Klimaproteste: Dynamik statt Rituale
Fridays for Future will neue Protestformen probieren. Das ist eine ausgezeichnete Idee.
J etzt ist es also definitiv vorbei mit dem freitäglichen Ritual, den Demonstrationen von Fridays for Future vor dem Wirtschafts- und Verkehrsministerium am Invalidenpark in Mitte. Der Inner Circle der Berliner Gruppe hatte sich am vergangenen Wochenende in Klausur begeben und beschlossen, dass es besser sei, andere Formen des Protests gegen die Klimakrise und ihre VerursacherInnen zu erproben. In den Bezirken wollten sie künftig streikdemonstrieren, so Organisatorin Franziska Wessel, vielleicht auch vor Unternehmen wie Siemens. „Unser Adressat ist jetzt mehr die Öffentlichkeit“, sagte sie der taz, „die wollen wir besser informieren, wie schlimm die Klimakrise ist – und wir wollen sie mehr mobilisieren.“
Dass es nicht allzu lange weitergehen konnte mit dem Freitagsstreik, war jedem klar, der in seinem Leben schon ein paarmal die Gelegenheit hatte, das Entstehen und Vergehen sozialer Bewegungen zu beobachten. Sorry für die altersbedingte Abgeklärtheit! Aber die Dynamik eines schnellen und massiven Wachstums – im vergangenen September demonstrierten in Berlin Hunderttausende – lässt sich eben nicht in einen Status quo überführen. Und für die ganz große Revolution ist die Welt wohl doch noch nicht reif.
Wenn aber die Mobilisierungskraft einer Bewegung von Woche zu Woche kleiner wird, ist das ein ebenso starkes Bild wie in der Boomphase, nur ins Negative verkehrt. Wer wächst, gewinnt, wer schrumpft, fährt auf dem Loserticket. In einer Gesellschaft, die sich sekündlich medial bespiegelt und bewertet, kann das letztlich ein Todesurteil sein. Insofern ist die Entscheidung, sich neu zu sortieren, goldrichtig.
Überhaupt: Invalidenpark! Im Normalfall eine zugige Einöde und nur zur Hochzeit von „Fridays“ ein lebendiger Ort. Mehrere tausend SchülerInnen vor einen Bezirksrathaus, das fühlt sich dann schon wieder nach Masse an, mobilisiert Menschen und beruhigt für ein paar Stunden den klimaschädlichen Verkehr. Auch Sit-ins oder Demos vor Konzernzentralen dürften ausreichend mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Und wie wäre es beispielsweise, würden Horden gut informierter Menschen im schulpflichtigen Alter die bräsigen HauptstädterInnen einer Massenbekehrung zu Ökostrom unterziehen? Vieles ist denkbar, und bisweilen soll es ja auch mal wieder ganz groß werden können.
Eines sollten sich die KlimaaktivistInnen aber gehörig abschminken: dass sie nichts erreicht hätten. So mickrig und halbherzig die ganzen Klimapakete und Kohlekompromisse sein mögen – ohne die Fridays wäre gar nichts passiert. Auch in Berlin ist jede Menge in Bewegung geraten, gerade erst hat der Senat die Klimanotlage erklärt. Auch nur ein dünner Halm, aus dem aber noch etwas wachsen kann – und wird. Jedenfalls, wenn wir alle und vorneweg die Klima-SchülerInnen weitermachen und nicht locker lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind