Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Ich bin nun der Älteste
Sein eigener Tod, ein Besuch im Krankenhaus und frühes Zubettgehen: Die Songtexte von Leonard Cohen passen in viele Situationen.
A m Freitagmorgen sagte jemand im Radio, Leonard Cohen sei gestorben. Eigentlich war das keine Überraschung. Als ich ihn das letzte Mal live gesehen hatte, in dieser schrecklichen O2 Arena, hatte ich gewusst, dass ich ihn danach nicht mehr sehen würde.
Sein Tod berührte auf ganz andere Art als der Tod von David Bowie. Leonard Cohens Werk war ja vollendet, er hatte sich auf den Tod vorbereitet und war dankbar für das Leben, das er hatte leben dürfen. Meinen ersten Text in der taz hatte ich 1988 über Leonard Cohen geschrieben, um den Sänger gegen seine Liebhaber sozusagen zu verteidigen. Und so ging das dann weiter.
Immer wieder mal hatte man in Krisen anfallsartig Lieder von Leonard Cohen gehört. Und viele unterschiedliche Lieblingslieder gehabt; „Famous Blue Raincoat“, „Story of Isaac“, „Stranger Song“, „Dress Rehearsal Rag“, „Diamonds in the Mine“, „Avalanche“, „Tower of Song“, „Seems so long ago, Nancy“ natürlich, sein Requiem für eine junge Frau, die sich das Leben genommen hatte, „in 1961“, dem Jahr, in dem ich geboren wurde.
Vielleicht weil Liebe und Tod so intime Sachen sind, hatte ich Cohen nur im Konzert mit anderen hören können. Wenn im Alltag jemand Leonard Cohen angemacht hatte, war mir das oft ein bisschen übergriffig vorgekommen.
Nun ist auch mein letzter Star gestorben, und ich bin nun der Älteste. Aber das stimmt auch nicht ganz – Marc Almond lebt ja noch. Irgendwie passte der Tod von Leonard Cohen thematisch ganz gut, weil mein zweitältester Freund, bei dem ich in den letzten Wochen oft sozusagen Zivildienst gemacht hatte, ein paar Tage zuvor in der Intensivstation gelandet und schon im Koma gewesen war.
Eigentlich ist es ein Glück, dass er nun im Krankenhaus ist; zu Hause war er dabei gewesen, sehenden Auges ins Ende zu rennen. Nun kann er nicht weitertrinken, sein Diabetes wird neu eingestellt, danach wird entzogen, und dann grüßt das Heim, auf das ich mich auch manchmal freue, im Kinderglauben daran, dass es dort gute Duschen gibt und nette Schachspieler und sonntags immer Sonntagsessen.
Cohen-Zitate prägen
Am Abend kam G. zu Besuch. Eigentlich sind G. und M. die Einzigen, die ich in den letzten Monaten gesehen hatte. Sie unterscheiden sich aber beträchtlich: Während M. in Grimma geboren wurde, mit seinen Eltern in den Westen zog und dann in den 70er Jahren politisiert und alkoholisiert wurde, wurde G. erst in den 80ern in Mexiko geboren und ging vor neun Jahren nach Berlin; während M. 1,80 ist, ist G. eher 1,58. Dass sie, wie M., aber früher, so mit zwölf, genau wie ich, mit ihren Freundinnen und Freunden in der Schule auch immer Schach gespielt hatte, war mir neu gewesen und freute mich. Ich hatte ihr mal meine Lieblingsplatte von Cohen, „Death of a Ladies'Man“, geliehen, und sie findet „True Love leaves no Traces“ am besten.
Vor dem Schlafengehen las ich in Gerhard Henschels supergutem Tagebuchroman „Abenteuerroman“, in dem Cohen auch oft zitiert wird. Ein paar Zeilen aus „Diamonds in the Mine“, dem Lied, mit dem sich Cohen von den revolutionären Hippies distanziert hatte, die in jenen Jahren manche Bühne anzündeten, weil die Musik doch frei sein sollte.
Dann besuchte ich M. noch mal im Krankenhaus. Er war gut verkabelt; sein Gesicht erinnerte an das Gesicht eines Boxers nach dem Kampf. Er erzählte von dem sächsischen Mitpatienten, dem eine Gallen-OP bevorstand und dessen Frau besorgt gefragt hatte: „Hast du auch was zu zwitschern?“.
Der Standardsatz im Krankenhaus wäre: „Ja, sofort, ich komm gleich“, und wenn man sage „Mir ist kalt“, bekäme man als Antwort „Hier ist es nicht kalt!“ So war das Wochenende. Am besten gefällt mir aber vielleicht doch „Tonight will be fine“, auch wenn ich inzwischen eher um zehn ins Bett gehe.
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