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Aufbruch ins Bessere

Mit dem Jahreswechsel ist in Niedersachsen die kurz vor Weihnachten beschlossene Novelle des Klimagesetzes in Kraft getreten. Sie enthält deutliche Verschärfungen, dem Nabu reicht das nicht

Niedersachsen setzt auf mehr Klimaschutz: Die Windenergiefläche soll sich bis 2026 auf 2,2 Prozent verdoppeln Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

In Göttingen steht eine Litfaßsäule. Auf ihr ist, riesig groß, Marie Kollenrott zu sehen, lachend. Drüber steht: „Frohe Feiertage!“ Drunter steht: „Niedersachsen hat endlich ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz.“ Das ist mit dem Jahreswechsel in Kraft getreten.

Kollenrott ist für Göttingen Abgeordnete im niedersächsischen Landtag in Hannover. Als Mitglied im Fraktionsvorstand, Sprecherin für Energie und Klimaschutz, Koordinatorin des Arbeitskreises Umwelt, Wirtschaft, Landwirtschaft, Europa, hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass Mitte Dezember 2023 die Novelle des Niedersächsischen Klimagesetzes (NKlimaG) verabschiedet werden konnte, eingebracht von den Fraktionen der SPD und der Grünen.

„Das sind ambitionierte Ziele“, sagt Kollenrott der taz über die Novelle. „Das fühlt sich nach Aufbruch an.“ Ein Jahr lang hat sie sich in die Tiefen der Details reingegraben. Was jetzt vorliegt, bezeichnet sie als „Meilenstein“. Aber sie mahnt zugleich: „Darauf ausruhen dürfen wir uns jetzt nicht. Man muss immer wieder nachsteuern.“ Das Großplakat soll ihrer Basis zeigen, dass sie eine von denen ist, die nicht nur reden, sondern liefern.

Besonders ambitioniert ist der „Reduktionspfad“: Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen des Landes im Vergleich zu 1990 um 75 Prozent sinken (statt wie bisher geplant um 65 Prozent), bis 2035 um 90 (statt um 76). Für 2040 ist Klimaneutralität geplant (bisher lautete das Ziel: 2045); die Landesverwaltung selbst setzt sich dieses Ziel schon bis 2035 (bisher war 2040 anvisiert).

Auch Christian Meyer (Grüne), Niedersachsens Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz, ist stolz auf das Ergebnis. Mit der Novelle „reduzieren wir das verfügbare CO2-Budget noch einmal deutlich, ermöglichen mehr Wind- und Solarenergie und erfüllen die internationalen Klimaziele“, sagt er. „Niedersachsen wird damit zum Energiewende- und Klimaschutzvorreiter in Deutschland.“ Das Gesetz sei ein Gesetz „des Ermöglichens und Machens“.

Es ist die zweite Novelle des niedersächsischen Klimagesetzes in kurzer Zeit. Schon Mitte 2022 gab es eine Verschärfung. Das Beschlusspaket ist umfangreich. Vor neuen Gesetzen und Verordnungen ist nun beispielsweise zu prüfen, welche Auswirkungen sie auf die Klimaziele haben. Klimarelevante (Genehmigungs-)Verfahren des Landes werden behördlich vorrangig bearbeitet. Alle Landkreise und kreisfreien Städte führen ein Klimaschutzmanagement ein, alle Ministerien und die Staatskanzlei bekommen Klimaschutzbeauftragte. Zudem soll ein unabhängiger Klimarat die Landesregierung in der Klimaschutzpolitik beraten, eigene Ideen einbringen.

Die Novelle enthält viele Konkreta. Die Windenergiefläche soll sich bis 2026 von 1,1 auf 2,2 Prozent verdoppeln, 0,5 Prozent soll für Photovoltaik zur Verfügung stehen. Die Solar-Pflicht wird ab 2025 von Neubauten auf die grundlegende Dachsanierung ausgeweitet, außerdem gilt sie ab 2025 beim Neubau und bei der Sanierung von Parkplätzen schon ab 25 Stellplätzen (statt, wie bisher, ab 50 Stellplätzen). Und ab sofort finanziert das Land Niedersachsen die Entwicklung kommunaler Klimaschutzkonzepte mit knapp zwölf Millionen Euro pro Jahr.

Die Opposition, CDU und AfD, hat im Landtag gegen die Novelle gestimmt. Verena Kämmerling, die umweltpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, sprach im Hannoveraner Plenarsaal vor der Abstimmung von „Beratungschaos“ und einem politischen Weihnachtsgeschenk für die Klientel der Regierungskoalitionäre, das sich als „Schrottwichteln“ herausstellen werde. „Oppositionsgetöse“, sagt Kollenrott dazu. Man habe die Novelle sehr kollegial, sehr sachbezogen zusammen beraten.

„Leider bringt es dem Klima- und Moorschutz nichts, wenn der Torf durch ein Abbauverbot künftig noch stärker im Baltikum abgebaut wird als bisher“

Holger Buschmann, Landesvorsitzender des Nabu in Niedersachsen

Der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen sieht in der Novelle begrüßenswerte „ehrgeizige Ziele“. Aber Nabu-Landesvorsitzender Holger Buschmann äußert auch gleichermaßen Kritik und mahnt unter anderem den „Einklang mit der Natur“ an. „Die Ausweitung der Solarpflicht auf Dächern und über Parkplätzen ist positiv zu bewerten, jedoch sind im Gesetz keine naturverträglichen Lösungen zum Ausbau der Erneuerbaren zu finden“, sagt Buschmann. „Konflikte mit dem Natur- und Artenschutz müssen dringend vermieden werden, weswegen sich beim Ausbau der Erneuerbaren auf bereits versiegelte und vorbelastete Flächen konzentriert werden sollte.“

Auch zum Moorschutz meldet der Nabu Kritik an. Die Novelle sieht zwar ein Verbot des Torfabbaus vor, aber Alt-Genehmigungen bleiben unangetastet. „Bestehende Moore müssen erhalten und ehemalige Moorflächen renaturiert werden, damit ihre Funktion als Lebensraum für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten wiederhergestellt wird“, sagt Buschmann. „Leider bringt es dem Klima- und Moorschutz nichts, wenn der Torf durch ein Abbauverbot künftig noch stärker im Baltikum abgebaut wird als bisher.“ Der Torfverbrauch im Hobbygartenbereich müsse verboten werden.

Viel nachzusteuern für Marie Kollenrott. Ob das Klima so wirklich Vorrang bekommt, wird sich zeigen, Vorrang hat es auf jeden Fall demnächst auf Kirchendächern, wenn die Gemeinde Solartechnik auf denkmalgeschützte Gebäude setzen will. Wer an Gottes Schöpfung glaubt, kann ja schon mal einen Antrag schreiben, um sie zu bewahren.

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