Kolumne Das Tuch: Dem Sonnenuntergang entgegen
Es ist Fastenzeit. Ich sitze im Flugzeug und habe ein Grummeln im Magen - nicht wegen der Leere, sondern vor lauter Erklärungswut im Bauch.
Schon den ganzen Tag grummelt mein Bauch. Es ist Fastenzeit und ich sitze im Flugzeug von London nach Hamburg. Eigentlich brauchen Reisende nicht fasten - aber der kurze Flug ist keine beschwerliche Reise. Deshalb faste ich trotzdem. Gleich wird die Sonne untergehen und ich werde essen dürfen. Mein Sandwich liegt auf dem Klapptisch bereit.
Ich werde ganz ungeduldig und beobachte den heiß ersehnten Sonnenuntergang. Ein älteres britisches Pärchen sitzt neben mir und schaut mir interessiert zu. Wir lächeln. Als ich mich wieder vorbeuge, um durch das Fenster zu schauen, beugt sich auch der ältere Herr vor. Andere Mitreisende tun es ihm nach und schauen ebenfalls aus dem Fenster. Etwas Ungewöhnliches muss es da draußen ja geben.
Gibt es aber nicht. Nur Sonne und ein bisschen Wolke. Ich spüre die vielen Blicke, eine ganz unangenehme Spannung liegt in der Luft. Am Liebsten würde ich jetzt aufstehen, die Stewardess um eine Minute am Bordmikro bitten und den Passagieren erklären, dass ich als fastende Muslima erst ab Sonnenuntergang essen darf und deshalb ständig aus dem Fenster starre. Dann würden alle "aha" und "ach so" machen. Jemand würde vielleicht eine Frage stellen. Ich antworte und zum Abschluss würden wir ein bisschen lachen. Und die unerträgliche Spannung wäre schwuppdiwupp verschwunden. Ich stehe aber nicht auf und fragen tut auch keiner.
Dabei wünsche ich mir in solchen Situationen ganz oft, man würde mich einfach mal fragen. So wie damals, als ich gerade auf der Unitoilette meine Gebetswaschung machte und ein Mädchen mich mit einem Fuß im Waschbecken erwischte. Wir beide waren uns der Abnormität der Situation sehr wohl bewusst. Trotzdem ignorierten wir das eben Geschehene. Das macht man meistens so, wenn einem etwas Peinliches passiert. Aber weil die Waschung ja eigentlich nichts Peinliches ist, wünschte ich mir innerlich sehr, sie würde mich fragen, was ich tue. So könnte ich mich erklären.
Oder als ich in einem Londoner Park mit zwei Freundinnen beten wollte. Es war fast schon dunkel. Also stellten sich meine Freundinnen hin und beteten auf dem Gras. Ich sorgte mich aber darum, was die Passanten bei unserem Anblick denken würden. Darum (und weil ich mich unter Beobachtung nicht konzentrieren kann) beschloss ich, im Sitzen zu beten. Das heißt: Ich saß auf der Bank, Hände auf den Knien, rezitierte aus dem Koran und beugte mich ein bisschen vor und zurück. Ganz unauffällig.
Ha! Falsch gedacht. Meine in normaler Position betenden Freundinnen boten den Passanten ein vertrautes Bild von betenden Muslimen; das wippend mit sich selbst sprechende Mädchen auf der Bank hingegen - das musste verrückt sein. Konzentration: Ade! Uneigentliche Peinlichkeit: Hallo!
So sitze ich also im Flugzeug und habe ein Grummeln im Magen. Mittlerweile aber nicht wegen der Leere, sondern vor lauter Erklärungswut im Bauch. Grimmig schaue ich ein letztes Mal aus dem Fenster. Die Sonne ist endlich untergegangen. Da sagt der ältere britische Herr zu mir: "Ich glaube, es ist jetzt so weit."
Leser*innenkommentare
Hulda
Gast
...mit Verlaub, Jensmichael, ich glaube nicht, dass du zu denen gehoerst, die still im Kaemmerlein beten. Solche Leute sind naemlich fast immer sehr tolerant und freundlich gegenueber Glaeubigen aller Coleur.
Dein immer wieder vorgebrachtes Argument bedarf aber der Erlaeuterung. Obwohl ich vermute, dass dich diese Erklaerungen nicht interessieren werden, erlaeutere ich trotzdem, aus ebenden Gruenden, die ich gleich darlegen werde.
