Kleinstadtleben in Deutschland: Letzte Ausfahrt vor Polen
Eine kleine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern kämpft um ihre Schule und um ihr Bestehen. Soll man Orte wie Penkun fördern oder aufgeben?
I n der Stadt Penkun ist es so: Es sind nicht mehr so viele da, aber weitergehen muss es trotzdem. Das Schloss braucht einen neuen Investor, die Alten den kleinen Laden am Marktplatz, den sie hier immer noch Konsum nennen. Und was wäre eine Stadt ohne Schule?
Nix. Ohne Schule wär der Ort tot, sagt Bernd Netzel. Schließe die Schule, dann gehe „der Rest auch hopp“. Zuerst die Familien, dann der Konsum, der Bäcker und schließlich die Vereine. Netzel schaut aus dem Fenster seines Büros. Drüben steht ein brauner Klotz, mit grauem Dach und ein paar Bäumchen im Hof. Das ist die Regionalschule, 5. bis 10. Klasse. Netzels Sorgenkind.
29 Jahre war Bernd Netzel Bürgermeister (FDP) von Penkun, ehrenamtlich, seit der Wende bis hinein in den letzten Sommer. Jahre, in denen Netzels Bürstenhaarschnitt grau wurde und die Stadt sich leerte. In denen er sich für den Erhalt der Schule abmühte. Vielleicht vergeblich.
Rund 100 Schüler besuchen die sieben Klassen der Regionalschule, eigentlich zu wenig. Seit Jahren erteilt das Land immer wieder Ausnahmeregelungen, damit hier der Unterricht stattfinden kann. Das Dach ist undicht, die Fenster ebenso. Die Klassenzimmer tragen die Patina der 1960er Jahre. Es riecht nach alten Gardinen. Neu sind hier nur die neonfarbenen Turnschuhe der Kinder.
Eine Sanierung würde mehrere Millionen Euro kosten. Geld, das die Stadt nicht hat. Geld, das vom Land und vom Bund kommen müsste. Mehrere Millionen für die Rettung einer Schule und einer Stadt im Nirgendwo. Lohnt das?
Man nennt sie „abgehängte Region“
Die letzte Ausfahrt vor Polen, das ist Penkun. Aus der Ferne erinnert die Stadt an eine einsame Insel, die es irgendwie in den äußersten Osten Mecklenburg-Vorpommerns verschlagen hat. Drei Seen, in der Mitte eine Kleinstadt. Rund 1.700 Menschen leben hier, zählt man die vier nahen Dörfer dazu; früher waren es mal fast doppelt so viele. Vor der Wende. In 30 Minuten ist man mit dem Auto in Stettin. Nach Schwerin, der Landeshauptstadt, sind es knapp drei Stunden. Der nächste Bahnhof ist zehn Kilometer entfernt. Alles scheint hier weit weg zu sein, versteckt hinter braunen Winterfeldern und Nadelwald.
In Studien zur ländlichen Raumentwicklung tauchen Orte wie Penkun oft dort auf, wo es um abgehängte Regionen geht. Meist liegen diese im Osten von Deutschland, irgendwo abseits der Autobahn. Gemeinsam ist ihnen nicht nur die Örtlichkeit, sondern auch die Umgebung. Plattes Land, viel Platz. Und die Gesamtlage: Strukturschwach ist ein Wort, das diesen Regionen anheftet wie ein unliebsames Etikett, das man auch nach viel Rubbeln nicht loswird.
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat berechnet, dass bis 2035 vermutlich nur noch 1,4 Millionen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern leben werden. Rund 500.000 weniger als zu Wendezeiten.
Eine weitere Studie der Forscher zeigt: Wo Menschen verschwinden, da gerät die Grundversorgung ins Rutschen. Wo niemand lebt, investiert auch keiner. Zurück bleibt die Randlage. Schon heute sind die Menschen in diesen Regionen rund drei Jahre älter als in den Städten. Die Einkommen niedriger, die Busse fahren seltener bis gar nicht. Die Schulwege sind weiter und die Menschen öfter ohne Job. Was also tun mit diesen Orten?
Unwirtschaftliche Regionen müsse man finanziell aufgeben, riet jüngst eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, und dort investieren, wo es sich lohnt: in den Zentren, den Städten. Schwerin, nicht Penkun.
