Klimaexperte für weltweiten Kohlendioxidhandel: "Wir regulieren zu viele Details"
Der Ökonom und Klimaexperte Ottmar Edenhofer fordert ein weltweit lückenloses Emissionshandelssystem - und mehr Investitionen in grüne Technologien.
Jahrgang 1961, ist Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels an der TU Berlin und stellvertretender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er ist einer der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates IPCC und berät Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Fragen der globalen Klimapolitik.
taz: Herr Edenhofer. Sie sind Ökonom: Wo stehen wir in dieser Weltwirtschaftskrise? Ist das Schlimmste schon vorbei?
Ottmar Edenhofer: Der ganz große Crash ist uns zum Glück bisher erspart geblieben. Aber für eine Entwarnung ist es viel zu früh. Gerade für die deutsche Wirtschaft könnten sowohl die Exporte als auch die Inlandsnachfrage weiter einbrechen.
Und wie sehen Sie als Experte für das Weltklima die aktuelle Lage? Das Thema hat gerade wenig Konjunktur.
Dabei geht es beim Klimawandel um das größere Problem. Das anvisierte Ziel, die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen, um den Klimawandel beherrschbar zu machen, ist nach Einschätzung vieler Klimaforscher noch viel zu lasch. Aber selbst um das zu erreichen, müssten die Emissionen weltweit bis 2050 um mindestens 50 Prozent sinken. Das wird eine riesige Herausforderung. Wenn es gelänge, das Maximum der weltweiten Emissionen bis 2020 zu erreichen, müssten wir die Emissionen dann jedes Jahr um etwa 2 bis 3 Prozent pro Jahr zu reduzieren. Für so einen solchen Prozess gibt es kein Vorbild in der Wirtschaftsgeschichte. In der Klimaforschung mehren sich sogar die Stimmen, die Emissionen bis 2050 sogar um 75 Prozent zu reduzieren, um das 2-Grad-Celsius-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 75 Prozent erreichen zu können.
Sind Sie derzeit also eher als Klimaexperte gefragt oder als Ökonom?
Es geht nicht um entweder oder. Wir müssen beide Krisen gleichzeitig lösen. Die Gelegenheit dafür ist ja günstig. Jetzt nehmen die Staaten weltweit Billionen Euro oder Dollar in die Hand, um die Konjunktur zu stützen. Und es gibt keinen ökonomischen Grund, diese Programme nicht ökologisch auszurichten. Im Gegenteil. Mein Freund und Kollege Nicholas Stern aus London und ich haben konkrete Vorschläge gemacht und sie den G 20 vor ihrem Treffen in London vorgelegt.
Was haben Sie denn den Mächtigen der Welt empfohlen?
Wir waren sehr bescheiden und haben gefordert, dass jeder fünfte Euro oder Dollar aus den Konjunkturprogrammen der einzelnen Staaten in grüne Technologie investiert werden soll. Derzeit sind es im Schnitt 15 Prozent. Dabei sollen sich die Regierungen auf insgesamt sieben Schlüsselbereiche konzentrieren. Zunächst geht es um wirtschaftlich schnell wirksame Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz, wie zum Beispiel Kredite für Hausbesitzer und Unternehmen, die in sparsamere Technik investieren. Aber auch strengere Verbrauchsstandards für Fahrzeuge und die Förderung des Schienenverkehrs gehören dazu. Dann sollten die Staaten in Infrastruktur investieren, also Stromnetze, öffentliche Verkehrsmittel, aber auch Pipelines für Kohlendioxid investieren.
Wofür brauchen wir die?
Für die CCS-Technologie, also die Abscheidung von Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken, seine Lagerung und unterirdische Speicherung. Wir fordern auch, dass der Staat in Versuchskraftwerke mit dieser Technik investiert.
Damit machen Sie fossile Energieträger aber noch über Jahrzehnte salonfähig. Außerdem ist noch nicht klar, ob diese Technik funktioniert und wir uns nicht langfristig ein neues Endlagerproblem schaffen.
Es gibt Risiken, keine Frage. Aber ich bin auch Realist - die Kohle ist das Umweltproblem des 21. Jahrhunderts. Wenn wir jetzt den schnellen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern fordern, dann werden wir Russland, China und Indien, aber auch die USA für ein internationales Abkommen verlieren. Denn dann entwerten wir die Kohlevorkommen, die weltweit noch für 600 Jahre reichen und relativ billig gefördert werden können. Außerdem können wir CCS auch für Biomassekraftwerke nutzen und damit der Atmosphäre sogar wieder Kohlendioxid entziehen. Wir werden das bald tun müssen, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen.
Biomasse ist doch ebenfalls hochproblematisch, wegen der Nahrungsmittelkonkurrenz.