Erstens ist es unfair, Muslimen pauschal Geltungsbeduerfnis vorzuwerfen, denn der Islam unterscheidet sich nicht in Bezug auf die Idee vom Glauben im stillen Kaemmerleich vom Christentum. Auch sonst werden oft werden ganz falsche Parallelen und Rueckschluesse gezogen.
Im Islam gibt es keine Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem. ES gibt auch keine Unterscheidung zwischen Kirche bzw. Moschee und anderen Orten, zwischen Sonn und Feiertagen. ES gibt auch keine suendhafte Natur, suendhaftes Alltagsleben, fuer das man am Sonntag Busse tun muss.
Gott finden Muslime in der Natur ebenso wie in der Moschee , und diese Aussage basiert auf dem Koran, der den Menschen auffordert, Gott in der Natur und in sich selber zu suchen. Der Alltag ist eingebunden in den Gottesdienst, und umgekehrt.
Jede Handlung aus guter Absicht heraus, im Einklang mit Gottes Geboten, ist ein Gottesdienst, auch wenn es sich um Einkaufen, Sex oder den Gang zur Toilette handelt. Der Alltag ebenso wie menschliche Beduerfnisse haben im Islam nichts Anruechiges.
Weil der Islam samt Geboten schlicht untrennbar mit dem Alltag verwoben sind, ist es ganz und gar unmoeglich, hier trennen zu wollen. Selbst wenn man wollte. Fakt ist aber, dass du Recht hast. OFt wollen Muslime das auch gar nicht, und haben einen Drang zum Erklaeren oder Missionieren, wie du argwoehnst.
Der Grund dafuer liegt schlicht in der Tatsache, dass der Islam zweifellos die missverstandenste, ja meistgehasste Religion der Welt ist momentan, und Muslime angesichts der Unmenge der Missverstaendnisse und zum Teil gezielt verbreiteten Halbwahrheiten manchmal verzweifeln moechten.
Es ist einfach frustrierend, wenn man die Gedanken in den Gesichtern der Mitmenschen geradezu lesen kann (oder dies zumindest glaubt, wie in Kuebras Geschichte), weil man dieselben Stern oder Bild oder Emmaartikel gelesen hat, aber keine Chance hat, etwas richtigzustellen. Ausser im TAZ Forum....
mfG HOldehilde
BeU
Gast
@ Michael:
Für mich persönlich kommt es daruaf an, wie die Frage gestellt wird.
Ist sie lediglich darauf gerichtet das Gegenüber bloß zu stellen, ist sie zynisch? - Das merke ich sofort und kann getrost auf die Frage verzichten und selbst auch mal bissig reagieren.
Andererseits merke ich natürlich auch sofort, wenn echtes Interesse besteht und antworte dann gerne und je nach Wunsch auch ausführlich. Für den Rest des Tages freue ich mich dann einen Kullerkeks über denn netten, offenen Mitbürger, der sich getraut hat zu fragen, statt mich schief von der Seite anzugucken...
M.A.
Gast
Ich finde, jeder hat das recht zu schreiben wie er will und zu leben wie er will...schadet doch niemandem..im gegenteil, es fördert ein gegnseitiges kennenlernen...
die religion hat eine andere bedeutung für muslime als für viele von euch..vielleicht ist das der grund weshalb viele nicht schnallen und meinen muslime seien so "schwierig" zu integrieren.
meine devise: jedem das seine! :)
Schulamith
Gast
@Miles
du hast es erfasst, Bingo!
Otto Ullrich
Gast
Es ist schon sehr merkwürdig, wie jemand bedenkenlos ein Flugzeug benutzt für eine Strecke mit guter Bahnverbindung, also keinerlei angemessenes Verhalten zeigt angesichts der Klimakatastrophe, stattdessen aber sklavisch sein Verhalten ausrichtet nach über tausend Jahre alten Vorschriften, die für damalige Wüstenbewohner vielleicht einen Sinn hatten.
jensmichael
Gast
@Gerhard: Dein Kommentar triffts!
Was wäre diese Welt für ein wunderbarer, friedlicher Ort, wenn die Religiösen jeglicher Geschmacksrichtung in aller Stille und in den eigenen vier Wänden Zwiesprache mit ihrem Gott halten würden, statt unentwegt andere Menschen mit Äußerlichkeiten zu behelligen, sie zu missionieren, sich ihnen mitzuteilen.
