Kolumne Das Schlagloch: Abschied vom Doktor

Plagiatoren sind wir alle - ob das Guttenberg trösten kann? Sein Fehler war vielleicht nicht einmal das Ansinnen, die Promotion ein wenig abzukürzen, sondern die Berufswahl danach.

Der Erfinder des Buchdrucks hieß Gutenberg; bei dem Namen des Spätlings, der diese Erfindung gerade in Verruf brachte, muss es sich um ein Plagiat handeln. Und falsch abgeschrieben ist es auch.

Nun ist er also zurückgetreten. Vielleicht ist dies die allerletzte Gelegenheit, eine Kolumne über die Stellung der Dissertation im Kosmos zu schreiben. Ich verspreche, dass der Name mit dem t zu viel nicht auftauchen wird. Doch schien die gegenwärtige Debatte auf eine Art Heiligsprechung der Originale hinauszulaufen, ein Doktorand würde an dieser Stelle wohl formulieren: auf eine Apotheose der Originale. Wir setzen die These dagegen, dass alle Kultur auf dem Plagiat beruht. Und zwar grundsätzlich ohne Zitatangabe.

Man könnte darüber natürlich auch eine Dissertation schreiben, aber vielleicht reicht eine Kolumne. Dissertationen bilden die außergewöhnlichste Literaturgattung überhaupt. Denn es handelt sich um Bücher, die zu dem Zweck geschrieben werden, dass niemand sie liest. Mit Ausnahme des Doktorvaters und der Gutachter, glauben die Gutwilligen, besonders die Doktoranden. Aber welcher Professor käme noch zum Arbeiten, sollte er all die Dissertationen lesen, die er begutachten muss?

Am besten hat mir immer Gottfried Benns Doktorarbeit gefallen. Ihr Thema lautete "Die Häufigkeit des Diabetes mellitus im Heer". Sie umfasste neunzehn Seiten und neun Literaturangaben. Ihr souverän vorgetragenes Fazit lautet, "die Art der Beköstigung im Heer" habe "keinen Anteil" an der Entstehung des Diabetes ebendort. Das ist professorenfreundlich formuliert und nimmt zudem Rücksicht auf die eigene Lebenszeit.

Zu vermuten bleibt, dass es Sinnvolleres zu tun gibt, als sein Dasein mit dem Abfassen von Dissertationen herumzubringen, zumal bei dieser Rezeptionslage. Der Exverteidigungsminister muss eine Ahnung davon gehabt haben. Auch wird man diese unerfreulich hochgerüstete Verwaltungssprache - die Wissenschaft in ihrer meistpraktizierten Form ist ein Spezialfall der Buchhaltung - nur schwer wieder los.

Nach den Diskussionen der letzten Wochen könnte man meinen, der Typus des (unlauteren) Politikers unterscheide sich grundlegend von dem des (lauteren) Akademikers. Und 50.000 von denen haben gegen den Exminister protestiert?

ist promovierte Philosophin und lebt als freie Autorin in Berlin. Ende letzten Jahres erschien ihr neues Buch, "Lou Andreas-Salomé. Der bittersüße Funke Ich", im Propyläen-Verlag.

Die Haupttätigkeit eines Doktoranden ist das Widerlegen. Doktoranden sind gemeinhin rechthaberisch und kleinlich. Sie erklären alle Tatbestände der Welt von ihrer Fragestellung aus und finden kein Thema weit und breit, das nicht von dem ihren her erschöpfend zu behandeln wäre. Diese Äußerungen verstehen sich sowohl als Fremddenunziation als auch als Selbstbezichtigung. Und einen Leserkreis für die Arbeit eines Doktoranden gibt es natürlich doch: die übrigen Doktoranden auf Fehlersuche.

Rechthaberisch und kleinlich

Liebe Doktoranden, alle, die ihr ganz anders seid als hier geschildert, die ihr Jahr um Jahr mit dem Stoff ringt und mit euch selbst, und gar nicht mehr wisst, wo das eine anfängt und das andere aufhört, ihr, die ihr längst ahnt, dass alle Mühen, alle Leistung sich niemals auszahlen werden - dass keine Professur auf euch wartet und die einzige Anerkennung, auf die ihr zählen dürft, eure eigene ist - ihr seid ausdrücklich nicht angesprochen. Denn sich die eigene Anerkennung zu erwerben ist ein sehr hohes Gut.

Dass sich inzwischen ein ganzer Berufsstand formiert hat, der mit der Ignoranz der Hochschulen spielt und die eigene brachliegende Hochbildung und Schöpferkraft zur Serienfertigung des durchaus normierten, standardisierten Produkts Dissertation verwendet, ist nur ein Anwendungsfall gesellschaftlicher Arbeitsteilung, gewissermaßen eine informelle Art des akademischen Outsourcings.

Es ist eine aufopferungsvolle Tätigkeit, es ist die eines Künstlers, dessen Name nie genannt wird und der sich dafür das schöne Recht nimmt, ab und zu etwas zu verstecken, das die Nichtleser auf beiden Seiten kompromittieren könnte, die Gutachter ebenso wie den auftraggebenden Doktoranden. So gewinnt die langwierige, mühsame Sache doch sportliche Aspekte. Wer ist klüger, der Professor oder der Ghostwriter oder der Auftraggeber?

Der Ghostwriter als Künstler

Der Verteidigungsminister hat das schon richtig gesehen, man sollte die Dissertationszeit, diese spätpubertäre Phase anhaltender Schülerschaft möglichst abkürzen.

Die größten Literaten hatten oft nicht einmal Abitur. Thomas Mann. Hermann Hesse. Wäre das nicht ein gutes Dissertationsthema: Inwieweit nimmt wirkliche Bildung mit dem Grad akademischer Abstinenz zu? Zu berücksichtigen wäre dabei, dass sich im Hoheitsbereich der Wissenschaft, gerade beim akademischen Fußvolk, nicht selten Abstraktionen bekriegen, woraus - an dieser Stelle sei das schreckliche Wort einmal ausgesprochen - ihre Protagonisten einen Beruf gemacht haben.

Weshalb gilt: Jede Polemik, die wir nicht führen, macht uns reicher! Aus gegebenem Anlass scheint es angebracht zu erwähnen, dass es sich hierbei um ein Zitat handelt. Steht irgendwo bei Ernst Jünger. Ist auch nicht wörtlich - Jünger hat das viel besser formuliert -, nur eben so, wie es mir im Gedächtnis geblieben ist. Und dann gibt es noch Zitate, von denen ich schon vergessen habe, dass sie mal einen Autor hatten.

Wollte man dieses Vergessen positiv beschreiben, dürfte man es aktive Aneignung eines Inhalts nennen. Und genau so funktioniert nicht nur individuelle, sondern auch die gesellschaftliche Entwicklung. Sie ist Einverleibung. Wir sind alle Plagiatoren. Die Welt und wir selbst sind voller abgesunkener Zitate. Schwer zu sagen, ob dies den Mann, der einmal Minister war, noch trösten kann.

Sein Fehler war vielleicht nicht einmal das Ansinnen, die Promotion ein wenig abzukürzen, sondern die Berufswahl danach. Fremden Menschen Eide abnehmen wollen - das geht nun wirklich nicht. Anzustreben wäre eine Tätigkeit mit freischwebenden Verantwortlichkeiten. Wie wäre es mit einer Zweitkarriere als Ghostwriter?

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