oder er ist ein Verbrecher (wenn er nicht anders WILL). Laut Lexikon ist ein "Verbrechen“ schließlich ein "schwerwiegender Verstoß gegen die […] Grundregeln menschlichen Zusammenlebens". Und Angehörige von Opfern einer Tragödie in ihrer nicht selten existenzbedrohenden Trauer und Verzweiflung zusätzlich zu belasten mit voyeuristischen Nachstellungen, ist so ein Verstoß. Es könnte schließlich sein, dass die Belästigten dann keinen Anderen Ausweg mehr erkennen als den in ihren eignen Tod.

     

    Kai Dieckmann (bzw. sein Twitter-Zwilling) sind nicht einfach dumm. Sie sind "Vollprofis". Dummheit ist keine Krankheit und auch kein Verbrechen. Dummheit ist "heilbar" durch Erklärungen. Verbrechen nicht. Bei Krankheit streiten die Gelehrten noch. Die halbe Hoffnung also bleibt...