Licht
Gast
@Sakine Subasi
Ich habe den Text auch so verstanden wie du. Die Leserkommentare beweisen es, dass wir uns
teilweise durch eigene Fehlinterpretationen das Leben schwerer machen. Es sind noch einige, die nur gut glotzen können, aber eben sind es nicht alle und mit der Zeit werden es auch hoffentlich nur wenige sein.
Den Text finde ich sehr gut.
Schade, dass diese Überraschungseffect mit dem Opa von vielen glatt überlesen würde.
saliha
Gast
@michael ich finde es sehr gut das du zu diesen thema nachhakst(soll ich jetzt nachfragen oder nicht) aber nur zur info, wir leben in einem zeitalter wo das wissen nur ein mausklick entfernt ist!! da finde ich kann man ruhig mal bei google muslime oder islam eingeben und mal nachlesen...schon seit 1960 sind wir fester teil der deutschen Gesellschaft. z.B. hat mein Opa mir erzählt das sie das Freitagsgebet, da es noch keine Moscheen gab, in der Kirche ausrichten durften. Die Muslime waren und sind nicht am rande der Gesellschaft gewesen. jeder hat so gut wie möglich versucht seinen glauben auszuleben.
also kann man schlussfolgern das das praktizieren nicht neu begonnen hat sondern schon seit über 40 Jahren in der öffentlichkeit der Islam praktiziert wird. sei es das Kopftuch, das Gebet, Fasten e.t.c.
meiner Meinung nach sollte es als eine Wissenslücke gelten über eins der Weltreligionen die immer mehr zuwachs findet nichts zu wissen.
Lieber erst mal schlau machen und wenn man wirklich etwas mehr wissen möchte nachfragen, weil ich auch aus eigener Erfahrung weiß ist es nicht gerade toll wenn man unter Zeitdruck steht und jemand aus Jux und dollerei mich anspricht und z.B. ist es nicht heiß sagt. Da muss ich sagen ich muss mich bestimmt nicht rechtfertigen wieso ich etwas mache und immer zu sagen nein es ist nicht heiß beim fasten nein ich kriege keinen Schwindelanfall. Denn in grundegenommen muss keiner sich rechtfertigen wieso er etwas macht nur weil es manchen nicht ins Weltbild passt ( Thema Kopftuch!!!) wenn wirklich jemand interessiert ist, das merkt man auf Anhieb, beantworte ich gern jede frage, aber bei Personen die nur fragen um mich in meiner Auslebung bloß zustellen oder mich anzugreifen sag ich schon mal : gib Kopftuch bei Google ein und lies nach!!!!
Sakine Subasi
Gast
Offensichtlich haben hier einige den Text nicht verstanden. Stattdessen haben sie einfach nur eine Klischeeinterpretation über den Text gelegt. Hier geht es in der Tat darum, dass sie sich lieber erklären möchte, als eine Spannung stehen zu lassen, in der sie wie ein Alien angeguckt wird. Jedoch wird am Ende klar, dass sie sich diese Alienation ein wenig selbst zuschreibt und überhaupt nicht realisiert, dass die Diskussionen um Muslime und Islam sich doch auch ein wenig verändert haben und sogar einige Menschen erreicht werden konnten, die Muslime nicht (mehr) als Aliens betrachten. Der Mann neben ihr weiß ganz genau, worum es ihr geht und sagt ihr dann Bescheid, dass es nun endlich so weit sei. Dieser Text ist Selbstkritik und Mahnung, auch selbst nicht an starren Mustern festzuhalten. Nicht immer Unwissenheit und Unverständnis zu vermuten.. An den Kommentaren merkt frau jedoch, dass diese Alienation doch noch nicht aufgehört hat. Wenn auch einige Menschen in Europa bemerkt haben, dass Muslime einfach nur Menschen sind mit einer anderen Religion, so haben es offensichtlich doch noch nicht alle begriffen.
A. N.
Gast
Liebe Kübra,
ein schöner Text, der deutlich macht, wie es einem oft geht als Muslim in Westeuropa... Gut und witzig geschrieben - super, weiter so!!
Miles
Gast
Und wenn sie dich dann alle fragen würden die Leute - dann würdest du eine Kolumne darüber schreiben, dass die Leute immer doofe Fragen stellen und euch Muslimas nicht einfach mal machen lassen. Wetten?
