Klimagerechtes Enteignen von Wohnungen: Enteignen ist besser für das Klima
Hilft es in der Klimakrise, Wohnungskonzerne zu enteignen? Ja, sagen Befürworter:innen: Nur so ließen sich soziale und ökologische Fragen verbinden.
Doch bei dem Gedankengang handelt es sich um einen Trugschluss, wie aus einer Podiumsdiskussion am Montag im rappelvoll besetzten Café Refugio in Neukölln hervorging. Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen debattierten dort mit dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Werner Graf, sowie dem stadtpolitischen Sprecher der SPD, Mathias Schulz, über klimagerechtes Enteignen.
Die Frage ist von enormer Relevanz. Deutschlandweit gehen rund ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs auf das Konto des Gebäudesektors, erklärte Barbara Metz, Vorsitzende der Deutschen Umwelthilfe – etwa beim Bauen oder Heizen der Wohnungen. „Hier müssen wir dringend Energie sparen“, sagte sie. Wenn aber die Kosten für energetische Sanierungen auf Mieter:innen umgelagert werden, würden soziale und ökologische Ansätze gegeneinander ausgespielt.
Laut Lisa Vollmer von Deutsche Wohnen & Co (DWE) enteignen kann Vergesellschaftung ein Weg aus dieser Miserie sein. „Die Stadt hätte sofort Zugriff auf 250.000 Wohneinheiten.“ Anders als Immobilienkonzerne müsste mit öffentlichen Wohnraum keine Rendite erzielt werden – das Geld stehe also für Modernisierungen zur Verfügung, ohne dass Mieter:innen blechen müssten. Dann würden sich Mieter:innen auch für energetische Sanierungen entscheiden. „Die Vergesellschaftung ist die Antwort auf die soziale und ökologische Frage“, sagte Vollmer – und erntete dafür tosenden Applaus vom jungen Publikum.
Gegenveranstaltung Die Debattenreihe von Deutsche Wohnen & Co enteignen soll die Arbeit der offiziellen Enteignungskommission ergänzen. Am Montag mitorganisiert haben Grüne Jugend und Jusos.
Themen Die vorherige Veranstaltung drehte sich um Mietenwahnsinn, die kommende behandelt die Entschädigungshöhe. Der Termin ist noch offen. (tk)
Fehler liegt im System
Diesem Optimismus stand die Vorsicht der beiden Politiker gegenüber. Der Grüne Graf warnte davor, Vergesellschaftung nicht als „eierlegende Wollmilchsau“ zu romantisieren. Es könne noch „acht bis neun Jahre“ dauern, bis die ersten vergesellschafteten Wohnungen in öffentlicher Hand seien. Zu erwarten seien Klagen und zum Beispiel Schwierigkeiten, die zu vergesellschaftenden Wohnungen in einem Kataster zu erfassen. „2030 sind die Klimakipppunkte aber bereits erreicht“, sagte er – auch dafür gab es Applaus. Gebraucht werde ein „vielschichtiges Projekt“, das sich nicht auf eine Maßnahme beschränke.
Dass innerhalb der bestehenden Organisation des Wohnungsmarkts sozialverträgliche energetische Sanierungen aber kaum möglich sind, machte der Humangeograf Sören Weißermel von der Uni Kiel deutlich. Die Politik sei „vom Investitionswillen profitorientierter Konzerne abhängig“ und habe deshalb die sogenannte Modernisierungspauschale geschaffen. Diese erlaube Vermietern, Modernisierungskosten durch 8-prozentige Mieterhöhungen auf Mieter:innen umzulagern – auch über die Refinanzierung hinaus.
Die Folge: Menschen, die sich die verteuerten Mieten nicht mehr leisten können, müssen raus – und machen so Platz für zahlungskräftigere Klientel. Verdrängung sei deshalb Resultat davon, dass energetische Sanierungen zum Geschäftsmodell gemacht wurden. Dabei würde nicht einmal geprüft, ob die verwendeten Materialien wirklich klimafreundlich seien. Und auch das Gegenteil der Luxussanierung, die „Nichtinvestition“, sei in angespannten Wohnungsmärkten rentabel – schließlich werden Vermieter:innen ihre Wohnungen los, egal in was für einem schlechten Zustand sie sind.
Besonders viel Kritik erntete das Credo der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD): „Bauen, bauen, bauen“. Denn um zu bauen, müsse in Städten wie Berlin meistens zunächst abgerissen werden, erklärte Metz von der Umwelthilfe. In Deutschland würden die abgerissenen Rohstoffe aber nicht wiederverwendet, sondern verbrannt oder gelagert. „Sanierung des Bestands ist deshalb nachhaltiger“, sagte sie – zumal Neubau auch die soziale Frage nicht löse, da zumeist Gewerbeflächen oder Luxuswohnungen entstünden.
Vergesellschaftung „essenzielle Vorraussetzung“
SPD-Mann Schulz und sein Berufskollege Graf, die beide gelobten den Volksentscheid umzusetzen, forderten schärfere Regulierungen: etwa ökologische Vorschriften für Neubauten, eine Reform der Modernisierungsumlage oder bessere Gesetze gegen Zweckentfremdung und für Milieuschutz.
Lisa Vollmer, DW & Co enteignen
Doch immer wieder mussten sie die mangelnden Kompetenzen der Berliner Landesregierung eingestehen. Vollmer von DWE schleuderte ihnen deshalb entgegen: „Würde die Vergesellschaftung konsequent durchgezogen, müssten sich Politiker auch nicht mehr rausreden, weil sie dann direkt Zugriff auf die Gebäude hätten.“
Auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen seien keine Vorreiter in Sachen energetischer Sanierung, wandte Graf ein – und stellte sich damit gegen die grundsätzliche Kritik, dass öffentlich verwaltete Wohnungen stets besser als privatwirtschaftliche seien. Doch da komme es auf dem politischen Willen an, sagte Vollmer. „Lange waren die Landeseigenen auch keine Vorreiter für bezahlbaren Wohnraum.“ Dem pflichtete Humangeograf Weißermel bei: Vergesellschaftung bilde „keinen Automatismus, aber essesenzielle Voraussetzung“ für die sozial-ökologische Transformation.
Einig waren sich Aktivist:innen und Politiker:innen darüber, dass Geld im Kampf gegen die Klimakrise nur eine untergeordnete Rolle spielen darf. Graf, der bezweifelte, dass die energetische Sanierung der vergesellschafteten Wohnungen nur über die nun wegfallende Rendite finanziert werden kann, sagte, die energetische Sanierung werde den Haushalt an seine Grenzen bringen. „Aber das muss dann halt geschehen. Wir werden die Gelder zur Verfügung stellen müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid