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Kolumne DarumKein Vergessen, niemals!

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Über Altersarmut kann ich nur lachen! Meine Kinder werden jeden Cent zurückzahlen, den sie mich kosten.

Geduld haben du musst. Bild: dapd

N iemand weiß es, und das soll auch so bleiben. Seit Jahren führe ich Protokoll über alles, was meine Kinder mir rauben: Geld, Zeit, Kraft, Nerven. Jede Windel und jedes Gläschen wurden in der seit nun 10 Jahren bestehenden Excel-Tabelle vermerkt – genauso wie heute Taschengeld, Sammelbilder, abgelaufene Schuhe und verlorene Handschuhe. Alles kommt in diese Liste, die Zwischensumme ist bereits fünfstellig.

Schwieriger zu erfassen sind nichtmonetäre Ausgaben wie der Verlust von Lebenskraft. Nachts viermal geweckt zu werden, daraus erwächst keine Ziffer. Also notiere ich schlicht: 23.10.2006: „Nachts viermal geweckt worden.“ 26.10.2005: „Durchfall bei Kind 2; 23-mal gewickelt.“ 9.4.2007: „Magen-Darm-Erkrankung von Kind 1; zweimal vollgekotzt worden.“

Damit sind wir auch schon bei den Nerven. Im Protokoll vermerkt ist 244-mal der Satz: „Ich kann nicht mehr“, davon 199-mal mit Ausrufezeichen. Weiter steht da noch: „Könnte die Kinder aus dem Fenster werfen“ (12-mal), „könnte Kind 1 aus dem Fenster werfen“ (5-mal), „könnte Kind 2 aus dem Fenster werfen“ (5-mal). Krisengespräche mit der Kindesmutter, die sich nur um unsere Kinder drehen: 65. Krisengespräche mit der Kindesmutter, die sich nur darum drehen, dass wir wegen der Kinder keine Zeit mehr für uns haben: 56.

Bild: taz
MAIK SÖHLER

ist Chef vom Dienst von taz.de und hat zwei Kinder, die gelegentlich in der „taz“ zu Wort kommen. Maik Söhler auf Twitter.

Weiter im Protokoll: Zeit. Hier tauchen noch mehr Zahlen auf. Memory-Spielen: 99 Stunden, gemeinsam Benjamin-Blümchen-Kassetten hören: 227 Stunden. Aus Büchern vorlesen, die keine vollständigen Sätze haben: 661 Stunden. Hausaufgabenhilfe 486 Stunden. Auf dem Fußboden beim So-tun-als-spielte-man-gern-mit-bunten-Pferdchen-oder-Aliengelumpe verbrachte Zeit: 7.550 Stunden. Und. Und. Und.

Bin ja kein Unmensch

Die Protokolle erfassen alles. Sie lügen nicht. Und sie sind die Basis für meinen perfiden Plan, der in 25 Jahren zur vollen Entfaltung kommen wird. An Kindern rächt man sich nicht. Sie sind liebe, schutzbedürftige Wesen. Auch Jugendliche und junge Erwachsene haben das Recht darauf, von nachtragenden Eltern verschont zu bleiben. Im Jahr 2037 aber werden meine Kinder 32 und 35 Jahre alt sein. Sie werden mitten im Leben stehen und Verantwortung übernehmen müssen. Dann bekommen sie die Rechnung.

Seit ich diesen Plan habe, lache ich nur noch müde, wenn wieder mal über Altersarmut in Deutschland diskutiert wird, und schaue verzückt auf die aktuelle Summe im Protokoll. Das Kindergeld werde ich davon abziehen, bin ja kein Unmensch. Aber sonst: auf Heller und Pfennig, kein Vergeben, kein Vergessen, no pasaran! Und die Zeit. Und die Nerven. Und die Kraft.

Im Protokoll meiner Kinder wird am 12.8.2037 stehen: „Nachts viermal von Papa geweckt worden (zweimal Durst, einmal Alptraum, einmal einfach so). Morgens dann Gebrüll, weil das Frühstück nicht schnell genug auf dem Tisch stand. Vormittags laute Rufe bei offenstehender Tür aus der Gästetoilette: ’Abwischen!‘ Mittags zwei Stunden aus der E-taz vorgelesen. Rechnung für Kaffee und Kuchen im Café: 24,30 Euro. Neuer Gehstock: 550 Euro. Abends eine Stunde Debatte über die Fehleinkäufe von Werder Bremen in der Saison 2036/37. Ich kann nicht mehr!“

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Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
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21 Kommentare

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  • H
    Henri

    Hej, wir haben hier einen dreimonatigen Zwerg und alle sehr gelacht!

    Und wegen einiger Kommentare sollte man ernsthaft über einen kleinen Ironietest nachdenken, kann auch Multiple Choice sein, damits nicht zu schwer wird..

