Kolumne Bio: Livestream aus dem Unbewussten

Die Grünen reden über das Internet. Dabei steht das doch schon alles wo? Genau. Im Internet.

Mein Herz, mein Herz! Wieder findet ein Parteitag der Grünen statt, wieder ohne mich. Dabei liebe ich es doch so sehr, zu reden, wenn Menschen mir zuhören müssen. Liebe Freundinnen und Freunde - ausgesprochen "Liebe Freundn und Freunde". Am Wochenende treffen sich die Grünen in Kiel und sprechen auch über die Netzpolitik.

Was habe ich dazu schon für Reden gehalten. Vor Jahren sagte ich den Grünen, sie sollen sich alle mal über das Internet informieren. Stünde doch alles im Internet. Was ist freie Software, was ist der "Long Tail", die Nischenwirtschaft? Was erzählt Lawrence Lessig über Creative Commons. Sollten wir nicht alle mal "Rhizom" von Deleuze und Guattari lesen? Was ist die Aufmerksamkeitsökonomie? Und wie kann man über das Netz politisches Engagement realisieren? Wie sieht moderner Jugendschutz aus? Was hat der sperrige Begriff "Netzneutralität" mit dem Lese-Schreibe-Internet zu tun?

Wenn ich mal anfangen würde, das dumme Gerede, was so einige bei diesem Thema in den letzten Jahren abgesondert haben, auf die Umweltpolitik anzuwenden, könnte ich den ganzen Tag den Klimawandel verlachen. In der Netzpolitik jedoch ist es normal, dass jede und jeder seine Meinung direkt aus den untersten Gehirnregionen ungefiltert in die Welt herausstreamt.

Zum Beispiel bei der Abstimmung um die Netzsperren. Die Kinder, die Kinder! Ja, ja, die Kinder. Ansonsten: Regressives Gehetze gegen Facebook und Google. Und jetzt die Künstler! Die haben es schlecht, weil: das Internet. Das macht doch die ganze Kultur kaputt, ist die schlichte Argumentation. Dass es durchaus Künstler gibt, die verstanden haben, mit dem Netz Geld zu machen, wird dabei ignoriert. Passt ja auch nicht gut ins Weltbild mit den großen Major-Labels und den Verwertungsgesellschaften.

Nun, zum Grünen-Parteitag kommen also ein paar Holznerds, die Undigitalen, sekundiert von Lobbyisten der Content-Mafia, und sagen: Nur weil es jetzt die Piratenpartei gibt, müssen Grüne ihre Netzpolitik nicht denen annähern. Grüne sollen eine eigene, eine "nachhaltige" Netzpolitik entwickeln.

Dabei machen die Grünen nicht erst seit gestern Netzpolitik. Steht alles im Internet. Wahrscheinlich gehen die Holznerds mit einem Kurbelmodem aus Fichte, russische Produktion, ins Netz, was die Informationsaufnahme klar limitiert.

Und kennt man ja, für Inhalte interessiert sich wieder keiner, es geht um Macht und Stimmungen. Und die Content-Mafia will anstatt eines modernen Urheberrechts und neuer Geschäftsmodelle die Verteidigung des Status quo und ein härteres Vorgehen gegen Filesharer. Und die Grünen? Wollen die das auch?

Das digitale Denken anzuschalten scheint wirklich sehr schwer zu sein. Wahrscheinlich hat mir damals wieder keiner zugehört. Verdammt.

Ich bin dann mal weg. Eile ins Wendland, meinen Sehnsuchtsort. Ohne Internet werde ich in den Wald gehen, in die Kälte, bis ich nicht mehr kann. Dem Castor begegnen. Und wenn ich zurückkomme, durchgefroren und schmutzig, ist der Grünen-Parteitag längst vorbei. Gut so.

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