Klimaschutz-Enquete in Bremen: Mit Trippel-Schritten nach Paris
Eine Enquetekommission soll für Bremen die Klimaschutzstrategie entwickeln. Nun hat sie ihren Zwischenbericht vorgestellt.
Seit zehn Monaten tagt die Klimakommission: Am Freitag hat das Gremium einen Zwischenbericht vorgelegt, in dem sie Vorschläge macht, wie sich Bremen dem Ziel der Klimaneutralität nähern kann – primär durch Maßnahmen, die das Land selbst in der Hand hat.
Dass die Enquete das Klimaschutz-Rad neu erfinden wird, hatten bereits vor einem Jahr Kritiker*innen bezweifelt – und die nun vorgestellten Maßnahmen klingen größtenteils bekannt. „Aber in der Tiefe hat sich einiges geändert“, betont der Kommissionsvorsitzende Martin Michalik (CDU).
Bis 2023 soll der Kohleausstieg endgültig geschafft sein. Das übergangsweise vorgesehene erdgasbetriebene Blockheizkraftwerk in Hastedt muss „Wasserstoff-ready“ geplant und gebaut werden, damit es in der Zukunft klimaneutral laufen kann.
Die Potenziale von Solarenergie und Windkraft sollen voll ausgeschöpft werden: Laut Michalik ist eine Verzehnfachung bis 2030 bei Solar möglich; auch über eine Pflicht zu Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden. Die Windkraft könne bis 2030 um 50 Prozent gesteigert werden. Aufgrund des sich verdoppelnden Strombedarfs muss das Stromnetz ausgebaut werden. So auch die Wärmeversorgung. Dafür braucht es eine umfassende Netzplanung. Der Erdgasverbrauch wird auf null reduziert, das Netz wird ein Wasserstoffnetz.
Dreckschleuder Stahlwerk
Das Stahlwerk emittiert mehr CO2 als Bremens übrige Industrie zusammen. Hier ist daher das Einsparpotenzial am größten. „Die Umstellung beider Hochöfen ist dringlich“, so Kommissionsmitglied Carsten Sieling (SPD). Ein Hochofen soll zwischen 2026 und 2028 außer Betrieb genommen und durch eine elektrischen Schrottschmelze ersetzt werden. Außerdem wird geprüft, wie die heute verwendete Kohle durch Erdgas und Wasserstoff ersetzt werden kann. Das treibt aber den Strom- und Wasserstoffbedarf extrem hoch. Damit steigen die infrastrukturellen Anforderungen.
Das, was in Bremen bislang geplant ist, reicht fürs Stahlwerk aber wohl nicht aus. Der Senat müsse also durch zügige Genehmigungsverfahren beim Ausbau des Stromnetzes unterstützen, heißt es im Bericht. Das Gleiche gelte fürs Netz zur Versorgung der Stahlindustrie mit lokal produziertem Wasserstoff. Auch dann müsse immer noch viel importiert werden.
Ein Landeswärmegesetz soll kommen, auch um den Austausch von Nichterneuerbaren-Heizungsanlagen zu gewährleisten. Wie genau das aussehen kann bleibt unklar. Für die genaue Wärmeplanung warte man noch auf ein Gutachten des Hamburg-Instituts, das im Sommer komme, so Sieling. Für Neubauten soll ein „Plusenergie-Neubaustandard“ gelten. Sanierungen sollen insgesamt beschleunigt werden.
Vorbildfunktion sollen die öffentlichen Gebäude übernehmen: Bis spätestens 2035 sollen die 1.600 Gebäude in Bremer Hand saniert sein. Daneben setzt man auf Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften, die über die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu verfügten, die Wärmeversorgung umzustellen und Solardächer und -wände zu bauen. Für private Eigentümer*innen soll es Förderprogramme geben.