Gleichwertige Lebensverhältnisse
„Die Politik und die Öffentlichkeit müssen akzeptieren, dass es gerade die Städte in Ostdeutschland sind, die die wirtschaftliche Konvergenz Ostdeutschlands voranbringen können“, schreiben die Forscher.
Die Bundesregierung hält dagegen. „Unser Ziel sind gleichwertige Lebensverhältnisse im urbanen und ländlichen Raum in ganz Deutschland.“ So steht es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Bis 2021 sollen 12 Milliarden Euro fließen. Geplant ist der Ausbau von Breitband und die Schließung von Funklöchern mit 5G. Mehr Busse und Bahnen, auch abseits der Zentren, und die Förderung von Bildung, Tourismus, Wirtschaft und Ehrenamt.
Heimatminister Horst Seehofer tourte im letzten Jahr durch Deutschland. „Ich möchte nicht nur mit Geld, sondern auch mit Strukturen unterstützen, um die Regionen Deutschlands noch stärker zusammenbringen. Deshalb bin ich auf Deutschlandreise.“ So steht es auf der Seite des Ministeriums. Im Januar initiierte die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine neue Kampagne für ein besseres Leben auf dem Land. Der Titel: #Dorfkinder. Mittelpunkt sind Fotos von Kindern, die in blühenden Getreidefeldern stehen. Sie lächeln. Von abgehängten Regionen ist wenig zu sehen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Was also tun mit diesen Orten? Aufgeben oder fördern? Was braucht ein Ort zum Überleben? 5G, eine Bushaltestelle oder mehr Touristen? Oder, wie in Penkun: einfach eine Schule?
„Das kriegen wir hin“
Fragt man Bernd Netzel nach seinem Lieblingsort in Penkun, sagt er: „Irgendwo draußen, mit dem Hund.“ Nach Feierabend geht er oft ein Ründchen um den See. Das passt irgendwie. Netzel ist keiner, der gerne die Füße stillhält.
An diesem Januarmorgen sitzt er in seinem Büro, im zweiten Stock eines neuen Klinkerbaus. Die Straße runter geht es zur Kirche und zum Markt, auf dem ein paar alte Linden dem Winter trotzen. Viele Fassaden sind hier bunt, mehrere Läden stehen leer. Die ehemalige Fleischerei, ein Blumenladen. Nur die Apotheke ist voll. Der durchschnittliche Penkuner ist zwischen 55 und 65 Jahre alt.
Netzel hat keinen Kaffee mehr und bringt stattdessen Früchtetee. Das Büro hat der 63-Jährige noch aus Zeiten seines Amtes. Früher lenkte er hier die Geschicke der Stadt. In einer hellen Holzvitrine, im unteren Fach, liegt noch der Schlüssel der Stadt Penkun. Ein goldenes Unding, so lang wie ein Unterarm.
Heute leitet Netzel hier einen Fahrservice mit 14 Autos, die in Penkun den öffentlichen Nahverkehr ersetzen. Die Stadt ist nicht gerade ein Verkehrsknoten. Der Bus kommt etwa einmal die Stunde. Wer zwischendurch zum Arzt muss, der ruft bei Bernd Netzel an. „Netzel“, meldet er sich knapp zur Begrüßung und schiebt ein „Das kriegen wir hin“ hinterher. 29 Jahre als Bürgermeister sind nicht einfach vorbei, die klingen nach.
Schaut man sich Netzels Bilanz an, dann könnte man sagen, er war ganz erfolgreich in den letzten Jahrzehnten. Er hielt Büttenreden im Karnevalsverein und überreichte Blumen zum runden Geburtstag. Ließ eine Kanalisation bauen, eine neue Grundschule und ein Gewerbegebiet. Er öffnete die Stadt für junge Familien aus dem nahen Polen und feierte Erfolge mit dem Penkuner Fußballverein. Landesliga, 2003.
