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Kolumne Ausgehen und RumstehenGeht scho, gimme more

Liebe ist wichtiger als Hackln.​ Bilderbuch aus Wien hat für alles die richtige Line: In der Volksbühne genauso wie beim beim Corso4Deniz.

Bilderbuch präsentiert das neue Album „Magic Life“ in der Berliner Volksbühne Foto: Ulrich Gutmair

Hurry up, boy, was geht ab? Was abgeht, ist eh klar, seit „Bungalow“ in Heavy Rotation läuft: Ah, ich brauch Power für mein Akku. Baby, leih mir deinen Lader. Und wie er’s singt, der Maurice Ernst, fliegen in der Volksbühne schon die Ladekabel. Elegant fängt er sie auf, der Maurice, während er singt und einen von seinen Moves macht. Wo hat er die her? Vom Falco, vom Freddie, vom Prince?

Die Hardcorefans sind hinter seinem Hintern her. Und er zeigt ihn, in den schwarzen Stoffhosen mit den Peace-Zeichen. Gibt aber zu wenig Geschrei, da beschwert er sich. Na bitte, sag es laut, lass es raus. Logisch, die Hits von „Schick Schock“ spielen sie auch.

In der Volksbühne sind am Freitagabend die Sitze weg, die volkseigenen, sind eh unbequem. Die Bühne: verschwunden. Geht jetzt sanft von oben nach unten, wie am Ziel, in Kitzbühel. Auf der Höhe vom Einlauf, auf den letzten Metern, zwei weiße Linien im Halbrund. Dahinter die Band, davor stehen wir.

An der Wand ein paar hundert Turnschuhe als weißes Quadrat. Andy Warhol, Concept Store? Nee, ach so: „Sneakers4Free“ heißt eins der neuen Stücke. In einer seiner ersten Ansagen an Berlin macht Maurice Ernst die Message klar: Liebe ist wichtiger als Hackln.

Der Papa ist immer ein Wappler

Am Fuß von der Piste stehen die Jungs, easy zum Record Release. „Magic Life“ heißt das neue Album: Erzähl deinen Mädels, ich bin in wieder in der Stadt. Schwierig sei es, sagt die Kritik, sperrig sei es, sagt die Kritik, einen Schmarrn sagt die Kritik. Es ist ein super Album, und sie spielen sie auch super, die neuen Stücke. Die sind 2017. Mit funky Beats und Bässen, unter uns vibriert’s, mit Sirensounds und digital verzerrten, euphorisierend lustigen, traurig psychedelischen Gitarrensoli und Autotune für den Maurice.

In der ersten Reihe fast nur Frauen. Leicht nervös, sie wären gern flirty und dirty. Mizzy, du bist heiß, gib uns deinen Scheiß. Irgendwann sind die Maschinen warm gelaufen, der Maurice merkt es, er merkt es alles. Dann gibt er noch mehr Gas. Die Luft ist so elektrisch, und die Mädels werden hektisch.

Was sagt die Tochter (12) dazu? „Lass es mich mal so beschreiben: Die Musik war gut. Aber wenn ich nicht da gewesen wäre, würd ich es nicht bereuen.“ What!? Was lernt ihr eigentlich auf Musically, Kinder? Den Funk jedenfalls nicht. Klar, der Papa ist immer ein Wappler. Lass ihn los, auch das kannst du lernen von Bilderbuch.

„Wenn’s eine Demo für Deniz gibt, will ich mit“

Am Samstag geht’s ins Krankenhaus Neukölln. Christian abholen. Er ist depressiv, seit die Oma gestorben ist. Jetzt hat er täglich Therapie. Am Samstag geht er so hin. Wir fahren Bus, U-Bahn kann er nicht ausstehen, aber der ist ewig unterwegs. Selbst im Bus gibt’s einen, der Christian kennt. Christian kennt alle, alle kennen Christian. Als wir langsam auf der Pflügerstraße heimspazieren, sagt er: „Wenn’s eine Demo für Deniz gibt, will ich mit.“

Christian hat ein Gefühl für Timing, im Gegensatz zu mir. Sonntagmittag, ich noch voll verpeilt von der Falco-Night, ist es so weit. Wie, was, Autocorso für Deniz? War wieder nicht auf Facebook. Mag’s nicht mögen müssen, aber jetzt hätt ich’s wieder fast verpasst. Auf dem Mittelstreifen von der Stalinallee warten sie schon, aber ich seh sie nicht. Alek lacht nur: Wie, keiner da? Da sind wir doch. Bei Julia im Auto ist noch Platz, dann geht’s los. Neben uns das Mutlumobil. Wo ist der Porschardt?

Nach einer halben Stunde haben die Fahrer einen funky Hup­rhythmus gefunden. Auf dem 17. Juni tanzen ein paar Jungs dazu. Vor der taz stehen die Kollegen, Christian mittendrin. Am Moritzplatz hüpfen ein paar Achtjährige wie Gummibälle auf und ab und rufen: „Free Deniz!“ Was läuft im Corso-Auto? Bilderbuch, was sonst. Wir Verbrecher gehen Hand in Hand.

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