: Koalition an Grenze des Zumutbaren
■ Kohl warnt FDP vor Zusammengehen mit der Opposition beim Staatsangehörigkeitsrecht. Hirsch nennt Kanzlerworte "töricht". SPD bittet FDP-Abgeordnete, ihrem Gewissen zu folgen
Bonn (AP/dpa/taz) – Die Bonner Koalitionäre zittern und zetern sich der nächsten Regierungskrise entgegen. Ende März wird der Bundestag über ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz beschließen, das überfraktionell abgesprochen ist. Führende Unionspolitiker haben dies zum Anlaß genommen, vor einem abermaligen Zusammengehen mit der Opposition zu warnen. Ein solcher „Vorgang kann sich nicht wiederholen“, sagte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Für Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) ist die „Grenze des Zumutbaren“ erreicht. Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch bezeichnte die Kanzlerworte als „töricht“.
Kohl, dem vergangene Woche erstmals seit 16 Jahren die Kanzlermehrheit abhanden gekommen war, nannte die Abstimmungsniederlage beim Großen Lauschangriff höchst ärgerlich. Deutschland sei nun nicht hinreichend gegen den Generalangriff mafioser Banden gerüstet. Die 329 Stimmen von SPD, Bündnisgrünen, PDS und FDP gegen Kohl hatten nur deshalb keine direkten Konsequenzen, weil Union und FDP den Lauschangriff nicht in einer Koalitionsvereinbarung fixiert hatten. Bei der anstehenden Frage der doppelten Staatsbürgerschaft gebe es eine klare Koalitionsvereinbarung, sagte Kohl nun. Eine Reihe von FDP- und CDU-Abgeordneten will entgegen der Mehrheitsmeinung im Regierungslager die Einbürgerung von ImmigrantInnen erleichtern.
Während Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble die Liberalen zu Koalitionsdisziplin aufrief, verwies der FDP-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch kühl auf die Beschlußlage seiner Fraktion. Die FDP wolle jugendlichen Ausländern der dritten Generation ein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft nach dem 18. Lebensjahr einräumen. Die Fraktion – so Hirsch – müßte „ernsthaft beraten, wie wir uns verhalten sollen“, wenn die SPD eine entsprechende Gesetzesvorlage einbrächte. SPD- Fraktionschef Rudolf Scharping kündigte dies prompt an.
Scharping sagte Bild am Sonntag, seine Fraktion wolle einen Bundesratsbeschluß zur doppelten Staatsbürgerschaft am 26. März zur Abstimmung stellen. Er setze darauf, daß diejenigen Abgeordneten aus FDP und CDU, die mit der Opposition einig seien, dann auch zu ihrer Überzeugung stünden. Die FDP und eine Minderheit in der CDU hatten die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft gefordert, sich damit aber in der Koalition nicht durchsetzen und keine Freigabe der Abstimmung erreichen können.
Hirsch forderte eine Freigabe der Abstimmung. Es sei sachgerecht, wenn „jeder Abgeordnete so stimmen kann, wie es in der Verfassung steht – nämlich nach seiner eigenen Überzeugung“. CSU-Generalsekretär Bernd Protzner sagte daraufhin, wer von der FDP in dieser Frage die SPD unterstütze, „stimmt zugleich gegen die Koalition und entzieht ihr die Geschäftsgrundlage“.
Neben Hirsch wandten sich auch andere FDPler gegen die Einschüchterungsversuche der Union. Die Koalition sei nicht durch die FDP gefährdet, sagte Jürgen Koppelin, sondern durch die „ständige kompromißlose Haltung und Sturheit einiger CDU-Politiker.“ Koppelin nannte namentlich Innenminister Manfred Kanther (CDU).
Trotz der Querelen und negativer Umfrage-Ergebnisse bekräftigte Helmut Kohl seinen Entschluß, wieder anzutreten. „Es ist klug,“ führte er aus, „gerade in dieser schwierigen Übergangszeit, wenn ich zu dieser Wahlentscheidung nochmals antrete.“
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