Königin des Käserennens: Willst du mich rollen?
Im englischen Brockworth kullern auch Frauen einen ultrasteilen Hügel herab und einem Käserad hinterher. Flo Early ist eine Rolllegende.
D ie Zeiten, in denen nur Männer unvernünftige, potenziell gesundheitsgefährdende Sportarten betreiben dürfen, sind schon lange vorbei. Seit das erstmals 1826 urkundlich erwähnte „Cheese Rolling on Cooper’s Hill“ im englischen Brockworth im Jahr 1985 zum offiziellen Event wurde, jagen beispielsweise selbstverständlich auch Frauen einem Gloucester-Käse hinterher.
Eine Sekunde Vorsprung bekommt der runde Laib jeweils, dann dürfen sich die Teilnehmer in vier Männer- und einem Frauenrennen an seine Verfolgung machen. Das Problem: Der Austragungsort besteht aus einem Hügel mit fast 50-prozentiger Steigung, auf dem es 180 naturbelassene Meter voller Hubbel und rutschigem Gras bergab geht.
Gewonnen hat, wer den Käse einfängt oder wenigstens zuerst im Ziel ankommt. Ratschläge über Siegesstrategien gibt es viele. Nach dem Start werden sie aber von den meisten offenkundig vergessen, wie Videoaufnahmen von eher kreuz und quer denn geradeaus den Hügel herabpurzelnden Teilnehmern zeigen. Zum Glück verfügt Brockworth über ein altehrwürdiges Rugby-Team, das während der Rennen die Aufgabe hat, unkontrolliert Herumrollende abzufangen.
Unumstrittene Königin des Käserennens ist Flo Early, die 2008 im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal gewann. Sie hatte sich gut vorbereitet und mit Veteranen der Sportart trainiert. Wichtig sei es, möglichst fest mit den Füßen am Boden zu bleiben und leicht rückwärts geneigt zu laufen, sagte sie. Aber das gelang auch ihr nicht immer.
Gebrochenes Schlüsselbein
2019 erklärte Flo Early ihren Rücktritt, nachdem sie trotz eines verstauchten Knöchels zum vierten Mal das Frauenrennen gewonnen hatte. Nun reiche es, sagte die damals 28-Jährige. „Ich habe große Schmerzen, es fühlt sich nicht gut an.“ Im Jahr zuvor hatte sie das Ziel als Erste mit gebrochenem Schlüsselbein erreicht und mit der Erkenntnis, wie sie bilanzierte, nicht unzerbrechlich zu sein.
Dem Käserollen blieb sie verbunden: Als 2022 mit Abby Lampe die erste Amerikanerin gewann, erzählte sie im Interview mit Sports Illustrated, es sei ein unvergesslicher Moment gewesen, von Flo Early geehrt worden zu sein. Lampe habe schon länger am Cheese Roll teilnehmen wollen, sagte sie, „denn ich liebe sportliche Herausforderungen, vor allem wenn sie ein bisschen obskur sind“.
Zur Vorbereitung auf das Rennen sei sie zu Hause in North Carolina „ein paar Hügel heruntergerollt“, aber Cooper’s Hill sei noch viel steiler. Das Renn-Wochenende sei toll gewesen, findet sie. „Ständig haben mich Leute beglückwünscht und wollten ihre Kinder mit mir fotografieren.“ Bis auf ein paar Schrammen und „viel Dreck zwischen den Zähnen“ überstand die Industrie-Ingenieurin das Abenteuer unbeschadet. Den Siegerkäse allein auf die Reise in die USA zu schicken, während Abby Lampe noch ein paar Wochen in Europa bleiben wollte, erwies sich aber als große logistische Herausforderung. Vier Stunden habe das gedauert, berichtete sie.
Seit 2013 rollen keine echten, handgemachten Käseräder mehr, sondern Plastikattrappen. Die Polizei hatte damals die Gloucester-Produzentin Diana Smart gewarnt, sie könne für eventuelle Gesundheitsschäden verantwortlich gemacht werden. Die Gewinnerkäse stellte Smart, die 2021 im Alter von 95 Jahren starb, allerdings unbeeindruckt weiter her. Mittlerweile hat ihr Sohn die Aufgabe übernommen.
Für dieses Jahr erwartet die Stadt ein Sicherheitskonzept der Veranstalter. Durch die steigenden Teilnehmer- und Zuschauerzahlen (schon 2009 kamen 15.000 Schaulustige) sei die Sicherheitslage kritisch geworden. Die Gewinnerin 2023, eine kanadische Backpackerin namens Delaney Irving, hatte ihren Sieg nicht mitbekommen, weil sie aufgrund einer Gehirnerschütterung bewusstlos ins Ziel gerollt war. Später sagte sie, soweit sie sich erinnern könne, viel Spaß gehabt zu haben: „Das war es wert!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen