Kolumne American Pie: Diktatur der Irren
„Wenn du die Insassen das Irrenhaus leiten lässt, geraten die Dinge außer Kontrolle“, sagt ein NHL-Spieler. Während die Favoriten in den Playoffs straucheln, schlagen die Raubeine kräftig zu.
N och mal Glück gehabt. Ein hässlicher 3:2-Auswärtssieg bei den Ottawa Senators war es, mit dem die New York Rangers eine Riesenblamage vermieden haben. Ein Aus wäre peinlich für die hoch gehandelten Rangers, schließlich war der Gegner als schlechteste Mannschaft der Hauptrunde in die Playoffs der National Hockey League (NHL) gerutscht. Nun steigt am Donnerstag das entscheidende siebte Spiel im Madison Square Garden. In New York hat der große Favorit die Möglichkeit, das Viertelfinale zu erreichen.
Sollte sich wider Erwarten doch Ottawa durchsetzen, wäre es aber nur eine weitere Sensation in einer sportlich bislang spektakulär verlaufenden ersten Playoff-Runde. Mit Vorjahresfinalist Vancouver Canucks ist das beste Team der Punkterunde bereits ausgeschieden, mit den Rangers droht das zweitbeste zu scheitern, und auch der Titelverteidiger Boston Bruins muss heute Nacht gegen die Washington Capitals ein siebtes Spiel gewinnen, um das frühe Aus zu verhindern.
Die NHL ist, das beweist diese K.o.-Runde wieder einmal, die spannendste der vier großen Profi-Ligen in Nordamerika. Im Football, Basketball und auch im Baseball geht es lange nicht so ausgeglichen zu, aber trotzdem verlieren die Eishockey-Profis in der öffentlichen Aufmerksamkeit weiter an Boden. Die TV-Einschaltquoten außerhalb der traditionellen Eishockey-Hochburgen bleiben schlecht.
Dabei wird einiges geboten. Pünktlich zu den Playoffs eskaliert die Gewalt auf dem Eis: So konnte der New Yorker Stürmer Brian Boyle, der bis dahin kein einziges Saisonspiel verpasst hatte, beim 3:2 in Ottawa nicht dabei sein, weil er im Spiel zuvor von Chris Neil so heftig gecheckt worden war, dass er eine Gehirnerschütterung davontrug.
Die Rache der Kollegen
Neil wurde dann für seine Attacke am Dienstag von Boyles Teamkollegen Brandon Prust verprügelt, während das Publikum begeistert jubelte. Bei den Senators konnte immerhin Kapitän Daniel Alfredsson wieder mitspielen, der seinerseits drei Spiele wegen einer Gehirnerschütterung hatte aussetzen müssen.
„An der Grenze zum Chaos“, so Todd McLellan, der Trainer der San Jose Sharks, seien die Playoffs: Fäuste fliegen, Knochen knarzen, Massenkeilereien brechen aus und Spieler werden vom Eis getragen. Zehn Spieler hat die NHL bereits nach Schlägereien oder Checks suspendiert, am längsten Raffi Torres von den Phoenix Coyotes, der für 25 Spiele gesperrt wurde.
Thomas Winkler ist Autor der taz.
Raubein Torres hatte Marian Hossa von den Chicago Blackhawks so brutal umgelegt, dass der slowakische Flügelspieler fünf Minuten regungslos auf dem Eis lag. Sein Teamkollege Jamal Mayers sagte mit Blick auf zu zahme Schiedsrichter: „Wenn du die Insassen das Irrenhaus leiten lässt, geraten die Dinge außer Kontrolle.“
Wenig familienfreundliches Umfeld
Der NHL passt das gar nicht in die Strategie. Die Liga versucht schon lange, von ihrem Rabauken-Image wegzukommen. Die Familien, die man in die Hallen ziehen will, werden aber kaum wiederkommen, wenn ständig Spieler krankenhausreif geprügelt werden. Auch die ersten Sponsoren haben sich gemeldet, weil sie um ihr Werbeumfeld fürchten.
Also verteilt die Liga inflationär Sperren an die Prügelknaben und weist die Schiris an, strenger zu pfeifen. Traditionalisten merken aber an, dass viele der beanstandeten Aktionen noch vor einigen Jahren zum Alltag auf Eisflächen gehörten.
„Das ist dasselbe, wie sich über den Regen in Woodstock zu beschweren“, moserte Brian Burke, der Manager der Toronto Maple Leafs, „ja, es gab eine Menge Schlamm, aber es war auch das großartigste Musikfestival aller Zeiten.“ Seine Maple Leafs allerdings haben die Party verpasst. Sie konnten sich nicht für die Playoffs qualifizieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!