Kollektiv über Sexismus in der Rapszene: „Die Täter sollen Angst haben“
Seit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Rapper Samra melden sich immer mehr Betroffene mit ähnlichen Erfahrungen in der Szene bei #deutschrapmetoo.
taz: Kürzlich hat die Influencerin Nika Irani in einem Instagram-Post dem Berliner Rapper Samra vorgeworfen, sie vergewaltigt zu haben. Mit eurer Initiative #deutschrapmetoo gebt ihr nun Betroffenen die Möglichkeit, anonym von ähnlichen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in der Deutschrap-Szene zu berichten. Wie hoch war die Resonanz auf euren Aufruf?
#deutschrapmetoo: Sehr hoch. Wir bekommen täglich sehr viele Nachrichten von Betroffenen und uns wird immer wieder mitgeteilt, dass Leute sehr dankbar und erleichtert sind, dass es diese Möglichkeit für sie nun gibt, anonym über ihre Erlebnisse zu sprechen, für die es sonst keinen Raum gibt.
Die Interviewpartner_innen sind Initiator_innen von #deutschrapmetoo. Ihre Identität ist der Redaktion bekannt, sie möchten aber anonym bleiben
Ihr agiert als anonymes Kollektiv und gebt an, dass ihr selbst auch in der Hip-Hop-Szene sozialisiert seid. Warum ist es wichtig, dass die Aufarbeitung des Themas sexualisierte Gewalt im Deutschrap von Leuten aus der Szene angetrieben wird?
Zum einen, weil wir selbst Betroffene sind. Zum anderen, weil wir einen differenzierten Blick auf die Szene haben. Von Außenstehenden heißt es oft: „Ja, Deutschrap ist so sexistisch, da ist so eine #Metoo-Bewegung unbedingt notwendig.“ Aber Sexismus ist kein Rap-Problem, Sexismus und sexualisierte Gewalt sind ein gesamtgesellschaftliches Problem. Diese Art von Bewegung braucht es in allen Bereichen. Wir kümmern uns eben jetzt um diesen bestimmten Bereich, in dem wir uns auskennen.
Glaubt ihr nicht an einen Zusammenhang zwischen frauen- und queerfeindlichen Lyrics und physischer sexualisierter Gewalt?
Im Rap existiert definitiv ein sehr toxisches Bild von Männlichkeit – wie leider in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch. Das heißt aber nicht, dass Rapper, deren Lyrics nicht sexistisch sind, keine Täter sein können.
Samra wird in den sozialen Medien vehement verteidigt, auch von vielen weiblichen Fans. Ist das irgendwie überraschend?
Es ist nicht überraschend, dass einer Person der Öffentlichkeit mehr geglaubt wird als einer Unbekannten. Genauso wenig überrascht es, dass dem Mann mehr geglaubt wird. Das spiegelt ja nur das Machtgefälle wider, das solche Übergriffe überhaupt möglich macht. Es kostet jedenfalls viel Mut, als Betroffene über so etwas öffentlich zu sprechen. Denn man wird auf schlimmste Weise diffamiert.
Gerade am Beispiel Nika Irani lässt sich gut nachvollziehen, wie wenig Bewusstsein es eigentlich für das Thema Konsens gibt. Irani wird nicht als „echtes Opfer“ gesehen, weil sie sich freiwillig mit Samra getroffen hat und in der Erotikbranche tätig ist. Sie hat in ihrem ersten Post ja auch gesagt, das Erlebte „grenzte“ an eine Vergewaltigung, obwohl ihre Schilderung des Tatverlaufs doch sehr eindeutig war. Ist das so ein Muster, dem ihr auch in den anonymen Berichten begegnet, dass sich die Betroffenen gar nicht richtig trauen, von einer Vergewaltigung zu sprechen?
Absolut. Das kennen wir auch aus eigener Erfahrung. Ganz oft spielen Betroffene diese Taten erst einmal runter und sagen sich, anderen Menschen passieren viel schlimmere Dinge. Oder sie geben sich selbst die Schuld, weil sie sich freiwillig mit dem Täter getroffen haben. Das ist sehr traurig und bedeutet, dass wir auf jeden Fall für mehr Sensibilität beim Thema Konsens sorgen müssen, durch mehr Aufklärung.
Es heißt oft, eine Vergewaltigung sei vor Gericht kaum zu beweisen, wenn die Betroffene nach dem Übergriff nicht sofort Anzeige erstattet. Wie steht ihr denn zum Thema Polizei?