Kurz, er hielt Penkun fern vom Niedergang, trotz ständiger Löcher im Haushalt, der Jungen, die es in die Städte zog, und der Randlage. „Mir ging es immer um die Stadt, um die Menschen“, sagt Bernd Netzel jetzt. „Auch wenn es nicht immer einfach war.“
Wenn keiner hilft
Er weiß: Stadtentwicklung ist auch der Kampf um Standortvorteile, um Zuzügler und Steuereinnahmen, um eine belebte Stadt. Und den droht Penkun gerade zu verlieren. Die Stadt hat rund 4 Millionen Euro Schulden. In den letzten fünf Jahren wachte ein Sparbeauftragter des Landes über den Haushalt. Der setzte ein Ultimatum: Entweder man spare Gelder ein, oder die Regionalschule müsse schließen. „Eine Katastrophe“, sagt Netzel. Denn ohne diese Schule, sagt Netzel, könne der Ort einpacken.
Die Grundschule von Penkun geht nur bis zur 4. Klasse, danach ist Schluss. Netzel befürchtet, dass Eltern woanders hinziehen, wenn die weiterführende Schule dichtmacht.
Das Problem mit der Regionalschule ist nicht neu. Bereits seit 2002 läuft die Schule nur noch mit Ausnahmegenehmigung. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Kinder hier halbiert. Die Klassen sind eigentlich zu klein, um die Kosten für Lehrer, Strom und Wasser zu rechtfertigen. Trotzdem gelang es Netzel immer wieder, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es gab Zeiten, da klapperte er mit einem Kleinbus die benachbarten Dörfer im nahen Brandenburg ab, um die Schüler zum Unterricht zu bringen. „Wenn dir keiner hilft, hilf dir selbst“, sagt Netzel. Es klingt nicht trotzig, wie er das sagt, eher stolz. Das könnte jetzt nicht mehr reichen.
Denn wer schickt sein Kind schon auf Dauer auf eine Schule, in die es hineinregnet?
Von außen ist der Verfall nicht zu sehen. Groß und grau steht die Schule da, auf dem Hof stehen Jugendliche zusammen. Manche sprechen polnisch. Erst wenn man richtig hinschaut, sieht man den „Sanierungsstau“, wie Netzel es ausdrückt. Löcher in den Fenstern, eine Aula, die noch Original 1950er Jahre ist, und ein undichtes Dach.
Der Plan: Zusammenlegung
Um die Schule zu retten, hat die Stadt einen Plan gefasst: die Zusammenlegung von Grund- und Regionalschule. 100.000 Euro für Strom und Unterhalt sollen so jährlich eingespart werden. Das Problem ist, eine Zusammenlegung würde 7 bis 9 Millionen Euro kosten, das hat eine Machbarkeitsstudie ergeben. Geld, das Penkun nicht hat, aber irgendwie aufbringen muss. Geld, das nur fließt, wenn sichergestellt ist, dass die Schule auch in ein paar Jahren noch besteht. Nur: diese Bestandsgarantie gibt es nicht.
Bis 2022 sei die Schule gesichert, danach werde erneut geprüft, heißt es aus dem Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern. Der ernüchternde Zwischenstand: Weder ist klar, ob die Schule nach 2022 weiterbestehen wird, noch, wer den gewünschten Umbau finanzieren soll.
Dazu kommt: Die Regionalschule in Penkun ist nicht nur schlecht ausgelastet und hat ein undichtes Dach, sie hat Konkurrenz bekommen.
Rund 30 Kilometer nördlich von Penkun, in der Stadt Löcknitz, 3.300 Einwohner, entsteht in diesen Tagen ein neuer Schulcampus. In den nächsten Jahren sollen 17 Millionen Euro in das Projekt fließen. Das Geld kommt aus Töpfen von Land, Bund und EU. Eine neue Schule für 1.000 Kinder. Löcknitz wächst, vor allem durch den Zuzug von polnischen Familien, die vor den hohen Mietpreisen in Stettin in deutsches Randgebiet flüchten.
Warum also in Penkun investieren? In eine Schule für 122 Kinder, deren Schülerzahlen seit Jahren stagnieren? In eine Stadt, die noch nicht mal eine Eisdiele hat?
Der andere Plan: Umbau
Erklären will das Eckart Rothe, Penkuner, Tischlermeister und seit elf Jahren Mitglied im Stadtrat. Er ist neben Bernd Netzel einer der größten Unterstützer der Regionalschule in Penkun. Am Telefon schlägt er vor, sich auf einen Kaffee am Marktplatz zu treffen. Das Café ist nicht zu verfehlen, es ist das einzige in der Stadt. Zwei ältere Damen servieren in weißen Kittelschürzen Mittagstisch und warme Getränke. „Kremtorte und Kaffe“ drei Euro.
