Gastkommentar: Köpfe nach DIN?
■ Nicht prüfbar: Persönlichkeitsbildung
Mit Ausdauer praktizierter Unsinn bleibt am Ende das, was er ist. Bremens Bildungsverwaltung wird es nicht gelingen, das in Jahrzehnten angesammelte pädagogische Reformwissen außer Kraft zu setzen. Unstrittig ist nämlich bei allen aufgeklärten Köpfen, daß die Ergebnisse von Schule exakt zu messen, äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Den in Ziffern ausgedrückten Zensuren traut ohnedies keiner mehr, weil niemand weiß, mit welcher Latte hier gemessen wird. Die Wirtschaft ist längst dazu übergegangen, die Abgangszeugnisse durch standardisierte Tests zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Die beste Schulbildung hätten dann die genossen, mit denen systematisch im Unterricht die gängigen Tests eingeübt worden wären. Eine grauenhafte Vorstellung für alle, die sich von Schule erhoffen, daß da Persönlichkeiten entfaltet werden.
Inzwischen kann jeder Dienstleistungsbetrieb zum TÜV gehen und sich ein Zertifikat dafür holen, daß bei ihm ständig die gleiche Qualität produziert wird. Das ist nach dem Gusto der Bildungsverwaltungen aller Orten. Den Deutschen Industrienormen (DIN) treten jetzt die Deutschen Schulnormen (DSN) zur Seite. Von NRW bis Bremen, die Sozis wollen überall ihr Odium loswerden, ihre Schulen leisteten zu wenig. Schulranking heißt die neue Mode.
Schulautonomie hieß das letzte Schlagwort, mit dem die Pädagogen in die Freiheit entlassen wurden. Eine Scheinfreiheit, wie wir jetzt merken, gerade dafür gut, fehlende Mittel vor den Eltern zu verantworten. Wie immer es gedreht wird, das Gitternetz aus vorgegebenen Tests gleichmäßig über die Schullandschaft der Stadt gelegt, wird die Misere bildungsferner Stadtteile verdeutlichen und die Kollegien hierfür in Haftung nehmen. Ob testbeste Schulen allerdings für das Leben richtig vorbereiten, darf füglich angezweifelt werden.
Ist also dem Widerstand von GEW und Lehrerkollegien gegen die neuerliche Testerei Sieg zu wünschen, damit alles beim alten bleiben kann? Natürlich nicht, weil Schule in der Tat aus der subjektiven Beliebigkeit einzelner Lehrer und Kollegien herausgeführt werden muß. Die erzwungene Außenkontrolle ist aber der schlechteste Weg. Lehrer müssen motiviert werden, ihren Unterricht zu reflektieren und für andere transparent zu machen. Die gegenseitige Hospitation ist hierfür ein bislang kaum geübtes Instrument. Unterrichtseinheiten in Parallelklassen können auch schulübergreifend verabredet werden, an deren Ende gemeinsam verfaßte Erfolgskontrollen stehen sollten. Kurzum, in den Kollegien müssen pädagogische Prozesse in Gang kommen, die von den Lehrern selbst initiiert werden. Vergleichbare Schulen müssen ihre Arbeit vergleichen, fachliche Zielvorstellungen für Abschlüsse in den Kollegien und zwischen Schulen verabredet werden. Frustrierte Lehrer in Verweigerungshaltung verursachen nur Schuldesaster. Die Welt lernt durch Rücckoppelung. Die aber findet in unseren Schulen kaum statt. Und für Behörden gilt das Prinzip natürlich auch. Wann wird man am Rembertiring gelernt haben, welchen Irrweg man mit den verordneten Tests beschreitet?
Frustrierte Kollegien zu motivieren, bedarf allerdings mehr als nur guter Worte. Hospitationen, Fachkonferenzen, schulübergreifende Besprechungen kosten Lehrerstunden. Die Repädagogisierung der Schulen ist nicht zum Nulltarif zu haben. Vermutlich wäre aus dem allgemeinen Stundenbrei dafür noch manche Stunde zu gewinnen, wenn man das Vertrauen der Kollegien hätte. Durch Zwang von außen gewinnt man es nicht.
Horst-Werner Franke (Ex-Bildungssenator)
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