„Klimawoche“ der Vereinten Nationen: Eiszeit in der Heißzeit
Am Montag beginnt die „Klimawoche“ bei der UN-Generalversammlung. Das Klima hat bei den meisten Regierungen nur gerade kaum Priorität.
In Grönland bricht ein Eisberg von der Größe von Paris vom Gletschereis, das nun unaufhaltsam schmilzt; der „Golfstrom“ im Atlantik schwächt sich weiter ab; Überflutungen belasten Bangladesch, Indien und Westafrika, sogar im Mittelmeer bildet sich über dem außergewöhnlich warmen Wasser ein seltener Wirbelsturm – ein Medicane.
Bei diesen Meldungen müsste eine „Klimawoche“ der Vereinten Nationen bei ihrer jährlichen Generalversammlung für Schlagzeilen sorgen. Denn die Katastrophen fügen sich gut in die Vorhersagen der Klimamodelle einer Atmosphäre, die sich weltweit rapide aufheizt.
Aber die Meldungen von dramatischen Reaktionen in New York werden ausbleiben. Wenn am Montag die UN-„Klimawoche“ als Onlineveranstaltung beginnt, sind viele Staats- und Regierungschefs wohl nicht nur physisch abwesend.
Der UN-Chef ist am Verzweifeln
Trotz aller Beteuerungen ist das Klimathema von der Coronapandemie verdrängt und behindert worden. Ein immer machtloserer UN-Generalsekretär Antonio Guterres wird zwar in New York immer wieder zum Thema sprechen, er muss aber vor allem zusehen, wie sich die großen Verschmutzerstaaten der Welt aus den Verträgen verabschieden, ihr Wort brechen und das brennende Thema nachrangig behandeln.
„Die eingespielten Regeln für globale Aufmerksamkeit, die politischen Druck erzeugt, funktionieren in der Coronakrise nicht mehr“, sagt Susanne Dröge, Expertin für internationale Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Guterres hat kaum Hebel, um etwas zu bewegen.“
Noch vor einem Jahr war das ganz anders. Guterres hatte die Länderchefs zum Klimarapport nach New York bestellt, sie sollten Pläne vorlegen, wie ihre Länder bis 2050 die CO2-Emissionen auf null bringen. Viele Staaten bemühten sich, Deutschland brachte das „Klimapaket“ mit.
Und die Klima-Ikone Greta Thunberg segelte über den Atlantik, um in New York eine große Klimademo anzuführen, den US-Präsidenten Donald Trump böse anzustarren und den Mächtigen ihr berühmt gewordenes „Wie könnt ihr es wagen!“ entgegenzuschleudern.
Viele Länder halten nicht mal die Formalien ein
2020 sollte – trotz Trump – für den Klimaschutz ein wichtiger Schritt nach vorn werden. Bis Ende des Jahres müssen alle knapp 200 Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens neue und verbesserte Klimapläne an die UN melden, eigentlich ist die Frist dafür schon im Frühjahr abgelaufen.
Dann kam Corona, und die Regierungen hatten andere Sorgen – oder nutzten die Pandemie „als Teil der Verzögerungstaktik“, wie es aus der UN heißt. Derzeit haben nach einer Analyse des Thinktanks Climate Action Tracker neun Länder neue Pläne vorgelegt. Die wichtigsten unter ihnen: Norwegen, Chile und Vietnam.
Das UN-Klimasekretariat UNFCCC rechnet damit, dass in New York viele Entwicklungsländer neue Pläne vorlegen. Bis Jahresende könnte diese Zahl wohl auf etwa 80 steigen. UNFCCC-Chefin Patricia Espinosa mahnte im Sommer alle Regierungen dringend, sich an den Zeitplan zu halten. Einen sichtbaren Effekt hatte das nicht.
Von den Schwergewichten wie China, USA, Japan, Australien oder Russland wird nichts kommen. Wenn die EU ihr neues Klimaziel für 2030 – minus 55 Prozent Emissionsminderung gegenüber 1990 lautet der Vorschlag der EU-Kommission – bis zum Jahresende unter Dach und Fach hat, wäre das ein großes Plus.
Es fehlt dieses Jahr auch der Pranger: Die Weltklimakonferenz in Glasgow, auf der die Bremser sich vor der Weltöffentlichkeit hätten rechtfertigen müssen, ist vom November um ein Jahr verschoben worden. Und auch der nächste Alarmbericht des Klimarats IPCC wird sich wegen Corona so verzögern, dass weniger Druck auf die Politik entsteht.
Dabei nimmt die Klimakrise keine Auszeit. Rund um die UN-Generalversammlung weisen viele neue Studien auf altbekannte, aber verschärfte Probleme hin: Ein UN-Bericht, „United in Science“, warnte, die 1,5-Grad-Schwelle globaler Erhitzung werde schon in den nächsten Jahren immer wieder kurzfristig überschritten.