Sicher, die Nutzung der Biomasse hat ihre Risiken. Aber es gibt nachhaltige Nutzungsmöglichkeiten, bei denen keine Konkurrenz zur Ernährungssicherheit auftreten muss. Wir müssen die unterschiedlichsten Wege ausprobieren und am Ende beurteilen, was funktioniert. Deshalb sollen staatliche Mittel in verschiedenste "Leuchtturm-Projekte" fließen, neben den genannten auch in solarthermische Kraftwerke oder wasserstoffbasierte Energiesysteme. Wir müssen viel ausprobieren, denn wir werden viele Technologien im Kampf gegen den Klimawandel brauchen.
Auch die Atomenergie?
Die Kernenergie wird weltweit genutzt werden, aber der Ausbau wird sehr moderat ausfallen. Selbst wenn Länder wie China und Indien mit ihren Ausbauplänen erfolgreich sein werden, wird bis zum Jahr 2030 etwa 80 Prozent der Stromproduktion aus Kohle und Gas kommen. China und Indien, aber auch die USA werden aus der Kernenergie nicht aussteigen, wie Deutschland das vorhat.
Sollten wir dann auch den Ausstieg wieder rückgängig machen?
Es gibt jetzt keine Notwendigkeit, den Ausstieg rückgängig zu machen. Wir wären gut beraten, wenn wir uns europaweit um CCS-Kraftwerke bemühten und europaweit ein effizientes Stromnetz aufbauten, das in der Lage ist, einen hohen Anteil von regenerativen Energien zu integrieren. Da liegen die großen Herausforderungen. Der weltweite Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion wird sinken - an einer emissionsarmen Nutzung fossiler Energien, an den Erneuerbaren und an der Steigerung der Energieeffizienz führt also kein Weg vorbei.
Wenn man sich die Abschlusserklärung des G-20-Treffens in London ansieht, muss man feststellen, dass von Ihren Ideen darin nichts zu finden ist.
Keine Frage, die Reaktionen waren sehr verhalten. Man braucht schon viel politische Kraft und starke Nerven, in so einer Krise Konjunkturprogramme aufzulegen, die den Umbau der Wirtschaft fördern. Die jeweiligen Pakete haben sich in vielen Ländern, auch bei uns, in Lobby-Interessen verhakt. Und die Fragen des Weltklimas sind dann doch räumlich und zeitlich weiter weg vom Alltag der Politiker und den nächsten Wahlterminen. Die Deutschen fürchten derzeit eher den Verlust ihres Arbeitsplatzes als die Veränderung der Monsundynamik in China und Indien.
Stimmt, die Regierung muss sich gerade entscheiden, was sie mit Opel macht. Was soll sie denn tun?
Es ist keine gute Idee, wenn der Staat einzelne Unternehmen rettet. Denn damit werden oft Strukturen konserviert, die nicht wettbewerbsfähig sind. Gerade in Zeiten der Konjunkturkrise sollte sich der Staat auf genuin staatliche Aufgaben beschränken - er sollte privaten Investoren und Unternehmen nicht ihr eigenes Geschäft streitig machen.
Sie würden also Opel in den Konkurs gehen lassen, weil dann etwas Neues, Besseres entsteht?
Ich halte es auf jeden Fall für eine sehr riskante Strategie, den Strukturwandel aufzuhalten und Unternehmen unter die Arme zu greifen, die keine Strategie für die Zukunft haben.
Würden Sie das auch sagen, wenn Opel Solarzellen herstellen würde?
Nochmal: Wir wollen keine Subventionen für einzelne Firmen. Der Markt soll über den Erfolg der Unternehmen entscheiden, nicht der Staat. Der Staat soll in Infrastruktur und Pilotprojekte investieren, die Firmen sollen dann hinterherkommen.
Das klingt nach einem dritten Konjunkturpaket. Glauben Sie, dass das nach der Wahl kommt?
Wir bräuchten auf jeden Fall eines. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass wir noch im Laufe des Jahres über weitere Konjunkturpakete reden werden. Und dann ist die Frage, wie wir diese grün machen.
Eine Forderung, die Sie immer wieder erheben, ist ein weltweiter Kohlendioxidhandel bis spätestens 2020. Sie setzen also auf die Kräfte des Marktes, obwohl diese gerade die Weltwirtschaft in die Krise geführt haben.
Aber doch nur, weil es an entsprechenden klaren Regeln und Kontrollen gefehlt hat. Wir regulieren und verordnen viel zu viele Details, aber wir trauen uns nicht, die großen Pfeiler einzurammen. Dazu zählt ein Emissionshandelssystem, das die Hauptemittenten, also die EU, USA, China, Indien und Brasilien, umfasst. Und das muss möglichst lückenlos alle Sektoren einbeziehen. Wirtschaft funktioniert doch wie Kindererziehung: Es klappt am besten, wenn es wenige, aber klare Regeln gibt, die streng befolgt werden müssen. Dazwischen ist Raum für viel Freiheit und Entwicklung.
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