Kollaps würde zu großer Kälte führen: Forscher blicken mit Sorge auf den Golfstrom
Kippt bald die Atlantische Umwälzströmung und bringt Europa mehr Kälte sowie weniger Regen? Das ist unklar. Ein Grund zur Entwarnung ist das nicht.
Was in der Öffentlichkeit als „Golfstrom“ bekannt ist, ist Teil eines gigantischen Systems mit dem Namen „Atlantische Umwälzzirkulation“, auf Englisch als „Amoc“ abgekürzt. Warmes Wasser aus den Tropen fließt dabei zuerst in Richtung Nordamerika und von dort nach Europa. Mit der Zeit gibt das Wasser seine Wärme an die Luft ab, wird selbst kälter und sinkt im Nordatlantik ab. In zwei bis drei Kilometern Tiefe fließt das Wasser dann zurück in den Südatlantik, wo es wieder erwärmt wird. Die Wärme der Riesenpumpe Amoc ist einer der Gründe dafür, dass in Europa ein gemäßigtes Klima herrscht, obwohl die gleichen Breitengrade zum Beispiel in Kanada weit niedrigere Durchschnittstemperaturen aufweisen.
Besorgt sind Wissenschaftler*innen, weil die Amoc-Pumpe langsamer wird und weniger warmes Wasser nach Norden transportiert. Die Geschwindigkeit lässt sich aber erst seit 20 Jahren direkt messen. Das reicht nicht, um sicher zu sein, dass es sich nicht um natürliche Schwankungen handelt. Dafür müssen andere Beobachtungen hinzugezogen werden, sogenannte „Fingerabdrücke“, an denen der Einfluss der Riesenpumpe deutlich wird. Zum Beispiel entsteht im Nordatlantik, wo das warme Wasser hinfließt, derzeit ein Cold Blob, ein blauer Klecks, auf den Klimakarten. Hier ist die Lufttemperatur kälter als 1990, obwohl sich die Erde seitdem erhitzt hat. Das erklärt Klimaforscher Rahmstorf damit, dass weniger warmes Wasser aus dem Südatlantik von der Amoc nach Norden gepumpt wird.
Mit diesem und anderen Fingerabdrücken „handelt man sich aber große Unsicherheiten ein“, sagt Niklas Boers der taz. Boers ist Professor für Erdsystem-Modellierung an der Technischen Universität München. Die Messung von Wassertemperaturen sei Anfang des 20. Jahrhunderts noch sehr ungenau gewesen. Trotzdem sagt Boers: „Alle Hinweise sprechen dafür, dass die Amoc langsamer wird. Aber es sind noch nicht alle gegenteiligen Hypothesen ausgeschlossen.“
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Verschiebung nach Süden
Wird die Riesenpumpe langsamer, würde sich „alles, was wir kennen, nach Süden verschieben“, sagt Boers. In Europa würde es deutlich kälter werden und weniger regnen. Der Regengürtel in den Tropen würde sich nach Süden verschieben, wodurch die Monsunsysteme gestört werden. Von den Monsunen ist zum Beispeil die Landwirtschaft in dicht besiedelten Regionen Indiens stark abhängig. Die Menschen dort müssten sich an die neuen Bedingungen anpassen oder abwandern. Unklar ist, wie schnell sie sich anpassen müssen. Viele Klimamodelle haben die Verlangsamung der Amoc und einige Fingerabdrücke nicht prognostiziert. Diese Modelle können also auch nicht vorhersagen, wie schnell die Riesenpumpe langsamer wird.
Eine Studie, die im November im Fachmagazin Nature Geoscience erschienen ist, hat für dieses Problem eine Lösung gefunden. Denn viele der Modelle haben bisher nur die aufgrund der Erderhitzung steigende Meerestemperatur miteinbezogen. Es gebe aber noch einen anderen Prozess, der die Amoc schwächen kann, erklärt Gabriel Pontes der taz. Pontes ist einer der Studienautor*innen. „Wenn die Meerestemperaturen die Amoc-Verlangsamung nicht allein erklären können, muss es das schmelzende Gletschereis sein.“
Weil die Menschheit weiter fossile Energie nutzt und die Erderhitzung befeuert, schmilzt das Eis der Gletscher Grönlands und Kanadas. Dieses Eis fließt als Süßwasser ins Salzwasser des Nordatlantiks. Weniger salziges Wasser bedeutet geringere Dichte, und weniger dichtes Wasser sinkt weniger schnell ab. Die Geschwindigkeit, mit der im Nordatlantik das Wasser absinkt, bestimmt maßgeblich, wie schnell die Amoc fließt. Weniger salziges Wasser im Nordatlantik verlangsamt also die Strömung. Die Studie sei plausibel, findet der Münchener Klimaforscher Boers, der nicht daran beteiligt war. „Das ist ein zusätzlicher starker Hinweis, dass die Amoc tatsächlich langsamer wird“, sagt der Münchner Klimaforscher.
Verlangsamung ist aber nicht das Gleiche wie ein Kollaps. Von einem Kollaps könnte sich die Amoc nicht wieder erholen. Eine Verlangsamung ließe sich dagegen rückgängig machen, falls die Erde wieder kälter wird. Auch deswegen erhielten Studien, die einen Kollaps noch in diesem Jahrhundert voraussagen, so viel Aufmerksamkeit.
Kein Grund zur Entwarnung
Boers findet, dass in diesen Studien die Unsicherheiten nicht ausreichend Beachtung finden. Er war selbst an einer Untersuchung beteiligt, die unter Leitung der Münchner Forscherin Maya Ben-Yami die Vorhersage von Kollapsen von Erdsystemen wie der Amoc kritisiert. Die getroffenen Annahmen seien oft stark vereinfacht, außerdem seien die verwendeten Daten oft lückenhaft oder ungenau. Als die Forscher*innen beispielhaft alle Unsicherheiten miteinbezogen, sagten ihre Modelle den Kollaps der Amoc für einen Zeitraum zwischen der Mitte des 21. Jahrhunderts und dem Jahr 3000 voraus.
Das sei aber kein Grund zur Entwarnung, betont Boers. Erstens, weil die Erderhitzung womöglich so schnell voranschreitet, dass die Verlangsamung schneller ist als ein Kollaps der Amoc. Und zweitens könne es sein, dass die Riesenpumpe erst im Jahr 3000 kollabiert. Aber es könne auch sein, dass es Mitte des 21. Jahrhunderts dazu kommt. „Ich neige dazu, die Unsicherheiten stärker zu betonen als andere“, sagt Boer. „Aber das heißt nicht, dass ich weniger besorgt bin.“ Denn je größer die Unsicherheiten, desto weniger Risiko sollten die Menschen eingehen: „Wir haben keinen Spielraum, mehr Erderwärmung in Kauf zu nehmen.“
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