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KoalitionsverhandlungenKompromiss oder Kulturkampf

Wenn Rot-Rot-Grün keine Einigung mit dem Fahrradvolksentscheid erzielt, könnte sich die Stimmung zwischen Auto- und Radfahrern verschlechtern.

Auto und Rad. Eng beieinander oder doch besser getrennt? Foto: dpa

Neulich beim Nachhauseradeln: Eine Autofahrerin und ein Radfahrer liefern sich am U-Bahnhof Vinetastraße eine verbale Auseinandersetzung. Keine Schreierei, aber auch kein versöhnliches „Beim nächsten Mal aber aufpassen, bitte“. Es ist nicht zu erkennen, was der Auslöser der Auseinandersetzung war, aber deutlich ist, dass keiner von beiden nachgeben will. Jeder fühlt sich offenbar im Recht. Was würden beide einander wohl sagen, wenn ein paar Tage später der Volksentscheid Fahrrad anstünde? Wenn es zum Schwur kommen würde: Auto oder Fahrrad?

Das Volksbegehren Fahrrad, das Ende vergangenen Jahres gestartet wurde, ist eine Kampfansage. Adressiert ist sie an die Politik, die dem rasant steigenden Radverkehr in Berlin tatenlos zugeschaut hat. Während andere Großstädte längst neue Wege gehen, herrscht in Berlin der übliche Schlendrian. Mehrere Jahre dauert es in der Regel, bis neue Radstreifen angelegt werden, obwohl das Geld da ist. Bezirke und Senat schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Erst als das Volksbegehren gestartet wurde, kündigte Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) an, eine Landesbehörde gründen zu wollen, die für Radinfrastruktur zuständig ist.

Der Radentscheid

Der "Volksentscheid Fahrrad" startete im November 2015. Ziel ist ein Radverkehrsgesetz (RadG), das dem steigenden Radverkehr in Berlin Rechnung trägt. In einem Zehnpunkteprogramm geht es unter anderem um 350 Kilometer Radstraßen, 100 Kilometer Radschnellwege, zwei Meter breite Radwege und mehr Kontrolle.

Die Initiative nahm im Juni dieses Jahres die erste Hürde. Rund 90.000 Berlinerinnen und Berliner unterstützten den Gesetzesentwurf. Diese liegt seitdem beim Senat zur rechtlichen Prüfung. Lehnt das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf ab, müssen rund 170.000 Unterschriften gesammelt werden, damit es zum tatsächlichen Volksentscheid kommt.

In der Arbeitsgruppe Verkehr, die am Donnerstag tagte, haben SPD, Linke und Grüne das Thema Radverkehr nur am Rande gestreift. Am 4. November wird es auf der Tagesordnung der großen Runde der Koalitionsverhandlungen stehen. (wera)

Die Kampfansage war also überfällig. In nicht einmal vier Wochen haben 100.000 Berlinerinnen und Berliner das Volksbegehren unterstützt, obwohl nur 20.000 Unterschriften notwendig gewesen wären. An der Schönhauser Allee, Ecke Danziger Straße bildeten sich vor den Aktivisten, die Unterschriften sammelten, sogar Schlangen. Radfahrer, die es sonst kaum erwarten können, die Kreuzung hinter sich zu lassen, stehen an, um ihre Unterschrift abzugeben. Als hätten sie nur darauf gewartet. Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler kommentierte den Erfolg der Initiative in einem taz-Streitgespräch mit Heinrich Strößenreuther, dem Sprecher der Initiative, mit den Worten: „Unter der Überschrift ‚Wir wollen was für Radler tun‘ kriegt man 20.000 und auch 170.000 Unterschriften zusammen. Ob in der stadtweiten Abstimmung eine Mehrheit dafür steht, kann ich nicht sagen. Da wird es wohl zugespitzt auf ‚Autofahrer gegen Radfahrer‘“.

Man kann Gaeblers Zuspitzung als Warnung an die Initiative verstehen, sich eines Sieges bloß nicht zu sicher zu sein. Man kann sie aber auch lesen als einen Vorgeschmack auf das, was auf den Berliner Straßen los sein wird, wenn zwischen dem designierten rot-rot-grünen Senat und den Initiatoren des Volksbegehrens kein Kompromiss gefunden wird. Schon jetzt spricht Heinrich Strößenreuther von einem „Krieg auf den Berliner Straßen“, der die Folge der Untätigkeit im Senat sei. „Das ist wie in einem Rattenkäfig, in das man immer wieder Backsteine legt. Wenn man ständig Platz wegnimmt, werden die sich gegenseitig zerfleischen.“

Für den Fall, dass es keinen Kompromiss zwischen Rot-Rot-Grün und der Initiative gibt, sieht Strößenreuther schwarz: „Wenn die neue Koalition keine Signale sendet, wird sich die Stimmung weiter anheizen.“ Damit legt der Sprecher des Volksbegehrens auch schon mal fest, wer den möglichen Kulturkampf „Autofahrer gegen Radfahrer“, von dem Gaebler spricht, zu verantworten hat: Nicht die Autofahrer und nicht die Radfahrer, sondern die Politik.

