piwik no script img

Kolonialismus Nachfahren der Opfer des deutschen Völkermordes an den Herero klagen in New York gegen die Bundesrepublik – in die Diskussion um Reparationszahlungen kommt Bewegung. Doch die Schatten des Kolonialismus sind lang, zu viele haben davon profitiert ▶ Schwerpunkt SEITE 43–45Payback-Time

von Benno Schirrmeisterund Lena Kaiser

Kolonialismus war ein Verbrechen, geboren aus der Überheblichkeit Europas. Aber welche wirtschaftlichen Vorteile ziehen wir noch heute daraus? Und wie gehen wir damit um? Reicht es, ein Elefanten-Standbild, mit dem sich Bremen als Stadt der Kolonien in Szene setzte, zum Mahnmal umzuwerten – und, ergänzt um Dokumentationen und Ausstellungen, denkmalgerecht in Schuss zu halten?

Aber was wäre die Alternative? Sollte man die Spuren und Hinterlassenschaften des Kolonialismus im öffentlichen Raum beseitigen, abreißen, auslöschen, so, wie es ein intelligenter Mörder tut, um nicht überführt werden zu können?

Wichtig ist, sich nicht auf die symbolische Ebene zu beschränken. Es geht nicht um eine Ideengeschichte. Es geht um materielle Vorteile: Müssen wir nicht, wie eine UN-Arbeitsgruppe Deutschland Ende Februar nahegelegt hat, Reparationen leisten? Wie nicht, wenn aus Verbrechen kein Gewinn für den Verbrecher entstehen darf? Aber wie, nach welchem Modell und an wen? Der Berliner Herero-Aktivist Israel Kaunatjike fordert, dass die Bundesregierung mit den Betroffenen und nicht mit der namibischen Regierung über Reparationen verhandelt. Was in diesem Fall nachvollziehbar, machbar, sinnvoll scheint, ist nur bedingt aufs gesamte Problem zu übertragen. Es verweist zudem auf ein strukturelles Problem auf der Täterseite: Kolonialismus war staatlich initiiert, aber keine bloß staatliche Angelegenheit. Und er war eine Angelegenheit der Eliten: Der Jahrhunderte währende gesamteuropäische Raubzug ermöglichte überraschende Allianzen zwischen den sonst konkurrierenden Mächten. Einige von ihnen gibt es nicht mehr, andere sind, belastet mit diesem zweifelhaften Erbe, entstanden, die Grenzen haben sich verschoben.

Außerdem sind die Gewinne des Kolonialismus längst privatisiert. Und die Vermögen, die dank Landraub, Naturverwüstung, Sklavenhandel und Sklavenarbeit akkumuliert wurden, wachsen und gedeihen längst fern vom Zugriff der Schatzämter, gern in Scheinfirmen und Banken ehemaliger Kolonien, die sich vom kolonialen Zugriff nicht haben erholen können: Dass aus dem Südseeparadies Nauru, dessen englische Name einst Pleasant Island war, über den Umweg extremen Reichtums, maximaler Korruption und eines Staatsbankrotts, heute ein wüstes Internierungscamp Australiens geworden ist, hat auch damit zu tun, dass es eine deutsche Kolonie war; damit, dass dort die vor 130 Jahren gegründete Hamburger Jaluit Gesellschaft Schürfrechte besaß, dank derer deutsche Kaufleute ab 1913 gemeinsam mit britischen Unternehmern trockenen Guano in Gold verwandeln konnten. Nach dem Krieg kaufte eine Gemeinschaft von Aus­tralien, Neuseeland und Großbritannien die Pacific Phosphate Company für 400.000.000 Pfund.

Viele dieser Unternehmen wachsen völlig ungebremst weiter – oder sind in noch größere aufgegangen. Werden Schnapsbrennereien wie Johannsen in Flensburg, die durch den Rumhandel mit den Kolonien reich wurden, enteignet? Wer demontiert Bremens Baumwollbörse und wo kann sie als Reparation nützen? Wann wird die Hamburger Wöhrmann GmbH, die von sich selbst behauptet, sie wäre „seit 1837“ mit ihrem „technischem Know-how in Afrika zu Hause“, zerschlagen und auf die Nachfahren ihrer Opfer verteilt?

Hamburg lässt seine Kolonialgeschichte seit Juli 2014 aufarbeiten, als der Senat einen „Neustart in der Erinnerungskultur“ beschloss. Als Hafen- und Handelsmetropole habe Hamburg eine besondere Verpflichtung und ein besonderes Interesse, erklärte die damalige Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos). Die Stadt installierte die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ unter Leitung des Historikers Jürgern Zimmerer.

Doch ist das schon genug? Die Organisation der Black Community und der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial finden das nicht. Sie kritisieren, dass die Betroffenen von Kolonialismus und Rassismus in den Prozess der Aufarbeitung nicht hinreichend einbezogen würden.

Reicht es, ein Elefanten-Standbild, mit dem sich Bremen als Stadt der Kolonien in Szene setzte, zum Mahnmal umzuwerten?

Bis heute ist Hamburgs Umgang mit seiner Kolonialgeschichte schizophren. Denn neben den Aufarbeitungsambitionen besteht nach wie vor eine gewisse koloniale Nostalgie, wie sie sich etwa in der Hafencity manifestiert. Als es darum ging, im neuesten Stadtteil an der Elbe Straßen und Plätzen einen Namen zu geben, fiel die Wahl auf Welteroberer wie Magellan, Marco Polo, Vasco da Gama, sogar Gebäude heißen dort nach Kolonialwaren.

Weniger prominent, im Stadtteil Jenfeld, findet sich an der Fassade der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne bis heute eine unkommentierte Reliefdarstellung des Kolonialgenerals Lothar von Trotha. Dessen „Vernichtungsbefehl“ gilt als Grundlage des Völkermordes an den Herero im heutigen Namibia. Erst 100 Jahre später, 2004, erklärte die Bundesregierung, von Trotha würde heutzutage dem internationalen Strafgerichtshof überstellt – als Kriegsverbrecher.

Derzeit kommt wieder Bewegung in die Debatte um eine Entschädigung für die Kolonialverbrechen. Nach den Herero und Nama, die den kolonialen Genozid überlebten, will nun auch Namibias Regierung Milliardenentschädigung von Deutschland. Erstmals hat die Bundesregierung konkrete Reparationszahlungen in Aussicht gestellt. Das wäre zumindest ein Anfang.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen