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Kolumne BlickeSchön nah und schön bunt

In Vorpommern geht was. Gegen Nazis. Aber vor allem für ausgesprochen gute Laune. Da verliert sogar ein Plenum seinen Schrecken.

Und schöne Röhren gibt es auch: Ausgegrabener Tunnel in Pasewalk. Bild: dpa

P asewalk ist näher an Berlin als gedacht: Man steigt kurz nach 16.00 Uhr vor der Haustür in die U 8, fährt zum Gesundbrunnen, wechselt in den Regionalexpress, und um 18.17 Uhr ist man schon da. In Vorpommern.

Pasewalk gehört zu den Städten, in denen man im Dunkeln am Bahnhof stehend nicht unbedingt weiß, wo sich das Zentrum befinden könnte. Man läuft also einfach los, es ist kalt und auf den Straßen sind nur Menschen mit ihren Hunden unterwegs. Ein Halbwüchsiger mit freundlichem Wauwau nimmt auch brav seine Kopfhörer raus. Marienkirche? Er blickt mich verständnislos an. Heilige Maria – heißt es vielleicht Josephskirche? Aber nein. Der junge Mann kann einfach nicht glauben, dass jemand nicht weiß, wie man zur Marienkirche gelangen könnte. Und so wiederholt er verblüfft „Na eben geradeaus, geradeaus!“

In St. Marien haben sich knapp hundert Leute versammelt. Sie gehören zum Bündnis „Vorpommern – weltoffen, demokratisch, bunt“, dem es im letzten Jahr gelungen ist, 2.000 Leute gegen das alljährliche Pressefest der NPD auf die Straße zu bringen, zu Protest und Party. Und die es dabei überhaupt nicht bewenden lassen wollen.

Bild: Alexander Janetzko
Ambros Waibel

ist Meinungs- und tazzwei-Redakteur der taz.

Was diesen Freitagabend – nachdem die Veranstalter zu Beginn die ortsüblichen Restnazis von hilfsbereiten Ordnungskräften hatten hinausbegleiten lassen – zu einem unvergesslichen Erlebnis machte, war aber dann nicht der Zulauf von Menschen, die lange Autofahrten im nicht enden wollenden Winter 2013 auf sich nehmen, um sich zu engagieren; es war auch nicht das Thema des Engagements selbst, denn niemand braucht Berliner Journalisten, die Leute auf dem flachen Land dafür loben, dass sie den Nazis nicht die Straßen und Köpfe ihrer Wohnorte überlassen wollen.

Nein, was mich beeindruckte, war die Freundlichkeit, die Gelassenheit und die rhetorische Disziplin, mit denen hier fast ein ganzes Jahr an antifaschistischen Aktivitäten in knapp zwei Stunden durchgeplant wurde; die Fähigkeit von Menschen aus einem Spektrum von der CDU bis zur Antifa, sich auseinanderzusetzen, ohne das Anliegen aus den Augen zu verlieren (oder sich wechselseitig in Grundsatzdebatten), wegen dem man sich in einer mäßig warmen Kirche traf, anstatt andere schöne Dinge zu tun.

Dieses Treffen war so gut, dass ich mein durch einen zehnjährigen Aufenthalt in der freien Theaterszene manifestes Plenums-Trauma als überwunden betrachten darf. Es geschah in Vorpommern.

Am nächsten Tag, bei den „1. Pasewalkern Gesprächen zur Demokratischen Kultur“, die das Aktionsbündnis organisiert hatte, waren nicht alle Beiträge auf diesem Niveau. Machte aber nichts. Es gab nette, interessante Menschen und gutes Essen, es wurde gelacht und auch ein bisschen gestritten und für eine Stadt in Grenznähe arg wenig polnisch gesprochen.

Trotzdem weiß ich seit Samstag, dass es 80 Kilometer von Berlin eine Stadt namens Slubfurt gibt und eine Region „Nowa America“. Beide lohnen den Besuch – geht auch im Netz. Und was Pasewalk angeht: Man kommt auch schnell wieder nach Berlin zurück. Will man dann aber gar nicht.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
Ambros Waibel
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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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