Nicht ganz so dramatisch sehen es die Grünen. Dort will man den Teufel nicht an die Wand malen. „Wenn es einen Kulturkampf gibt, dann fechten den viele in sich selbst aus“, sagt ein Grüner, der wegen der laufenden Koalitionsverhandlungen nicht zitiert werden will. Er verweist auf eine Umfrage von Infratest dimap, derzufolge jeder zweite Autrofahrer den Ausbau der Fahrradinfrastruktur unterstützt. Der grüne Verhandlungsführer der Arbeitsgruppe Verkehr, Stefan Gelbhaar, sagte vor kurzem der Morgenpost: „Es ist klar, dass wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigen müssen, wie wir mit dem Volksentscheid umgehen.“ Schließlich hätten sich alles drei Parteien zum ziel bekannt, die Bedingungen für den Radverkehr zu verbessern.

Kompromissbereit ist auch Heinrich Strößenreuther: „Wir wollen uns mit dem neuen Verkehrssenator oder der neuen Verkehrssenatorin an einen Tisch setzen“, kündigte er gegenüber der taz an. Das Ziel der Initiative sei es, bis März ein neues Radverkehrgesetz zu verabschieden. Strößenreuther fordert zudem „schnelle Verbesserungen“ wie die Trennung von Bus- und Radspuren. Man sei im Gespräch mit den drei Koalitionspartnern.

Was aber, wenn es bis März keinen Kompromiss gibt? „Dann wird das Thema Radverkehr auch den Bundestagswahlkampf bestimmen“, ist sich Strößenreuther sicher. Einen Volksentscheid zur Bundestagswahl aber hält er für unrealistisch. „Wir haben bis heute keine rechtliche Prüfung der Innenverwaltung“, so der Sprecher. Wenn das Abgeordnetenhaus danach keinen Kompromiss beschließt, sondern die vier Monate dauernde Frist in Anspruch nimmt, um den Gesetzesentwurf der Initiative abzulehnen, starte zwar die zweite Stufe des Volksbegehrens. „Aber den Herbst 2017 werden wir dann nicht mehr schaffen“, so Strößenreuther.

Ob damit dem rot-rot-grünen Senat in spe, womöglich noch mit einer grünen Verkehrssenatorin, gedient ist, steht auf einem anderen Blatt. Kommt es tatsächlich zum Schwur, könnte nicht nur die Stimmung zwischen Autofahrern und Radlern leiden. Es käme auch zu einer Entscheidung zwischen den radelnden Berlinerinnen und Berlinern auf der einen Seite und einem rot-rot-grünen Bündnis und der Autofahrerlobby auf der anderen.

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1 Kommentar

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die Grünen werden sich entscheiden müssen.

     

    Wollen sie die neue FDP werden? Dann sollten sie an ihrer Lebenslüge vom "Öko-Umbau der Kfz-Industrie" festhalten und gemeinsam mit der Kfz-Industrielobby (nicht "Autolobby", wie es im Artikel heißt *) Front gegen den Radentscheid machen.

     

    Vorteil: Sie sind weiter nach allen Seiten des Parteienspektrums koalitionsfähig.

    Nachteil: Die Wähler in den Städten außerhalb der Bundesländer mit Kfz-Ind. Konzentration könnten sich abwenden.

     

    Oder sie unterstützen den Radentscheid.

     

    Vorteil 1: Ein Durchbruch im Umweltschutz. "Our struggle for global sustainibility will be won or lost in cities" (Ban Ki Moon)

     

    Durch eigene, geschütze Radinfra wird der Radverkehr zu einer echten Alternative im urbanen Individualverkehr. Die Kfz-Industrie bekommt Konkurrenz für ihre Produkte.

    Der normale Autofahrer, Teil der * Autolobby, kann sich über persönliche und attraktive Alternativen zum oft ungeliebten im Kfz-Hocken freuen oder - wenn er nicht umsteigen will - über weniger und entspannteren Kfz-Verkehr.

     

    Vorteil 2: Auch der Radentscheid könnte als marktliberale Politik kommuniziert werden: Die Stadt Berlin schafft durch annähernd gleich attraktive Infrastrukturen für Rad und Kfz die Voraussetzung für: Freie Wahl für freie Bürger.

     

    Nachteil: Mit der Kfz-Industrie (und der innerparteilichen BaWü-Connection) hätte man es sich verscherzt.

    Koaltionen mit den Kfz-Parteien von Linke bis CDU in Bund, Ländern und Gemeinden und damit Regierungsverantwortung und schöne Jobs dürften deutlich schwerer erreichbar sein.