Kneipenmusik beim Musikfest Bremen: „Kirchenmusiker in Pubs“
Kneipenmusik des englischen Barock: der norwegische Violinist Bjarte Eike über einen besonderen Moment der Musikgeschichte.
taz: Herr Eike, warum spielen Sie ausgerechnet Kneipenmusik des englischen Barock?
Bjarte Eike: Weil das 17. Jahrhundert ein spannender Moment der britischen Musikgeschichte ist. Aufgefallen ist mir das, als ich vor Jahren ein englisches Programm für ein Musikfestival erstellte. Da dachte ich irgendwann, es gab damals ja nicht nur Dowland und Händel, sondern auch die Musik der Pubs. Und die war – besonders in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – überraschend hochkarätig.
Warum?
Weil professionelle Orchester- und Kirchenmusiker in den Pubs zu spielen begannen. Denn damals herrschte Bürgerkrieg in England, und der Republikaner Oliver Cromwell – der unter anderem die Hinrichtung von König Karl I. betrieben hatte – schloss alle Theater und Konzertsäle und entließ die Hof- und Kirchenmusiker. Sie mussten sich also anders durchschlagen, hangelten sich von Job zu Job und spielten eben auch da, wo die „normalen“ Leute verkehrten: in den vielen Pubs und Drinking Houses.
Ein Clash of Cultures.
Nein, eher ein Anstieg des musikalischen Niveaus. Denn in den Pubs war zwar schon immer viel gesungen und musiziert worden – aber auf eher niedrigem Level. Als jetzt die „klassischen“ Musiker dazukamen, entwickelte sich ein sehr lebendiger Austausch zwischen „E- und U-Musik“, eine Art Hybrid zwischen elaborierter komponierter und Folk-Musik, ein Mix zwischen „Hoch“- und „Volkskultur“. Später, als man offiziell wieder musizieren durfte, wandelte man einige Pubs in Konzerthäuser um, richtete im Hinterzimmer kleine Theater ein, begann – erschwinglichen – Eintritt zu nehmen, es gab sogar Konzert-Abos. Das war um 1670/71 – 50, 60 Jahre, bevor in Europa die Aufklärung ausbrach.
Sie und Ihre „Barokksolistene“ präsentieren diese Musik in Alehouse-Sessions. Wie laufen die ab?
In den alten Songbüchern – und davon gibt es viele – sind die Melodien ohne Begleitakkorde notiert. Ich habe also angefangen, sie zu arrangieren und gemeinsam mit anderen Musikern zu experimentieren. Ich habe stetig neue Wege und Referenzen gesucht, neue Arten, mit dieser alten Musik zu arbeiten, inklusive einer Art Pub-Situation, die wir auf der Bühne schaffen. Inzwischen sind unsere Alehouse-Sessions ein Mix aus improvisierter Musik, Folk, Jazz, Tanz- und Theaterelementen. Alle singen, und natürlich ist eine Menge „Klassisches“ à la Purcell drin. Die Grenzen zwischen Komposition und Improvisation werden bewusst verwischt.
47, Norweger, ist Barockviolinist mit Lehraufträgen in Oslo und Kopenhagen und leitet unter anderem die „Barokksolistene“.
Waren diese Pub-Konzerte damals ein politisches Statement?
Natürlich waren Pubs immer auch Orte politischer Diskussion – aber explizit subversive Texte habe ich nicht gefunden. In unseren Sessions geht es eher um das gemeinsame Musizieren, um die Fähigkeit, auch bei Barockmusik zu improvisieren und eigene Gefühle auszudrücken. Und natürlich ist das Publikum eingeladen mitzumachen und mitzusingen.
Wollen Sie so auch die gängige Idee vom „elitären“ Barock gerade rücken?
Nein, ich habe keine Mission. Für mich ist der Barock schlicht eine Ära, in der viele Dinge passierten, die nichts mit Händel und Bach zu tun hatten. Abgesehen davon mache ich einfach, was mir gefällt. Wenn es anderen ebenfalls gefällt, ist das fantastisch. Aber natürlich wissen wir um historisch informierte Aufführungspraxis und bleiben unseren Quellen treu. Ich bin mir sehr bewusst, dass wir nichts Billiges oder Pop-Artiges machen.
Waren Sie der Erste, der die alte Pub-Musik wieder entdeckte?
Bjarte Eike spielt beim Eröffnungskonzert: Sa, 24. 8., 19.30, Bremen, Glocke
Nein, auch andere haben diese Lieder schon gespielt. Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand auf dieselbe experimentelle Art mit dieser Musik gearbeitet hat wie wir.
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