  • NE
    Nachwachsende Eltern

    Was Sie auflisten, ist sinnvoll! Bitte nicht aufhören. Irgendwann bitte ein Buch darüber schreiben! So wird mal erhoben, auf was sich potenzielle Eltern alles einstellen können und was bei Kinder für Kosten entstehen. Ich finde das sehr wertvoll. So kann man sich schon vor einer Beziehung überlegen, wie man im Stressfall überlebt, ohne die Beziehung zur Partnerin oder zu den Kindern zu belasten.

     

    Wer Ihre Kolumne regelmäßig liest, wird mitbekommen haben, dass Sie ein guter Vater sind.

  • WS
    Was schreibst du denn da, Papa?

    Wäre ich ihr Sohn oder ihre Tochter, und würde diesen Artikel in einigen Jahren im Internet oder sonstwo finden: eventuell würde ich mir in meiner Pubertät einen akribischen Plan überlegen, wie ich der Lex Papa ab 30 dann doch lieber entschwinde.

  • C
    Carlaugusta

    Sie tun mir leid, Herr Söhler. Gibt es denn nichts, aber auch gar nichts, das Sie mit Ihren Kindern gerne zusammen machen? Keine Interessen, keine Hobbys, die Sie teilen möchten, nichts, was Sie begeistert, was Ihnen Spaß macht und was Sie daher mit Ihren Kindern gemeinsam machen wollen?

    Niemand muss seinen Kindern ständig vorlesen, wenn er mehr Spaß dran hätte, z.B. mit ihnen zu singen. Wer gerne in der Natur ist, Tiere beobachtet, Pflanzen bestimmt, versucht das Interesse der Kinder darauf zu lenken. Wer Spaß an Gedichten und Geschichten hat, kann erzählen, gruselige oder spannendes Balladen, mit den Jüngeren Kinderreime, Fingerspiele etc.

    Und man muss das gar nicht stundenlang und exzessiv betreiben! Die Lütten wollen, je älter sie werden, auch mal für sich was spielen.

    Ich habe sehr gerne vorgelesen, mich aber geweigert, Comics zu nehmen, weil mir das keinen Spaß machte, keine ideologischen Gründe, es liest sich einfach schlecht. Die Kinder haben das ohne posttraumatische Belastungsstörung einfach akzeptiert.

    Und unruhige Nächte wegen einer Krankheit? Ja, das kommt vor. Und so lange es sich um nichts Schwerwiegendes handelt, seien Sie froh. (Blöder Spruch, ich weiß, aber stimmt.)

    Haben Sie erwartet, Ihr Leben geht mit Kindern genauso weiter wie ohne?

    Ich hoffe zu Ihren Gunsten, dass Sie den Text aus Gründen dichterischer Freiheit und der Absicht zu provozieren arg zugespitzt haben.

  • S
    Schreyvogel

    Vielleicht hätten Sie ja mehr Zeit für sich selbst, wenn sie die Buchführung weglassen würden und statt dessen ab und zu mal einen Waldspaziergang machten.

    Oder sie nehmen sich ein Beispiel an den vielen Eltern, die ihre Kinder - oftmals mehr als zwei - ohne das Geschrei großziehen, einfach mit Liebe.

  • JM
    J. Murat

    Na, Kaktusfee, dann hast Du ja gute Karten, dereinst nicht in einem drittklassigen "Pflege"heim zu Tode dämmernd auf den Weihnachtsbrief zu warten.

    Die "Jetzt weiß ich wieder, warum ich keine Kinder habe" Soziopathen reden doch wie Blinde von der Farbe. Vielleicht sehen wir sie später in besagten Heimen.

  • K
    Kaktusfee

    von J. Murat: "Das kann der werte Autor dann vielleicht dem Badezimmerspiegel im Pflegeheim "Abendrot" in der östlichen Walachei erzählen.

    Was hat er denn seinen Eltern zurückgegeben?"

     

    Was der Autor seinen Eltern zurückgegeben hat weiss ich nicht - ich habe meinen Eltern (die bedauerlicherweise seit 8 bzw 10 Jahren nicht mehr leben) an erster Stelle viel meiner persönlichen Freizeit geschenkt, bin mit meiner Mutter dorthin gefahren wo mein Vater ungern hin wollte, habe viele Sonntagnachmittage beim Kaffeetrinken mit ihnen verbracht und mit und für meinem Vater nach dem Tod meiner Mutter zwei Umzüge einschließlich Hausauflösung durchgezogen. An zweiter Stelle habe ich ihnen drei Enkelkinder geschenkt, auf die sie von der ersten Minute an stolz waren, deren Entwicklung sie hautnah mitverfolgen konnten und denen ich so vermittelt habe wie drei Generationen sinnvoll und bereichernd miteinander leben und voneinander lernen können - ein reales soziales Netzwerk.

  • F
    Falmine

    Das Schönste ist ja, man muss gar nicht Buch führen und trotzdem läuft ein "Generationenvertrag" zwischen meinem Kind und mir, wie er auch zwischen meinen Eltern und mir lief. Das hat mit Liebe und Achtung zu tun, darüber muss man nicht ständig reden und kann nicht verhandeln. Das spüre ich auch in Maik Söhlers ironischer Kolumne und ich kann ihm versichern: es funktioniert. :-)

     

    @ clara.clash Mein erstes Handy, mein erstes Laptop, waren abgelegte Modelle meines Kindes. Und nach 1000 Stunden Vorlesen bei Kind/ Enkelkindern ist Essengehen allemal drin. ;-)

  • UB
    Urs Blank

    Der Artikel ist super, habe mich köstlich amüsiert. Jetzt weiß ich wieder, warum ich keine Kinder habe...

