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KoalitionsauschussWird jetzt alles gut?

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Bei Koalitionsausschuss demonstrieren Union und SPD viel Einigkeit. Die wird nur halten, wenn die Union aufhört, den Sozialstaat zu attackieren

Einigkeit nach Zoff? Kanzler Friedrich Merz und Arbeitsministerin Bärbel Bas Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

K anzler Friedrich Merz steht extrem unter Druck. Der CDU-Chef hat markig angekündigt als Anti-Merkel richtig konservativ und so wie früher zu regieren. Dann hat er als Erstes die zuvor zum CDU-Heiligtum erklärte Schuldenbremse faktisch abgeschafft. Der Fixstern im christdemokratischen Wertehimmel, die Westbindung, strahlt auch nicht mehr. Um dieses Sinnloch zu füllen, kündigt Merz an, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar. Und so könne man beim Bürgergeld mal eben fünf Milliarden Euro sparen.

Auch SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas steht extrem unter Druck. Die SPD ist müde und ideenlos. Wenn sie jetzt dem Druck der Konservativen nachgibt und den Sozialstaat schreddert, droht Übles. In den Niederlanden haben sich die Sozialdemokraten von genau diesem Fehler nach 2017 nie mehr erholt. Dass der Sozialstaat nicht mehr bezahlbar sei, erklärte Bas kürzlich als „Bullshit“.

Der Kanzler beteuert bei Koalitionsausschuss nun indes, der Sozialstaat müsse gar nicht zusammengekürzt, sondern nur reformiert werden. Die Arbeitsministerin beteuert, dass man sie bei Reformen wirklich nicht zum Jagen tragen müsse. Merz und Bas haben zusammen Bier getrunken und duzen sich jetzt. Das ist offenbar ein zentrales Ergebnis des Koalitionsausschusses. Und Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sieht recht lyrisch „nach der Sommerdepression eine neue Herbstkraft“ kommen. Wird jetzt alles gut?

Diese Dramaturgie von Streit, Versöhnung samt Ankündigung, ab jetzt werde alles besser, erinnert unschön an die Ampel. Auf Parteitagen holzen, beim Koalitionstreffen Süßholz raspeln – das ist keine raffinierte Kommunikation, sondern rhetorischer Raubbau, der Glaubwürdigkeit zerstört.

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Schwarz-Rot wird nur überleben, wenn Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann begreifen, dass sie nicht mehr in der Opposition sind und folgenlos Forderungen in die Welt trompeten können. Wenn die Union suggeriert, das 30 Milliarden-Euro-Loch im Haushalt, das in ein paar Monaten gefüllt werden muss, ließe sich mit Sozialkürzungen reparieren, wird diese Regierung scheitern. Damit schürt die Union in ihrer Anhängerschaft haltlose Illusionen – und verlangt von der SPD Selbstmord auf offener Bühne. Beim Bürgergeld kann man schon wegen der Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht einfach so streichen.

Das Problem ist die prekäre Lage

Regierungen scheitern nicht daran, dass sich Kanzler und MinisterInnen siezen, sondern an zu wenig Geld. Die Ampel ist am Ende an drei Milliarden Euro zerbrochen. Angesichts des – trotz halb gelöster Schuldenbremse – zehnmal so großen Lochs im Etat sollte Schwarz-Rot besser ein paar Wahlversprechen noch einmal überprüfen – wie Mütterrente, Pendlerpauschale, Agrardiesel.

Das Kernproblem ist aber nicht der Haushalt, sondern die prekäre wirtschaftliche Lage. Deutschland hat seine ökonomischen Krisen seit der Agenda 2010 durch Export gelöst. Das funktioniert nicht mehr. Die USA schotten sich mit Zöllen ab, China flutet den Weltmarkt mit hochwertigen Produkten in Branchen, in denen Deutschland erfolgreich war, darunter Autos. Während Bas und Merz sich zuprosteten, flog Porsche aus dem DAX, dem Index der 40 größten Unternehmen hierzulande.

Merz kündigt einen „Stahlgipfel“ und einen „Dialog mit Auto- und Zulieferindustrie“ an. CSU-Ministerpräsident Markus Söder macht daraus, mit Blick auf BMW und die Automobilmesse in München, einen „Autogipfel, der zentral für Schwarz-Rot ist“.

Dialog oder Gipfel? Das mag als eine Kleinigkeit erscheinen. Ist es aber nicht. Dass sich die Parteichefs von CDU und CSU noch nicht mal für fünfzig Minuten auf ein gemeinsames Wording einigen können, ist bezeichnend. Zumal die Inszenierung ja vor allem zeigen sollte, wie einig man sich ist.

Ist also alles verloren? Dass Union und SPD sich vor den Kommunalwahlen in NRW Mitte September einigen, war sowieso nicht unbedingt zu erwarten. Und es gibt noch Kompromisslinien und politische Spielräume. Die SPD hat Verschärfungen beim Bürgergeld längst eingepreist. Das Wahlvolk versteht durchaus, dass die Krise ernst ist. Auch Sozialreformen und Einsparungen werden akzeptiert, wenn es nicht nur auf Kosten Schwächerer geht. Laut einer Umfrage sind Zweidrittel der WählerInnen der Union für höhere Steuern für Reiche.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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