Irene
Gast
Ich, ich, ich, alle schaun auf mich. Das glaube ich nicht, den meisten Leuten sind ihre Mitmenschen vollkommen schnurz.
Ist es nicht ein bisschen haram, soo eingebildet zu sein?
mir
Gast
@Michael: vielleicht ist jedeR einfach anders?
Susan
Gast
@michael
du meinst den erfahrungsbericht von cigdem akyol. die taz-autorin akyol ist aber keine streng gläubige muslima sondern (das hat der text doch ganz klar offenbart und das ist für eine journalistin jawohl auch nur "natürlich") eine an weltlichen dingen ausgerichtete persönlichkeit. warum wird hier eine parallele gezogen? türkin ist gleich türkin, oder wie?
so ein quatsch, sorry
@gerhard
meine güte, das nenne ich hasserfüllt im mäntelchen der "satire". du hast offenbar ein problem. was kann frau yücel dafür?
lieb kübra yücel,
mir gefällt der text und ich finde dein bedürfnis dich erklären zu wollen nachvollziehbar. du schaust über deinen eigenen tellerrand und machst dir gedanken darüber, was andere über dein (für außenstehende wahrscheinlich unverständliches) verhalten denken. das ist übrigens - wie ich meine - eine typisch weibliche angewohnheit bzw. bedürftigkeit nach harmonie und verständigung. kenne ich aus eigener anschauung: sie ist oft hinderlich und manchmal sogar fehl am platz.
petronius
Gast
zwei betrachtungsansätze:
1) wer sonst keine probleme hat, macht sich halt welche
2) ungewöhnliche (um nicht zu sagen: auffällige) kleidung und verhalten sind nicht ausdruck des persönlichen religiösen empfindens, welche dann natürlich wie alle persönlichen eigenheiten akzeptiert und nicht groß problematisiert werden (so der höflichkeits-konsens unserer gesellschaft). sie wollen vielmehr bewußt (aufmerksamkeit) provozieren
Gerhard
Gast
Hallo Kübra,
dein „Grummeln“ kann ich gut verstehen. Auch mir geht es oft so und wie gerne würde ich der Welt erklären was ich da tue. Vor allem wenn ich als Pastafari, was ich natürlich zu vermeiden suche, in der Öffentlichkeit Spaghetti esse. Wenn ich meine 11 Spaghetti neben dem Teller schön parallel nach Norden ausrichte, da kann ich schon froh sein, wenn die Leute wegschauen. Noch niemand hat mich gefragt, was ich da mache. Wenn ich nur jemandem vermitteln könnte, wie nah ich mich IHM dann fühle, welche Ordnung das Spaghetti-Ausrichten in mein doch oft recht chaotisches Leben bringt, warum wir immer eine Spaghetti auf dem Teller zurücklassen (zur Speisung der Hungernden der Welt). Schon die Blicke des Kellners solltest du sehen, wenn wir Spaghetti mit Soße in einem extra Schälchen bestellen. Oder du kennst es sicher: wie weiß ich im Flugzeug oder im Zug, in welche Richtung Norden ist, wo der Kompass nur so herumzittert (ok, die PastApp fürs IPhone ist schon echt gut!). Man hat sich ja im Flugverkehr schon gut auf uns eingestellt, es gibt ja kaum mehr Spaghetti im Flugzeug, oder man hat immer eine zweite Wahl. Also liebe Kübra, wenn du das nächste Mal jemanden beim Spaghetti Ausrichten siehst, bitte zögere nicht ihn zu fragen, er wird es dir danken, und vielleicht wird er dich sogar zum Pastafest einladen.
Gerhard
Michael
Gast
Liebe Frau Yücel,
besonders interessant an Ihrem beitrag fand ich den Wunsch, nach bestimmten Dingen gefragt zu werden, um darüber reden zu können.
Nun gab es aber vor einiger Zeit den Beitrag einer TAZ-Mitarbeiterin, (kann ich leider nicht wiederfinden , es ging da um eine Frau, die Medienwissenschaften studiert hat und jetzt Mitarbeiterin bei der TAZ ist, ich meine seitenfüllend in der SonnTAZ), welche sich ausführlich über die Zumutung beschwert hat, regelmäßig zu eben diesen Themen angesprochen zu werden.
Ich bin irritiert! Wie denn nun??