Klima-Protestwoche an den Universitäten: Studienfach Klimastreik
Seit Montag haben Studierende an über 80 Hochschulen zum Klimaausstand aufgerufen – und viele Dozenten ziehen mit. So etwa an der Uni Leipzig.
Also spricht Fritsche über „die Sozialpsychologie der Umweltkrise“, wirft per Beamer Verhaltensmodelle an die Wand und erklärt, warum die Bereitschaft zum Umweltschutz oft in eine persönliche Hilflosigkeit führt. „Leider gibt es auch beim Umwelthandeln eine gewaltige Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten.“ Die Studierenden nicken.
Bemerkenswert ist die Vorlesung aber auch in anderer Hinsicht. Sie ist ein Akt der Solidarität. Denn Immo Fritsche verzichtet auf seine reguläre Vorlesung, damit der Raum entsteht für ein Thema, das vielen seiner Studierenden derzeit unter den Nägeln brennt: der rasante Klimawandel und die weitgehend untätige Politik.
Seit Montag haben deshalb Studierende an mehr als 80 Hochschulen zum Ausstand aufgerufen. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Kommende Woche findet die Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt. Und für diesen Freitag haben die AktivistInnen von Fridays for Future zu weltweiten Klimademonstrationen aufgerufen. Für die Students for Future ein guter Anlass, um den Klimastreik endlich stärker an die Unis zu bringen.
Professoren solidarisieren sich mit Studierenden
Deren Ortsgruppen sind, wie in Leipzig, stark mit den OrganisatorInnen der Freitagsdemos verbandelt. Und wie die SchülerInnen erfahren auch die Studierenden an den Hochschulen breite Unterstützung. Hunderte HochschulmitarbeiterInnen haben vorab öffentlich erklärt, sich an der Aktion beteiligen zu wollen. Viele von ihnen haben sogar wie Fritsche eine thematisch passende Veranstaltung vorbereitet.
Rund 1.850 HochschullehrerInnen sind an der Leipziger Uni tätig. In dieser Woche finden mehr als 250 Veranstaltungen rund um die Klimakrise statt. 80 davon werden vom Lehrpersonal bestritten. Es gibt Seminare zu regenerativen Energien, Recycling-Workshops, Panels mit Gästen des Globalen Südens, Erfahrungsberichte von Braunkohlegegnern. Ähnlich sieht es in München, Berlin, Bonn, Bremen oder Heidelberg aus. In mehr als 40 Städten haben Studierende die Public Climate School ausgerufen, die öffentliche Klimahochschule.
Tatsächlich wird die Klimakrise aus nahezu jeder erdenklichen Fachrichtung heraus beleuchtet. An der Universität Münster stellt ein Dozent den Zusammenhang zwischen Machteliten und Klimakrise her, in Hannover stellt ein Philosoph die Frage, warum der Verzicht auf Flugreisen so schwerfällt. An der Sporthochschule Köln bespricht ein Prof die Folgen des Klimawandels für den Outdoorsport.
„Es ist echt unfassbar, was wir in so kurzer Zeit erreicht haben“, sagt Lea Knoff an der Universität Leipzig. Die 23-Jährige führt durch die Räume, die der Studierendenrat den Students for Future überlassen hat. In einem Raum sitzen Studierende vor Laptops und managen, was wo stattfinden wird. Ein Zimmer weiter lagern Transparente und andere Materialien. Im nächsten verteilen die AktivistInnen gerade Schichten: Wer übernimmt es, die Öffentlichkeit an den Uni-Zugängen über die Aktionen zu informieren? Wer betreut das Infozelt auf dem Campus? Wie viele helfen bei der Vollversammlung später im Audimax?
„Seit einem Monat sind wir hier von morgens bis abends“, sagt Knoff. Ihr eigenes Studium hat sie seit Semesterbeginn stark vernachlässigt, wie viele ihre MitstreiterInnen. „Anders wäre es nicht gegangen“, sagt Lea Knoff und erzählt, warum die Klimastreik genannte Aktion für sie so dringend notwendig ist. „Es geht darum, ein Signal zu senden.“ Erstens, dass auch die Studierenden klarmachen, dass die junge Generation die Klimapolitik der Bundesregierung nicht akzeptieren werde. Und zweitens, dass die Studierenden bereit seien, für das Klima zu kämpfen. Konstruktiv, gerne im Dialog. „Wenn es notwendig ist, legen wir aber den Unibetrieb lahm.“
Wie die Bewegung in Gang kam
Knoff – kurze Haare, Ohrringe, weiße Sneakers – war dabei, als die Entscheidung für die bundesweiten Hochschulaktion fiel. Ende September war das, als sich 120 AktivistInnen der Students for Future in Jena getroffen haben. Danach ging alles ganz schnell. Knoff und ihre KommilitonInnen gründeten Arbeitsgruppen und verteilten Aufgaben. Die Mobi-AG schickte Leute in Vorlesungen oder in Fakultätsratssitzungen, die Programm-AG nahm Kontakt auf zu Gewerkschaften, Kirchen, politischen Gruppierungen und der Stadt auf. Die Prozess-AG machte den nötigen Druck. UnterstützerInnen karrten Dutzende Sofas auf den Campus, andere spendeten kistenweise Bier. „Ein Knackpunkt war lange die Raumfrage“, erinnert sich Knoff. Als aber der Akademische Senat vor gut zwei Wochen beschloss, den Klimastreik zu unterstützen, öffneten sich die sprichwörtlich bekannten Türen. Mehrere Fakultäten erklärten zudem, in der Woche möglichst auf prüfungsrelevante Inhalte verzichten zu wollen.