Der Umweltverbund aus Rad-, Fuß-, öffentlichem Personennahverkehr sowie Sharing-Angeboten muss ausgebaut und qualitativ besser werden. Der Straßenraum ist zu seinen Gunsten umzuverteilen. Ebenso muss der Umstieg auf klimaneutrale Antriebstechnologien gelingen, im privaten und öffentlichen Bereich. Auch Maßnahmen, die das Auto unattraktiver machen, sollen die Vorhaben ergänzen. Der ÖPNV-Ausbau kann kurzfristig mit Schnellbuslinien ergänzt werden. Die Busse der BSAG sollen auf Elektroantrieb wechseln.
Bremen muss mit dem Umland gemeinsame ÖPNV-Pläne aufstellen, um für Pendler*innen mitzudenken. Zudem sei es wichtig, so Vekehrsexpertin Philine Gaffron, die Maßnahmen gut zu kommunizieren. Sie beträfen schließlich persönliche Handlungsweisen. Dafür brauche es mehr Personal in der Verwaltung und den Betrieben der Mobilitätsangebote. Über die Forderung nach einem „ganzjährig kostenlosen ÖPNV für Schüler*innen, Student*innen, Auszubildende und Stadt-Ticket-Berechtigte“ und „angemessene Ermäßigungen für Senior*innen“ konnte in der Kommission keine Einigkeit hergestellt werden.
„Wir müssen an die Bildungspläne ran“, so Expertin Jutta Günther von der Uni Bremen am Freitag. Mehr Bildung für nachhaltige Entwicklung und Klimabildung müsse in die Schulen kommen. Entsprechend müsste dann die Ausbildung der Lehrer*innen verändert, die bereits Berufstätigen fortgebildet werden. Auf Klimaschutz als wirklich verpflichtenden und prüfungsrelevanten Unterrichtsinhalt konnten sich die Kommissionsmitglieder indes nicht einigen. Die Ausbildungslehrpläne in Handwerk und Industrie müssen überarbeitet werden, weil sich durch die technischen Veränderungen die Berufe verändern. Auch dort müssen die Berufstätigen fortgebildet werden.
Bitte nicht bei Klimaforschung kürzen!
Die Klimaforschung an Hochschulen solle so aufgestellt bleiben wie bislang, so Günther. „Wenn wir nicht neues Wissen für die Gestaltung der Zukunft generieren, haben wir nichts, was wir in die Wirtschaft und in die Bildung weitergeben können.“
Mehr Mehrweggeschirr und Anreize für den Konsum von energieeffizienteren Produkten sollen kommen. Das reiche aber nicht: Auch weniger zu konsumieren sei notwendig ebenso wie die Etablierung einer Kultur des Teilens, Reparierens und Weiternutzens. Dezentrale Reparaturcafés, offene Werkstätten sowie Bürger*innendialoge zur Entwicklung von Ideen für Klimaschutz im Alltag. Die Idee, öffentliche und Briefkasten-Werbung einzuschränken, war nicht konsensfähig.
In der Stadt sollen durch Urban Gardening mehr Lebensmittel produziert werden. Bis 2030 soll der Lebensmittelabfall in öffentlichen Kantinen halbiert werden. Die Verpflegung dort soll klimafreundlicher werden. Die Bevölkerung soll sensibilisiert werden, um auch im privaten Bereich weniger Fleisch zu essen und weniger wegzuwerfen.
Der Bericht zeige „erste Erfolge“, sagt Philipp Bruck, Abgeordneter und Sprecher der Grünen-Fraktion in der Enquetekommission. Doch ein Klimaziel, das den Rahmen für Maßnahmen vorgebe, fehle noch. „Das muss in den kommenden Monaten nachgeholt werden.“ Auch die Finanzierung der Maßnahmen müsse in den nächsten Monaten noch besprochen werden, „damit Klimaschutz nicht an der Haushaltsnotlage scheitert“. Freitag hat die Kommission ihr Programm für die nächsten Monate festgelegt. Die Maßnahmen sollen in der weiteren Arbeit auf ihre CO2-Reduktionspotenziale bewertet werden.
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