Der Weg für Betroffene, Anzeige zu erstatten und das strafrechtlich verfolgen zu lassen, ist total hart und zermürbend und führt häufig dazu, dass sich die psychische Verfassung nur noch verschlechtert. Einfach, weil den Betroffenen nicht geglaubt wird. Wie soll man denn bitteschön beweisen, dass man vergewaltigt wurde von einer Person, die man freiwillig getroffen hat? Manche Betroffenen haben uns geschrieben, dass sie nach der Vergewaltigung direkt zum Arzt gegangen sind. Sie haben alles protokollieren lassen und dennoch wurde ihnen von verschiedenen Stellen geraten, das nicht zur Anzeige zu bringen, weil es einfach ein Kampf gegen Windmühlen ist. Und den kann man nicht gewinnen, außer es waren Augenzeug_innen dabei, die bereit sind auszusagen. Andernfalls sind viele der Auffassung, dass man die Energie lieber nicht in einen Strafprozess stecken sollte, sondern in die eigene Aufarbeitung des Traumas.
Initiator_innen von #deutschrapmetoo
Nach welchen Kriterien sucht ihr aus, welche anonymen Berichte ihr veröffentlicht und welche nicht?
Wir versuchen verschiedene Arten von Übergriffen sichtbar zu machen. Es muss sich nicht immer um eine Vergewaltigung handeln, Betroffene können uns auch schreiben, wenn sie verbal bedrängt oder bedroht wurden. Momentan ist es bei der Auswahl der Berichte aber auch so, dass wir darauf achten müssen, dass keine Rückschlüsse auf den Täter zu ziehen sind. Wir bitten Betroffene deshalb manchmal, den Text noch mal umzuschreiben, um sie und uns auch juristisch zu schützen.
Habt ihr vor, in Zukunft auch Namen von Tätern zu veröffentlichen?
Ja. Wir sind da gerade in rechtlicher Beratung deswegen und versuchen, Wege zu finden. Aber unser primäres Ziel ist nicht das Outcalling von Tätern. Wir wollen, dass sich langfristig etwas ändert. Wir hoffen, dass unsere Aktion Angst schürt bei Tätern und vor weiteren Taten abschreckt. Und wir wollen vor allem Betroffene empowern.
Gibt es denn bestimmte Namen oder Cliquen, die besonders häufig als Täter genannt werden?
Es gibt schon Namen, die immer wieder auftauchen. Aber eigentlich verteilt es sich sehr.
In einem der Berichte heißt es, die Betroffene habe versucht, aus dem Haus eines bekannten Rappers zu fliehen, woraufhin er sie mit dem Messer bedrohte und sagte, sie käme nur mit dem Leichenwagen wieder aus dem Haus, wenn sie sich ihm verweigere. Das sind harte Storys. Wie schützt ihr euch selbst?
Wir haben eine psychologische Betreuung und Supervision angeboten bekommen, die wir auf jeden Fall in Anspruch nehmen wollen. Ansonsten schützen wir uns, indem wir anonym bleiben.
Habt ihr ein Verfahren, anhand dessen ihr die Glaubwürdigkeit eines Berichts prüft?
Wir haben uns viel mit dem Thema Falschbeschuldigung auseinandergesetzt und es ist faktisch so, dass sie einen sehr geringen Teil ausmachen. Studien sprechen von höchstens 3 Prozent. Für uns gibt es daher gar keinen Grund, den Betroffenen nicht zu glauben, wenn sie uns schreiben. Natürlich checken wir ein bisschen ihre Profile, um sicherzugehen, dass es keine Fakes sind. Aber dieser häufige Vorwurf, dass Falschbeschuldigungen gemacht werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen, greift auf unserer Plattform überhaupt nicht, da die Berichte ja sowieso anonymisiert sind.
Am vergangenen Wochenende hat der Rapper Cashmo mit der Bedingung, 100.000 Follower auf Instagram zu erreichen, ein altes Video von Bushido gepostet. Darin überredet der Rapper eine möglicherweise Minderjährige zum Sex. Wie steht ihr zu dieser Aktion?
Was da passiert, ist eine Instrumentalisierung dieser Bewegung und der Gewalttaten zum Zweck der eigenen Promo. Wir finden es natürlich gut, wenn Rapper sich damit auseinandersetzen, wie sie sich in der Vergangenheit verhalten haben, und sich öffentlich dazu äußern. Aber diese Aktion war einfach falsch.
Samras Label Universal hat angekündigt, die Zusammenarbeit mit dem Rapper pausieren zu lassen, bis die Vorwürfe gegen ihn geklärt sind. Wie findet ihr diesen Schritt?
Wir finden das richtig. Aber die Frage ist, setzt sich Universal wirklich mit dem Thema auseinander oder reagieren sie nur auf den öffentlichen Druck? Nika Irani wird es schwer haben im Strafprozess. Samra ist reich und kann sich die teureren Anwälte leisten. Falls der Prozess an der mangelnden Beweislage scheitert, wird Universal die Arbeit mit Samra wieder aufnehmen?
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