Auch die Verantwortung für die Klimakrise ist deutlich: Ein neuer Bericht der Hilfsorganisation Oxfam macht klar, dass die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung für 52 Prozent aller CO2-Emissionen von 1990 bis 2015 verantwortlich waren, die ärmsten 50 Prozent dagegen nur für 7 Prozent.
Der Klimawandel wird von anderen Themen überschattet
Die internationale Klimapolitik ist aus vielen Gründen festgefahren. Der Ausstieg der USA aus dem Paris-Abkommen unter Trump bremst den Prozess, auch sein Handelskrieg mit China drängt das Klimathema zurück. Schwellenländer wie Indien und Brasilien leiden unter Corona, zwischen Russland und dem Westen herrscht diplomatische Eiszeit.
Die Clubs der Mächtigen waren 2020 auch keine Hilfe, weil sie von den Klimagegnern USA (G7) und Saudi-Arabien (G20) angeführt werden. Und die ärmsten Länder trifft Corona am härtesten, zusätzliche 2,5 Billionen US-Dollar wären nötig, mahnt die UN-Wirtschaftsorganisation UNCTAD.
Dazu kommt, dass der Grüne Klimafonds der UN für Klimahilfen wegen fehlender Mittel und umstrittener Finanzierungen ins Gerede gekommen ist. Verzweifelt stieg Guterres Ende August ins Flugzeug, um Kohleländer zu ermahnen: In Indien, Japan und China warnte er, die Kohleindustrie werde „in Rauch aufgehen“ und sei kein gutes Investment.
Wie machtlos die UNO ist, zeigt die Debatte über die verspäteten Klimapläne. Das Klimasekretariat will im Frühjahr einen Bericht über alte und neue Pläne und die Lücken zum Klimaziel erstellen. Jeder weiß, was darin stehen wird, dafür gibt es jedes Jahr den „Emissionslücken-Report“ der Umweltbehörde Unep. Juristische Konsequenzen aus dem Vertragsbruch von Paris? „Nicht, dass ich wüsste“, sagt ein UN-Sprecher.
Stattdessen hofft die Staatengemeinschaft auf die Nichtstaatlichen: Die UNO hat das „Race to Zero“ ausgerufen, bei dem sich über 1.100 Unternehmen, 450 Städte, 22 Regionen und 45 Großinvestoren mit insgesamt einem Viertel Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß zu Nullemissionen vor 2050 verpflichten.
Die „Powering past Coal Alliance“ zum schnellen Kohleausstieg, möglichst vor 2030, stellt unter anderem mit Peru, Seoul und Baden-Württemberg neue Mitglieder vor. Immer mehr Weltkonzerne wie Nestlé, Volkswagen oder ThyssenKrupp verpflichten sich dazu, ihre Produktion und ihre Produkte bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Das ist inzwischen so sehr in Mode gekommen, dass der US-Thinktank „World Resources Institute“ Informationen anbietet, wie man solche Rechnungen darauf abklopft, ob sie ernst gemeint sind.
Die größte Hoffnung setzten viele KlimaschützerInnen in die versprochene „Green Recovery“, also die weltweit insgesamt etwa 12 Billionen US-Dollar, die in die Erholung der Wirtschaft nach der Coronapandemie gepumpt werden. Man müsse jetzt die Gelegenheit nutzen, „besser wiederaufzubauen“, sagt UN-Chef Guterres immer wieder.
Allerdings sind erste Berechnungen dazu ernüchternd: In 13 von 17 untersuchten Ländern floss mehr Geld in Naturzerstörung als in grüne Programme. „Das reicht hinten und vorn nicht“, heißt es aus dem Klimasekretariat. Die Sitzung in New York, so hofft die UNO, werde positive Nachrichten bringen und weiter Druck auf die Regierungen aufbauen.
Die Klimaszene blickt auf die USA
Denn es gibt auch ein positives Szenario. Alles hängt davon ab, dass am 3. November Joe Biden zum US-Präsidenten gewählt wird. Der hat erklärt, als Präsident im Frühjahr 2021 eine Klimakonferenz der wichtigsten Staaten nach Washington einzuladen. Er könnte sich mit China einigen, das schon angedeutet hat, mit seinem neuen Fünfjahresplan die Klimaneutralität bis 2060 anzupeilen.
Die EU würde mit einem Klimaziel von minus 55 Prozent und einem Schutzzoll gegen Ökodumping mit den USA und China in einen Wettbewerb um die sauberste Wirtschaft einsteigen.
Die Dynamik könnte weitergehen, wenn Brasilien und Indonesien mit einer Mischung aus Zuckerbrot (Geld) und Peitsche (Handelsverträgen) zum Waldschutz bewegt würden – und die britische Regierung mit der Klimakonferenz in Glasgow einen dringend nötigen diplomatischen Erfolg mit konkreten Klimaergebnissen nach dem Brexit anpeilen würde.
Nur eines will sich in der Klimaszene niemand vorstellen: Was passiert, wenn Donald Trump eine zweite Amtszeit antritt?
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