Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Ein bisschen Quality Time
Feste Partnerschaften machen Menschen krank. Erste Symptome sind Schwärmereien und Desinteresse an anderen Sexualpartnern.
M eine Freunde sind krank. Die Symptome sind grippeähnlich: Man wird müde, träge und möchte den ganzen Tag nur noch im Bett liegen. Die Freunde leiden an einer weitverbreiteten Krankheit, die in Fachkreisen RZB genannt wird – romantische Zweierbeziehung.
Es ist Freitagabend, und ich konnte zumindest S. überreden, das Bett zu verlassen. S. hat sich die Beziehungskrankheit erst vor ein paar Tagen eingefangen, die Symptome sind dafür umso heftiger. An dem Abend fühlt sie sich außerhalb des Hauses anscheinend besonders schlecht, denn bevor das erste Getränk ausgetrunken ist, holt sie ihre RZB hinzu.
Wir schweigen. Zu dritt stehen wir in einer überfüllten Kneipe im hippen Berlin-Neukölln. Es ist so laut, dass man schreien muss, um sich zu verstehen. Ich beobachte die Menschen an den Tischen. In großen Gruppen sitzen sie zusammen, trinken und lachen. S. und die RZB kuscheln an der Bar, ich stehe daneben. „Mhh …“, sage ich, „ich glaube, ich gehe nach Hause.“ „Jetzt schon?“, fragt S. „Du bist ja langweilig“, sagt die RZB.
Die Beziehungskrankheit RZB ist eigentlich gut erforscht, doch verdrängen Betroffene oft die Erkrankung. Erste Symptome sind Schwärmereien, Desinteresse an anderen Sexualpartnern und eine Leere, wenn die RZB nicht dabei ist. Leider gibt es noch kein Mittel gegen die Krankheit außer der Radikalkur – Schluss machen. Wenn dies einmal geschehen ist, helfen schmerzlindernde Medikamente wie „Freunde“ und „Alkohol“.
Am Samstagabend treffe ich die infizierte Freundin L. Sie schleppt die Krankheit schon ein Jahr mit sich herum. Seit L. krank ist, redet sie im königlichen Plural – sagt „wir“ statt „ich“. Doch ihr Sozialverhalten hat sich erheblich verbessert. Sie geht wieder unter Leute und schafft es inzwischen sogar, eine Tanzfläche zu betreten, ohne nach zwei Stunden weinerlich zu werden.
Deshalb gehen wir aus. Wir tanzen zu Techno, die Halle ist düster. Nur das Gesicht von L. wird immer wieder von einem Lichtschein bestrahlt – ihrem Smartphone, wenn sie der RZB bei WhatsApp zurückschreibt. L. schwelgt von Zeiten, als sie noch gesund war: „Weißt du noch, wie ich X. gedatet habe?“ Oder: „Hier hab ich mit Y. getanzt.“ Doch anstatt auf Menschen zu zeigen, die sie attraktiv findet, so wie früher, zeigt sie nun auf Typen, die aussehen wie ihre RZB. Nach sechs Stunden gehen wir nach Hause.
Am Sonntag treffe ich meinen letzten Singlefreund, wir lassen Drachen auf dem Tempelhofer Feld steigen und lästern über Pärchen. „Wenn Menschen freundeskrank werden“, das Wort hat er sich vor ein paar Jahren mal für die Beziehungskrankheit ausgedacht, „verschwinden die einfach von der Bildfläche“, sagt er. „Sie gehen nicht mehr raus, haben keine Zeit; wenn es besonders schlimm ist, reagieren sie nicht mal auf Anrufe und SMS.“
Die Pärchen-Ignoranz
Ich nicke wissend. Es sind schon einige Freundschaften zerbrochen, weil Menschen an RZB erkrankten. Denn RZB macht die Erkrankten ignorant. Es ist nicht so, als würde ich die FreundInnen dann einfach so fallen lassen. Während das Sich-von-der-Freundschaft-Lösen für mich ein langer Kampf ist, merken die Betroffenen oft gar nicht, dass sich etwas zwischen uns ändert. Der Singlefreund und ich, wir versprechen uns zum Abschied gegenseitig, dass wir niemals erkranken werden – als ob man das beeinflussen könnte.
Zu Hause angekommen, falle ich durchgefroren ins Bett. Ich bin müde und träge. Mein Handy klingelt. S. schreibt, dass es ihr leidtut wegen Freitagabend. Sie sagt, dass wir zusammen ein bisschen Quality Time brauchen, und sie fragt, ob wir ein paar Tage zusammen nach Hamburg fahren – ohne RZB. Ich lege das Handy weg. Ich fühle mich krank. Ich glaube, ich bekomm Grippe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“