Klimaschutz und G20: Finanzminister fürchten die Nulldiät
Viele Regierungen wehren sich gegen die sogenannte Dekarbonisierung. Sie sind von Einnahmen aus Kohle, Öl und Gas abhängig.
Drax ist Teil einer Erfolgsgeschichte. Denn Großbritannien, Mutterland von Industrialisierung und Kohleboom, ist unter den G20-Staaten Klassenbester beim Abschied von Kohle, Öl und Gas – bei der sogenannten Dekarbonisierung.
„Der CO2-Fußabdruck eines Briten ist heute um 33 Prozent geringer als 1992“, hat eine Studie des britischen Thinktanks ECIU ergeben, „und er ist gleichzeitig um 130 Prozent reicher.“ Das Königreich hat dreckige Industrien geschlossen und verlagert und will bis 2025 ganz aus der Kohle aussteigen.
Doch der Titel „Champion der Dekarbonisierung“ wird beim G20-Treffen nur heimlich vergeben. Denn wenn sich die 20 wirtschaftsstärksten Länder der Erde treffen, sitzen auch die 20 größten Klimasünder an einem Tisch. Aus ihren Ländern stammen 75 Prozent aller Treibhausgase, die die Erde immer schneller in Richtung Klimakatastrophe treiben. Von ihnen kam aber auch der Anstoß zum Pariser Klima-Abkommen von Dezember 2015. Zusammen mit 175 anderen Staaten haben die G20 erklärt, dafür ihre Treibhausgasemissionen aus Kohle, Öl und Gas ab 2050 praktisch auf null zu senken.
Aber an dieses Versprechen lassen sie sich nicht gern erinnern. Der gefährliche Begriff „Dekarboniserung“ wurde aus den offiziellen G20-Papieren gestrichen. US-Präsident Donald Trump setzt offen nicht auf De-, sondern auf Rekarbonisierung, wenn er die „Kohle zurückbringen“ will. Aber auch für viele andere G20-Lenker ist der Abschied von den fossilen Brennstoffen eine Horrorvision. „Es wäre die größte Dummheit, wenn Indien seine Kohle aufgäbe“, sagt immer wieder der ehemalige indische Umweltminister Jairam Ramesh. Schwellenländer sehen darin ihren Weg aus der Armut, die Türkei, Indonesien oder Südafrika planen viele Kraftwerke. Und die Ölstaaten tragen ihre Abhängigkeit vom Brennstoff schon in ihrem Namen.
Ein Preis für CO2
Gastgeber Deutschland würde diese Front der Fossilen gern aufbrechen. Die Bundesregierung hat sich deshalb Unterstützung geholt. In den Vorbereitungsrunden zum G20-Gipfel durften Wissenschaftler und Umweltgruppen eine weltweite Gebühr für CO2 fordern. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich in Deutschland beim Kohleausstieg bedeckt hält, hat mit Blick auf die G20 erklärt: „Wir können uns nicht herausreden. Klimaschutz geht uns alle an.“
Und sie präsentierte im Mai in Berlin eine umfassende Studie, um den Mythos zu entkräften, dass Klimaschutz die Wirtschaft ruiniert. Der Club der Industrieländer OECD befand in seiner Untersuchung „Investing in Climate, Investing in Growth“, Klimaschutz sei der beste Weg zur Erholung der Weltwirtschaft, zu Wachstum und Armutsbekämpfung. „Erheben Sie eine dicken, fette Gebühr für CO2!“, riet OECD-Generalsekretär José Ángel Gurría den Politikern.
Auf Seite 240 des dicken Wälzers zeigt aber eine unscheinbare Tabelle, warum der Abschied von Kohle, Öl und Gas nicht so einfach ist. Die OECD hat erstmals abgeschätzt, wie wichtig die fossilen Brennstoffe für die Ökonomien der G20-Staaten sind.
Das Ergebnis ist deutlich: Neben Industriestaaten, die für ihre Wirtschaftsleistung und Staatseinnahmen praktisch kaum auf die dreckigen Dollars angewiesen sind (darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan, Korea) gibt es auch Länder, die bei einer Kohlenstoff-Nulldiät sehr viel oder alles zu verlieren haben: Saudi-Arabien, aber auch Russland, Indonesien, Mexiko und China.
Einkommen aus Bodenschätzen
Trägt man Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen, wird das Bild vielfältiger und teilweise deutlicher. Die Weltbank erstellt einen Überblick über „Resourcenrenten“, die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) bringt Licht ins Dunkel der Einkommen aus Bodenschätzen, und das Natural Resource Governance Institute (NRGI), eine gemeinnützige Organisation, gräbt sich durch Haushaltspläne und offizielle Statistiken.
Die Analyse zeigt: Bei vielen wichtigen Staaten sind die Interessen von Öl-, Gas- und Kohleindustrie und Regierung praktisch deckungsgleich, oft sind die Konzerne überwiegend oder vollständig in Staatsbesitz: Saudi-Arabien bezieht nach NRGI-Zahlen 90 Prozent seiner Einkünfte aus dem Öl. In Russland finanzierte 2011 allein der Erdölsektor 28 Prozent des Staatsbudgets.
„Insgesamt macht der Anteil der Erträge aus fossilen Energien an den Einnahmen der Regierung etwa zwei Drittel aus“, widerspricht George Safonov, Energieexperte am Zentrum für Umwelt und Naturressourcen (Ranepa) in Moskau den OECD-Schätzungen. Die chinesischen Staatskonzerne verdienten nach NRGI-Zahlen 2008 mit Gas, Öl und Kohle insgesamt 437 Milliarden Dollar; das sind etwa 20 Prozent des Staatsbudgets, doppelt so viel, wie von der OECD angenommen.
