Klimawandel und Skispringen: Selbst gemalter Winter
Der Klimawandel beschäftigt die Beteiligten der Vierschanzentournee. Die norwegische Mannschaft will das erste klimaneutrale Team sein.
Die Bergiselschanze ist der Stolz der Österreicher. Majestätisch thront der Bakken über Innsbruck. Er ist nicht nur eine schlichte Sportstätte, auf der die Skispringer ihren Besten ermitteln. Dank der ungewöhnlichen Ideen der Londoner Architektin Zaha Hadid ist er auch ein bauliches Meisterwerk. Trotzdem geht der Schanze in diesen Tage etwas ab. Etwas nackt steht sie da. Der Schnee ringsum als schmückendes Kleid fehlt.
Die Skispringen der Vierschanzentournee können trotzdem stattfinden. „Mit 3.000 Kubikmetern Schnee haben wir genügend Material“, ließ Florian Stern vom Organisationskomitee in Oberstdorf vor dem Auftaktspringen mitteilen. Das weiße Gold wurde im Allgäu zusammengekratzt – natürlicher Altschnee von den umliegenden Parkplätzen wurde mit maschinell hergestelltem Schnee aus dem Langlaufstadion Ried gemischt.
„In Innsbruck und Bischofshofen hat man teilweise länger beschneien können als in Oberstdorf und könnte dort zur Not noch auf weitere Reserven zurückgreifen“, so Tourneepräsident Johann Pichler. Entsprechend bot auch die Olympiaschanze in Garmisch-Partenkirchen beim Neujahrsspringen ein trostloses Bild. Die große Schanze war weiß belegt, auf den kleinen Schanzen daneben lagen nur die Netze, die das Abrutschen des Schnees verhindern sollen.
Mit etwas Fantasie betrachtet, könnte man sagen, dass die Natur den Menschen mit dem tristen Grün-Braun und weißen Bändern die Zunge herausstreckt. Der Klimawandel hat längst die Tournee erreicht.
Probleme über den ganzen Winter
Die Auswirkungen der Erderwärmung beschäftigen nicht nur die Organisatoren der einzelnen Veranstaltungen immer häufiger. Den Sportlern und Trainern geht es ebenso. „Natürlich machen auch wir uns Gedanken über den Klimawandel, er ist ja extrem präsent“, sagt Bundestrainer Stefan Horngacher, „aber in unserer Situation können wir nichts ändern.“ Auch Dreifachweltmeister Markus Eisenbichler hat erkannt, „dass das Klima ein bisschen wärmer geworden ist“. Handeln tut not. „Wenn man nicht schnell irgendetwas ändert, ist es fast nicht mehr aufzuhalten“, warnt Constantin Schmid. Mit seinen 20 Jahren ist der Oberaudorfer nicht nur der Jüngste im deutschen Weltcup, sondern auch der Fridays-for-Future-Generation zugehörig.
Unser Autor stand schon als Kind auf Skiern, heute verspürt er wegen des Klimawandels vor allem eines: Skischam. Für die taz am wochenende vom 15. Februar nimmt er Abschied von der Piste und fährt ein letztes Mal. Außerdem: Wer gewinnt die Bürgerschaftswahlen in Hamburg? Auf Wahlkampftour mit den Kandidaten der Grünen und der SPD. Und: Waffel kann auch Döner sein, Obstdöner. Über das heilendste Gericht der Welt. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Das norwegische Skisprungteam gleicht die unvermeidlichen Reisen durch CO2-Zertifikate aus, der Fuhrpark soll auf Hybridmodelle umgerüstet und die Ausrüstung wiederverwendet werden. „Wir sind ehrgeizig“, sagt Skispringer Robert Johansson, „wir wollen die erste klima-neutrale Mannschaft der Welt werden.“ Zumindest den deutschen Kollegen sind die Norweger damit einen Schritt voraus.
Walter Hofer kennt die meteorologischen Nöte der Skisprungtour seit Jahrzehnten. Der Renndirektor des internationalen Skiverbandes FIS hat ebenfalls Veränderungen beobachtet: „Es ist nicht mehr ein Problem, das uns am Anfang des Winters trifft oder am Ende, sondern es kann zu jedem Zeitpunkt problematisch werden.“ Weil ihr Bedarf an Schnee im Gegensatz zu den alpinen Abfahrern überschaubar ist, können sich die Skispringer noch gegen warme Winter wappnen. Zunächst mit Kunstschnee. Trotzdem beeinträchtigt dies das eigentlich besondere Flair. „Natürlich ist es viel schöner mit Schnee, darum macht es einem schon Sorge, dass man irgendwann gar nicht mehr auf Schnee springt“, sagt Schmid.
Um den Sprungbetrieb am Laufen zu halten, wurden mit Matten am Aussprunghügel und durch eine gekühlte Keramik-Eisspur Alternativen geschaffen. „Wir haben nicht diesen Druck der permanent kalten Temperaturen“, erklärt Horst Hüttel, der Teammanager der deutschen Weitenjäger. Zynisch sagt Norwegens Trainer Alexander Stöckl: „Wenn kein Schnee mehr vorhanden ist, dann malen wir halt die Matten weiß an.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!