Klimaforscher Grimalda reist ohne Flug: Die Welt sehen, wie sie ist
Wer Flugscham ernst nimmt, muss mit Konsequenzen rechnen. Forscher Gianluca Grimalda verlor deshalb seinen Job. Er erzählt vom Reisen ohne Fliegen.
D er Wissenschaftler Gianluca Grimalda, 51, will nicht mehr fliegen – fürs Klima. Weil er deshalb nicht rechtzeitig von einer Forschungsreise in Papua Neuguinea zurückkam, feuerte ihn das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die taz begleitet ihn auf seiner Reise per Schiff, Bus und Bahn zurück. Er berichtet telefonisch, was ihn unterwegs beschäftigt.
Seit knapp einer Woche warte ich in Jakarta auf den Bus, der mich Richtung Singapur bringen wird. Wenn ich durch die Stadt fahre, sehe ich die Armut, in der viele Menschen hier leben. Ich laufe durch Stadtviertel, in denen Menschen auf wenigen Quadratmetern in selbst gebauten Hütten leben, mit begrenztem Zugang zu fließendem Wasser. Langsam reisend sehe ich die Welt um mich herum klarer.
Eines meiner eindrücklichsten Reiseerlebnisse hatte ich 2011 in der Nähe der Stadt Hội An in Vietnam. Ich ging mit einem Führer durch die Felder außerhalb der Stadt, als ich auf einem Feld viele kleine rote Punkte sah. Auf dem Feld arbeitete eine ältere Frau, sie trug einen geflochtenen Kegelhut. Ihre Aufgabe war es, die Ziegel auf dem Feld zu drehen, damit sie in der Sonne trocknen konnten. Zwölf Stunden am Tag. Für einen Lohn von etwa 5 Dollar. Kaum genug für drei Mahlzeiten.
Erst dachte ich, dass ein westliches Unternehmen hinter dieser Ausbeutung stecken muss. Aber dann sagte sie uns, dass sie für einen lokalen Unternehmer arbeitete.
Ich will mit dieser Geschichte nicht die reale Ausbeutung von Arbeiter:innen im Globalen Süden durch westliche Konzerne relativieren. Aber die Begegnung hat mir gezeigt, dass die Realität oft komplizierter ist als die Schablonen, in denen wir denken.
Im Italienischen sprechen wir von sorvolare, überfliegen. So empfinde ich das Reisen mit dem Flugzeug. Langsam reisen ist für mich dagegen eher volare. Fliegen. Mit offenen Augen für jeden Ziegelstein, jedes Palmenblatt, jeden Menschen auf meinem Weg.
In weiten Teilen unserer Gesellschaft denken wir bis heute, schneller sei gleich besser. Auch die Klimakrise ist ein Produkt dieser Ideologie. Stück für Stück versuche ich, sie mir abzutrainieren. Wenn ich langsam reise, sehe ich die Ungerechtigkeit, aber auch die Schönheit der Welt um mich herum. Ich sehe die Welt, wie sie ist.
Protokoll: Mitsuo Iwamoto
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