Profite für den Staat
In Brasilien nutzt die Politik das größte nationale Unternehmen, die staatseigene Ölfirma Petrobras, nicht nur als Schmiergeldtopf, sondern auch zur Entwicklung abgelegener Regionen; auch Indonesien bezieht 18 Prozent seines Budgets aus dem Erdöl. Beim größten Ölverbraucher USA beuten dagegen private Firmen die Rohstoffe aus – aber allein 2013 verdiente Washington nach Angaben des US-Energieministeriums 13 Milliarden Dollar durch Abgaben auf Öl, Gas und Kohle, die im Wert von etwa 100 Milliarden Dollar auf öffentlichem Grund und Boden gefördert wurden. Weitere Milliarden fließen an Staaten wie Alaska und Wyoming.
Diese Länder treibt eine Angst um: Echter Klimaschutz würde Kohle, Gas und Öl zu „unburnable carbon“ machen. Soll die Atmosphäre bis 2100 nicht über 2 Grad Celsius aufgeheizt werden, müssen weltweit etwa 80 Prozent der Kohle und jeweils 40 Prozent von Gas und Öl in der Erde bleiben – faktisch eine Enteignung von Staaten, die ihre Wirtschaft auf die fossilen Energien ausgerichtet haben.
Eine Studie des Londoner University College zeigt, wer auf dem Markt noch seine Rohstoffe losschlagen könnte: Russland und die USA könnten nur noch 10 Prozent ihrer Kohle verkaufen, China und Indien nur noch 35 Prozent. Was Öl angeht, wären etwa 40 Prozent der Reserven am Persischen Golf und 75 Prozent der kanadischen Ölsände „unverbrennbar“, beim Gas blieben Lateinamerika und Russland auf 60 Prozent ihrer Vorräte sitzen.
Subventionen für dreckige Energien
Derzeit verdienen die G20-Länder laut Weltbank jedes Jahr etwa 2.300 Milliarden Dollar mit dreckiger Energie – immerhin etwa 4 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Die Länder verteilen dafür insgesamt 5.300 Milliarden Dollar im Jahr an direkten und indirekten Subventionen für fossile Brennstoffe, hat der Weltwährungsfonds IMF errechnet. Etwa 500 Milliarden Dollar direkt, der Rest sind Kosten von Umwelt- und Gesundheitsschäden, die die Allgemeinheit trägt.
Aber schon die rund 500 Milliarden Direktsubventionen richten schweren Schaden an, moniert Ottmar Edenhofer, Klimaökonom am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und am Forschungsinstitut MCC. Sie behindern den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien und führten in Schwellenländern zu einer „Renaissance der Kohle“, die das 2-Grad-Limit bedroht.
Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.
Das Geld könnte besser eingesetzt werden, um etwa „den Zugang zur Wasserversorgung in 70, zu Abwasser in 60 und zur Stromversorgung in 50 Ländern zu sichern“, so Edenhofer. Wichtig seien auch Steuern auf CO2, am besten schnell und in Höhe von mindestens 40 Dollar pro Tonne. Aber auch diese Forderung schaffte es nicht in die G20-Dokumente.
Die Abhängigkeit von den Fossilen ist allerdings kein Naturgesetz, rechnet eine Expertengruppe vor. Im Deep Decarbonisation Pathway Project (DDPP) des Pariser Thinktanks IDDRI zeigten 2015 Regierungsberater aus den 16 größten Verschmutzerländern: Es gibt einen bezahlbaren Ausweg aus der dreckigen Wirtschaft. Die Politik muss ihn nur wollen und organisieren. Wichtig sind demnach: bessere Energieeffizienz, massiver Ausbau von Ökoenergien oder Atomkraft und die Abscheidung und Lagerung von CO2 (CCS); und der Umstieg auf grünen Strom im Verkehr, in der Industrie und beim Heizen.
Die Experten zeigen viele Wege: Russland könne „80 Prozent seines Energiebedarfs aus Erneuerbaren herstellen“, sagt George Safonov, ähnlich wie Kanada. China wiederum könne durch Umstrukturierung seiner Industrie den CO2-Ausstoß dort um 60 Prozent senken, die USA „können minus 80 Prozent erreichen mit bereits existierenden Technologien wie LED-Leuchten“, sagt Jim Williams vom Thinktank E3.
Manche Länder wie Südkorea oder Italien stehen vor kaum lösbaren Aufgaben, andere wie Deutschland oder Großbritannien haben die ersten Schritte bereits gemacht und müssen „nur“ schneller werden.
Die Internationale Energieagentur (IEA), die nicht für übergroßen Ökooptimismus bekannt ist, findet die DDPP-Vorlagen durchaus realistisch. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weist in einer Studie darauf hin, dass die Wirtschaft in den OECD-Ländern in den letzten zehn Jahren um 16 Prozent gewachsen ist, während die Emissionen um 6 Prozent gesunken sind – die „Entkopplung“ von Energieverbrauch und Wohlstand sei auch für Volkswirtschaften wie China machbar, heißt es.
Dafür müssten die G20-Staaten allerdings erst einmal ihre eigenen Beschlüsse ernst nehmen. So hatten die Länder bereits 2009 entschieden, „Subventionen für fossile Brennstoffe zu streichen, die zu Verschwendung führen“. Passiert ist jedoch bislang nicht viel. Und der Passus wird im Dokument für Hamburg einfach nur wiederholt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend