Kolumne Aufm Platz: Die tiefe Bank
Die Angst vor hohen Bällen und die große Kulisse des Olympiastadions machte den Deutschen zu schaffen.
F ast schien es ihnen ein bisschen peinlich zu sein. Hatten die Kanadierinnen ihren deutschen Gegnerinnen doch fast die große Eröffnungssause versaut und beinahe noch den Ausgleich geschafft. Jedenfalls standen sie frisch geduscht und sichtlich entspannt in den Katakomben des Berliner Olympiastadions und versicherten der bangenden Gastgebernation: Keine Sorge, die DFB-Auswahl ist immer noch, so Kanadas Mittelfeldspielerin Sophie Schmidt, „the Number-One-Team“. Oder, wie es die Torhüterin Erin McLeod formulierte: „eine unglaubliche Mannschaft, die beste der Welt“.
So allerdings waren die Deutschen in der ersten Halbzeit nicht aufgetreten. Die Taktik, die der Trainerstab ausbaldowert hatte, war nicht aufgegangen. Als Grund wurde ausgemacht: die ungewohnt große Kulisse. Die habe zum einen, sagte Kerstin Garefrekes, zu einer größeren Nervosität geführt. Und zum anderen, so Simone Laudehr, dass die Kommandos nicht zu hören gewesen sein.
Die Folge: „Wir haben zu viel Angst vor den langen Bällen gehabt“, erklärte Torhüterin Nadine Angerer. Die Viererkette entwickelte solch einen Respekt vor dem avisierten kanadischen Kick & Rush, dass sie sich zu früh fallen ließ, wie auch Bundestrainerin Silvia Neid bemängelte, und so Löcher ins Mittelfeld riss. Die konnten die Kanadierinnen, die Lira Bajramaj „spielerisch überraschend stark“ fand, zum Kurzpassspiel nutzen.
THOMAS WINKLER ist Redakteur des WM-Teams der taz.
Die Nervosität hatte sich in der zweiten Halbzeit gelegt, die Deutschen verengten die Räume nun sehr viel besser, gewannen Bälle und nutzten die, um sich flach und schnell vor das Tor von McLeod zu kombinieren. „Das ist eigentlich unser Spiel“, sagte Kapitänin Birgit Prinz. Die Kanadierinnen wirkten nun stehend k. o., die Räume im Mittelfeld waren riesig, aber die DFB-Frauen vergaßen, ihre Großchancen zu nutzen.
Kanada dagegen blieb aus dem Spiel heraus nun ohne Chance, der Anschlusstreffer konnte nur durch einen Standard fallen, einen perfekt getroffenen Freistoß von Christine Sinclair. Die Kanadierinnen bekamen die zweite Luft, die Deutschen gerieten noch einmal zehn Minuten ins Schwimmen, „aber das muss man verstehen“, so Sophie Schmidt, Kanadierin mit deutschen Wurzeln, „sie standen unter großem Druck.“
Sorgen aber, da war sich Kanada einig, muss man sich um Neids Frauen nicht für den weiteren Fortgang des Turniers. Nicht nur die offensive Spielanlage ist, wie Torhüterin McLeod aus nächster Nähe begutachten konnte, ausgereift: „Die Flanken sind exzellent und in der Luft sind sie unglaublich stark.“ Den größten Vorteil der Gastgeberinnen sieht die kanadische Torhüterin jedoch in „der tiefsten Bank“ aller Teams: „Egal, wer eingewechselt wird, es ist kein Qualitätsverlust zu erkennen.“
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