piwik no script img

Klimapolitik in KanadaErfolgsbilanz mit Abstrichen

Der scheidende Regierungschef Justin Trudeau hat klimapolitisch einiges erreicht. Was davon nach den Neuwahlen übrig bleiben wird, ist unklar.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau im Plausch mit Greta Thunberg 2019 in Montreal Foto: Ryan Remiorz/imago

Washington taz | Der scheidende kanadische Premierminister Justin Trudeau hat in seiner fast zehnjährigen Amtszeit für viele Veränderungen im zweitgrößten Flächenland der Welt gesorgt. Ganz oben auf der Liste seiner Regierung stand von Anfang an der Kampf gegen den Klimawandel. Nachdem seine Regierungszeit nun bald ein Ende findet und Kanada auf Neuwahlen zusteuert, bleibt die Frage, was erreicht wurde und ob Trudeaus Klimapolitik auch für seinen Niedergang als Premierminister mitverantwortlich war.

„Unterm Strich kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Kanada während Trudeaus Regierungszeit in der Klimapolitik viel aggressiver vorgegangen ist, als unter allen vorherigen Premierministern zusammen“, erklärte der Politologe und Klimapolitik-Experte Barry Rabe gegenüber der taz.

Die kanadische Klimaschutzorganisation Climate Action Network Canada ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte, dass Trudeau „mehr für den kanadischen Klimaschutz getan habe als irgendein anderer Premierminister“ zuvor.

„In den vergangenen zehn Jahren hat es in Kanada eine Revolution im Umgang mit dem Klimawandel gegeben“, sagte die Geschäftsführerin der Organisation, Caroline Brouillette, in einer Pressemitteilung nach Trudeaus Rücktrittserklärung zu Beginn des Monats.

taz Themenwoche Klima

Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Etwas komplizierter

Doch wie so oft in der Politik ist es etwas komplizierter als diese Zitate vermuten lassen. Als der heute 53-Jährige im Jahr 2015 an die Macht kam, versprach er, den Klimawandel zu bekämpfen. Dieses Versprechen traf jedoch recht schnell auf wirtschaftliche und politische Realitäten. Denn Kanada ist ein Land, dessen Wirtschaft vom Rohstoffreichtum lebt und dazu zählen eben auch fossile Rohstoffe wie Öl und Gas.

Laut der kanadischen Regierung ist das Land der viertgrößte Ölproduzent und der fünftgrößte Erdgasproduzent in der Welt. Insgesamt beschäftigt die Öl- und Gasbranche mehr als 445.000 Menschen im Land und steuerte 2023 mehr als 208 Milliarden kanadische Dollar und damit etwas weniger acht Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Die Einführung einer CO2-Steuer ist eine der wichtigsten Errungenschaften von Trudeaus Klimapolitik. Mit dieser Steuer sollen Unternehmen und auch Privatperson dazu angeregt werden, ihren Verbrauch von fossilen Brennstoffen zu senken. Für eine Provinz wie Alberta, die oft als das kanadische Texas beschrieben wird, ist und bleibt die CO2-Steuer jedoch eine politische Fehlentscheidung.

Der Parteivorsitzende der Konservativen, Pierre Poilievre, der selbst aus Alberta stammt, hat bereits versprochen, bei einem Wahlsieg die CO2-Steuer wieder abzuschaffen zu wollen. Es sind Aussagen wie sie auch im amerikanischen Wahlkampf von Donald Trump zu hören waren. Mehr Öl- und Gasproduktion sowie weniger Klimaschutz heißt die Devise in vielen konservativen Lagern. Doch Umfragen zeigen, dass ein Großteil der kanadischen Bevölkerung mehr Klimapolitik will.

Bis zum Ende auf Kurs

Der Grund, warum trotzdem ausgerechnet Klimaschutzgesetze in politisch schwierigen Situationen oft als erste geopfert werden, ist laut Politologe Rabe schnell erklärt: „Es ist einfach“. Wenn andere Themen wie Einwanderung, Wirtschaft oder Inflation die politischen Debatten bestimmen, dann ist es politisch gesehen immer noch einfach, Klimaziele links liegen zu lassen. Eine Aufweichung der Klimaziele oder auch eine Verzögerung der Energiewende sind leicht umzusetzen und der Unmut der Wähler hält sich meistens in Grenzen“, so Rabe, der am Wilson Center in Washington zum Thema forscht.

Trudeau selbst hält bis zum Ende an seinem politischen Kurs fest. Er hofft, dass der Weg, denn Kanada unter seiner Führung eingeschlagen hat – das große Ziel heißt Emissionsneutralität bis 2050 – auch von einer nächsten Regierung weiter verfolgt werden wird.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Themen wie die Einführung der CO2-Steuer haben die kanadische Gesellschaft gespalten. Und auch Klimaaktivisten waren nicht immer zufrieden mit Trudeaus Regierung. Vor allem der Kauf und Ausbau einer Ölpipeline im West des Landes war ihnen ein Dorn im Auge. Kanada hinkt seinen hochgesteckten Klimazielen aktuell hinterher.

Wie viel von Trudeaus Klimapolitik unter einer neuen Regierung bestehen bleibt, wird sich erst noch zeigen. Neben der CO2-Steuer schaffte seine Regierung auch Anreize für den Kauf von Elektroautos und für Investitionen in den Bereichen Batterietechnologie und erneuerbare Energien.

Wie vielen anderen Regierungen sei es auch Trudeau nicht gelungen, den Menschen im Land klar zu machen, warum die CO2-Steuer und andere klimapolitische Entscheidungen gut für Kanada sein sollen, sagte der kanadische Politologe John Robinson von der University of Toronto der taz. Es brauche mehr als nur den Klimaschutz als Argument, besonders in Zeiten politischer Unruhe.„Die Klimapolitik war eines von vielen Themen, die zu Trudeaus Sturz beigetragen haben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!