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Kolumne DarumSei verdammt, Pierre Bourdieu!

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Verhalten sich meine Kinder „wie Bourgeois“ oder wie Päpste? Über Pausenbrote, Gurken und die Frage, was „mehr oder minder früh“ bedeutet.

Hübsch anzusehen – kommt ohne Butterbrotpapier wieder ungegessen nach Hause. Foto: Imago / Westend61

W enn ich die Pausenbrotdosen meiner Kinder sehe, verfluche ich neuerdings den französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Lange dachte ich, die Dankbarkeit der Kinder müsse groß sein, dass da jemand vor sieben Uhr morgens in der Küche steht, im Akkord Brote schmiert und Salatgurken schneidet, damit sie in der Schule was zu essen haben.

Denkste! Vor zwei Jahren bekam ich von den Kindern stattdessen eine Dienstanweisung: „Wenn du mir ein Brot machst, dann pack es in Butterbrotpapier ein, bevor du es in die Dose tust. Sonst berührt es die Gurkenstücke und weicht auf. Das können wir nicht leiden.“

Debatten an dieser Stelle sind zwecklos, denn ich weiß: Ein angeweichtes Brot kommt nachmittags zurück nach Hause, dann ist es durchgeweicht und selbst für mich kaum genießbar. Mit viel Vaterliebe kann ich zugestehen: Faktisch haben die Kinder zumindest im Ansatz Recht.

Und doch ärgere ich mich jeden Morgen wieder, wenn ich in Eile bin und noch das verdammte, verfluchte Butterbrotpapier rauskramen muss. Woher kommt diese Wut? Es liegt wohl am kompromisslosen Kommunikationsstil. „Nimm gefälligst Butterbrotpapier!“ bedeutet nichts Anderes als: „Mach es einfach so, wie wir es dir sagen!“

Da ist er wieder, der diktatorische Sound der Kinder, von dem ich glaubte, er liege hinter uns. Als sie klein waren, haben sie, ohne es zu wollen, vieles bestimmt: wann aufgestanden und gegessen wird, wer wann welches Buch vorzulesen hat und was danach zu tun ist. Wir Eltern hatten zu springen und konnten allenfalls abends ein wenig Gegenmacht ausüben: „Nun geht es aber ins Bett!“

Leben wie ein Bourgeois

Oft haben wir uns damals darüber unterhalten, was für ein populistischer Krakeeler Herbert Grönemeyer sein muss, wenn er sich „Kinder an die Macht“ wünscht und welcher Art die Diktatur denn wäre, wenn er seinen grauenvollen Willen bekäme.

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Uns war klar: Je kleiner ein Kind ist, desto abhängiger ist es von anderen. Damit ließen sich Diktaturformen wie Nationalsozialismus, Faschismus, Stalinismus und Militärherrschaft ausschließen. Wir dachten eher an mittelalterliche Feudal- oder Klerikaldynastien, wo auch Minderjährige mal König oder Papst werden konnten, ihre Macht sich aber auf erwachsene Helfer stützte.

Diktatur ist wohl der falsche Begriff und der Zufall will es, dass ich neulich Pierre Bourdieus Studie „Die feinen Unterschiede“ las. Darin fand ich einen Satz, der mein Denken über kindliche Autorität vom Mittelalter in die Neuzeit transformierte: „Jedes Kind beginnt sein Leben wie ein Bourgeois: in einem Verhältnis magischer Gewalt über die anderen und vermittels ihrer über die Welt, tritt dann aber, mehr oder minder früh, aus dem Stadium der Kindheit heraus.“

Da stehe ich nun morgens in der Küche und in den zwei Brotdosen sind die Salatgurken wieder einmal kurz davor, die Pausenbrote unsittlich zu berühren. Verzweifelt suche ich das Butterbrotpapier, hebe mir aber den Fluch, den es sonst abbekommt, diesmal für einen anderen auf: Was genau, verdammter und verfluchter Pierre Bourdieu, bedeutet denn „mehr oder minder früh“? Wer das nicht exakter sagen kann, sollte von „feinen Unterschieden“ schweigen.

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Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
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3 Kommentare

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  • So begriffsstutzig können wohl nur liebende Eltern sein!

     

    Mehr oder minder früh bedeutet, dass es Kinder gibt, die ihr Pausenbrot bereits im Alter von sieben Jahren selbst einwickeln, damit sie genießbar bleiben, und solche, die das auch mit siebzehn Jahren noch nicht tun.

     

    Übrigens müssen gar nicht immer die Kinder Schuld sein, wenn sie noch im zarten Alter von 50 Jahren wie Bourdieus "Bourgeois" in einem "Verhältnis magischer Gewalt über die anderen und vermittels ihrer über die Welt" herrschen. Es kann auch sein, dass ihre Väter Mütter hatten, von denen sie die Demokratie am Küchentisch nicht lernen konnten. Ganz einfach deshalb, weil die Mütter sie nicht praktizieren konnten, weil sie sie selber nie erfahren haben als Bourgeois. Die ersten Kitas, schließlich, waren was für Unterschichten-Kinder, die keinen reichen Vater hatten. Die Söhne solcher Mütter lesen dann wie wild Bourdieus und stellen dabei seltsam dumme Fragen.

     

    Die gute Nachricht immerhin ist die: Seit auch die Väter an der Macht sind in der Küche und im Kinderzimmer, bekommen alte Macken mitunter ein ganz neues theoretisches Fundament. Wenn auch zunächst erst mal ein fehlendes.

    • @mowgli:

      ;)))

       

      langsam begreife ich -

      warum mir ganze LamentoSätze von

      "Elterngesprächen" komplett

      im Durchzugbereich geblieben sind -

       

      &viele Erziehungshilfesitzungen -

      schichtenunabhängig - so enden:

      "…also zur nächsten Sitzung kommen sie beide bitte - ohne Kevin&Janine - Wirsing."

      (Binnendifferenz ala Pierre Bourdieu;)

  • Freud schrieb von: "Her majesty the baby" and den kindlichen Allmachtsphantasien im Zusammenhang mit dem primären und sekundären Narzissmus.

     

    Die Internalisrung von "Narzissmus"normen geht extrem weit.

     

    Spinozas Theorie der Tendenz, andrenn Begfehle zu erteilen, in welcher Forrm auch immer, ist indes erheblicj allgemeiner uind nicht nur auf KInder breschränkt.

    Daraus hat Nietrzsche, mehr Sinn für "Dramatik"; seinenm "Willen zur Macht" gemachtm weil die Pieteas der 2 & Vernunft so schweach isgft das amders dei 98 % gegenmdseithge Willkürbehherschung völlig aus den DARUNTER leidenden Blick gersaten,.

     

    Bei Spinoza wird das KInd auch nachaltig durch Lob und Tadel erzogen!! - was sich zu Ehr- und SChsamgefühlen auswächst (Affekte), Diew THeorie ist aller doch ergeblich beser als da das "Gewissen" - bei FReud der Kernschlüssel zur allbegemeinen Pathologie (Doppeölbedeutung) der Psychen - als Instanz und dem RIngen um "Idebntitär", ohne vom Köperselbstgrefühl auszugehen und getragen zu werden..

     

    Dasd "Rotewerden" von Scham ist da nicht gleich die Hysterie, die mit Spinboza auch angehbar ist,