     

    Einen Punkt hat der Autor allerdings vergessen. Eltern sind ständig krank. Ich könnte deswegen so kotzen. Ich mache eighentlich alles richtig: ich treibe Sport, ernähre mich ausgewogen und sehr vitaminhaltig, ziehe mich warm an, fahre NIE mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern mit dem Rad, und trotzdem bin ich erkältet. Weil die gute Arbeitskollegin ständig erkältet ist wegen ihrer Bälger. Keine Chance. Also die Krankheitstage der Kollegen könte auch in die Exceltabelle eingetragen werden.

  • C
    chrischan

    7 Milliarden Menschen auf der Erde

    Unser heutiges Wissen und max 2 Milliarden,

    dann brauchen wir diese und ander Diskussionen nicht mehr.

    Ist die Menschheit lernfähig?

  • A
    anke

    Vielleicht, denkt man beim lesen, hätte Maik Söhler schwäbische Hausfrau werden und sich die Kinder sparen sollen. Dann wäre denen einiges erspart geblieben.

  • S
    Solidarität

    Ich halte mich mit zwei Sätzen aufrecht.

     

    1) Bis zum Abiball ist das alles überstanden!

     

    2) Jetzt reicht's! Das Pony ist gestrichen!

     

    Bedauerlicher Weise hat sich bisher noch nie jemand ein Pony gewünscht. Und ich könnte mir ohnedies auch höchstens eine Katze leisten. Aber wenn!

  • S
    @Sommercharlie

    Entweder ich verstehe diesen Humor nicht oder der Verfasser dieses Artikels ist ein ganz schrecklicher Mensch und Vater.

    Zum Trost: Menschen mit Kindern leben länger als Menschen ohne Kinder.

  • S
    Siegfried

    Ich hab mich schlapp gelacht! Sicher, der Inhalt dieses Artikel beschreibt eine Realität, der für Menschen ohne Kinder erst mal nicht nachvollziehbar ist.

    So superehrlich hört man es nur selten: Kinder können eine Heidenarbeit machen und einem den letzten Nerv rauben.

     

    Diesen Artikel sollte man in jeder Schule aushängen, einfach um den Joungsters mal das wahre Leben als Eltern näher zu bringen. Wollen sie dann immer noch Kinder, wunderbar.

  • KK
    Karl K

    So what? - kein Frisöeer?

     

    …Gästetoilette:"Abwischen!" - ja - und abziehen!

  • M
    Micha

    Tja, hat Sie ja keiner gezwungen, Kinder zu haben.

  • LW
    lars willen

    die wahrheit ist,das dich deine kinder daran messen werden was du für die Welt getan hast und nicht was du für sie getan hast.so war es schon immer und so wird es bleiben.denn deine kinder werden sich nach dem verhalten wie es ihr umfeld ihnen erlaubt.und für euch journalisten sieht das nicht gut aus.ihr medien habt die harz4 hassprediger chauffiert und auch eure kinder werden in der welt leben die ihr erschaffen habt.und das sieht garnicht gut aus für euch Alten.denn all eure pläne sind bedeutungslos wenn eure kinder an der regierung sind.

  • A
    anonym

    Ich hätte zwar keine Nerven das alles aufzuschreiben, aber ein sehr guter Ansatz, wie ich finde.

  • VV
    Verus Votum

    Wenn das ein Witz sein soll, kann ih darüber nicht lachen.

    Wenn Sie das ernst meinen, tun Sie sich doch mit dem Vorstizenden des Arbeitgeber-Verbandes zusammen:

    Der hat gerade nochmal durch die Blume gesagt, was für eine Zeitverschwendung Kinder sind. Und das man die doch am besten abschaffen sollte, weil Sie Frau und Mann vom Aufopfern für das Unternehmen abhalten.

  • C
    clara.clash

    Als meine Tochter nach ihrem Studium endlich eigenes Geld verdiente, habe ich mir von ihr einen Gameboy, eine Playstation, einen Fernseher, einen Videorecorder, einen DvD- Player, einen Fernseher und einen Computer gewünscht. Sie antwortete: " Mal sehen, ob ich das alte Zeug noch irgendwo kriege!"

    Seitdem überlege ich mir, wie ich an ihr vieles Geld komme;-) und bin dann total glücklich, wenn wir zusammen Essen gehen und sie dann sagt."Ach, komm Mama, ich bezahle."

  • JM
    J. Murat

    Das kann der werte Autor dann vielleicht dem Badezimmerspiegel im Pflegeheim "Abendrot" in der östlichen Walachei erzählen.

    Was hat er denn seinen Eltern zurückgegeben?