Wie stark die Streikwoche manche ProfessorInnen aus ihrer Routine reißt, kann man an Jörg Zabel beobachten. Der 51-jährige Professor für Biologiedidaktik gibt normalerweise Seminare für Lehramtsstudierende, begleitet diese auch an Schulen. Doch an diesem Montag macht Zabel etwas, was er seit Jahren nicht mehr getan hat. Er besucht die Vorlesung eines Kollegen: „Klimagerechtigkeit und Rechtsphilosophie“, lautet der Titel. Gefallen habe ihm, wie offen der Kollege mit den Studierenden diskutiert habe.
Lea Knoff, Studentin der Eriehungswissenschaften
Zabel gehört zu den Professoren, die den Streikaufruf der Students for Future unterschrieben haben. Die Studierenden hätten eines Tages an seiner Bürotür geklopft und gefragt, ob er den Hochschulstreik nicht mit einer Klimavorlesung unterstützen wolle. „Das kam mir so verbindlich und konstruktiv vor, dass ich sofort zugesagt habe“, erinnert er sich. Am Mittwoch nun erzählt Zabel seinen Lehramtsstudierenden, dass sie später an sächsischen Schulen auch für Umweltbildung zuständig sind.
Dennoch kann Zabel nachvollziehen, dass nicht alle seiner KollegInnen die Aktion unterstützen. Die Fakultätsratssitzung hätten die Students for Future verpasst. Manche reguläre Veranstaltungen seien lange geplant und ließen sich nicht so einfach verschieben.
Auch Zabel lässt nicht alle seine Veranstaltungen fallen. „Meine Studierenden haben diese Woche Praktika in der Schule. Das kann ich den Schulen nicht zumuten, dass wir diese Woche den Unterricht platzen lassen.“
Immo Fritsche hat Verständnis für beide Seiten. „Für viele klingt Streik erst mal abschreckend“, sagt der Professor nach seiner Vorlesung zur Sozialpsychologie der Umweltkrise. Außerdem sei die Klimawoche für viele Kollegen sehr kurzfristig gekommen. Dennoch hält er die Aktion der Studierenden für angebracht. „Es geht auch darum, in der Wortwahl auf eine Ausnahmesituation aufmerksam zu machen.“ Der Appell der Studierenden, die Hochschulen müssten sich der Klimakrise annehmen, sei richtig. „Ich forsche seit den 1990ern zur Frage, warum Gesellschaften nicht umweltfreundlich handeln. Nun ist es an der Zeit, die Rolle der Politik stärker in den Fokus zu nehmen.“
Nicht alle Studierenden stehen hinter der Aktion
Dennoch ist nicht alles pure Harmonie in Leipzig. Da sind einerseits diejenigen, die bei der Klima-Aktion nicht mitmachen. „Bei uns in der Fachschaft haben wir dazu eine kritische Meinung“, sagt Katharina Dziurla. Sie studiert im siebten Semester Wirtschaftswissenschaften, sitzt im Fach- und im Fakultätsrat. Die Dringlichkeit der Klimakrise würden sie bei den Wirtschaftswissenschaften auch sehen, sagt Dziurla. Den Ausfall von Lehrveranstaltungen wollten sie dafür aber nicht in Kauf nehmen. „Wir haben auch ein Problem mit den Students for Future“, sagt sie. Die Gruppe stehe ihr politisch auch zu links. „Die Uni soll doch politisch neutral sein.“
Vielen Studierenden ist die Klima-Aktion andererseits nicht radikal genug. Von „Lippenbekenntnissen“ ist da die Rede. Nach langen Diskussionen hat die studentische Vollversammlung am Montagabend ihre Forderungen an die Hochschulleitung beschlossen: So solle die Universität Leipzig nicht nur „konkrete Ziele“ zur Herstellung von Klimagerechtigkeit formulieren, sondern auch die Studierenden von ihrer Anwesenheitspflicht entbinden. Kommt die Hochschule den Forderungen nicht nach, behalten sich die Studierenden vor, entsprechende Lehrveranstaltungen „kollektiv zu verhindern“ – so wie an der TU Dresden, wo seit Montagmittag das Audimax besetzt ist.
Die Leipziger Hochschulleitung hält sich unterdessen bemerkenswert bedeckt. Am Montag verschickt sie eine Pressemitteilung, in der Rektorin Beate Schücking von einem „großen Tag für unsere Universität“ spricht. Allerdings bezieht sie sich nicht auf den Start der Public Climate School und das politische Engagement ihrer Studierenden – sondern auf die Bewilligung neuer Forschungsgelder.
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