Durch eine Schiebetür betritt man einen Gastraum, der hier Kaffeestube heißt, und gerät in eine Welt aus Stickdecken und alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Stadt. An einem kleinen Tisch sitzt Rothe, nebenan ein paar Damen, die die Krankheiten von Freunden und Bekannten durchgehen. Rothe, ein schmaler Typ um die 50, hat ein dünnes Heft dabei. Darin verzeichnet sind die Pläne für den Umbau der Regionalschule. Rothe blättert durch die Seiten, zeigt Fachräume für Musik und Kunst, eine Mensa und das neue Gebäude für die Grundschüler.
Spricht Rothe über das Bauprojekt, scheint es, als wäre der erste Spatenstich bereits beschlossene Sache. „Das Projekt ist meine private Obsession“, sagt er. Und weil er die gerne teilt, schlägt er vor, die Schule doch mal anzuschauen. „Das Gebäude ist einzigartig im Osten.“
Auf dem Weg zum Auto läuft er an einem hellen Eckhaus vorbei, an der Außenwand hängt ein Praxisschild. Eine junge Frau, die aus Polen kommt und in Penkun als Allgemeinärztin praktiziert. „Weil es hier so schön ist“, sagt Rothe. Das Haus gehört ihm. Er hat es vor Kurzem sanieren lassen, auch die Praxis. „Damit die Ärztin bleibt.“ Er hofft, dass sein Plan aufgeht.
Deutschlandweit machen Schulen dicht
In der Schule angekommen, geht Rothe direkt auf die alte Wendeltreppe zu, die die beiden Stockwerke verbindet. Er schaut nach oben. Sein Blick ist fast verträumt. „Ist das nicht schön?“ Abbauen könne man immer, sagt Rothe. Aber eine Schule wiederaufbauen? Das sei schwierig.
Er klettert die Stufen hoch, durch die Fenster kann man die Hühner im Nachbargarten sehen, läuft durch lange Flure, die in grellen Orangetönen gestrichen sind. An den Wänden hängen Bilder der ehemaligen Schüler, Klassen, deren Stärke man an einer Hand abzählen kann, grinsen in die Kamera.
Nicht nur Netzel, Rothe und Penkun kämpfen um eine Schule. Deutschlandweit machen Schulen dicht. Besonders betroffen ist der Osten des Landes, die deutschen Randlagen. Zwischen 2004 und 2016 schlossen hier 31 Prozent der öffentlichen Schulen. Das zeigt eine Studie des Thünen-Instituts in Braunschweig. Nicht immer muss das Ende einer Schule automatisch das Ende einer ganzen Stadt bedeuten. Trotzdem gehe etwas verloren. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler des Berlin-Instituts in einer Studie. „Die Schule gehört wie der Kaufladen, die Kneipe, die Post oder das Amt zu den Basisdiensten des Gemeinschaftslebens.“ Und warnen: „Alle anderen Probleme des Bevölkerungsschwundes verschärfen sich mit der Schließung einer Schule.“
Irgendwo an den orangenen Wänden ist auch Rothe verewigt. In einem Wandbild seiner damaligen Kunstklasse. Er ist hier zur Schule gegangen, seine Tochter ebenso. Die Regionalschule ist für ihn nicht nur ein Kostenfaktor, sie ist vor allem ein Stück Erinnerung. Ein neue Ausstattung, hofft Rothe, locke nicht nur junge Lehrer, sondern auch Familien in die Stadt.
Rückkehr aus der Großstadt
Eine, die ihre Kinder in die Regionalschule schickt, ist Mandy Netzel. Blond, Anfang 40 und Tochter von Ex-Bürgermeister Bernd Netzel. Nach Feierabend sitzt sie bei ihrem Vater im Büro, ihre jüngste Tochter hockt bei Opa auf dem Schoß. Sie machen Quatsch. Er und der „Sonnenschein“, wie Netzel seine Enkelin nennt. Weil Mandy Netzel nach ihrer Ausbildung zur Steuerfachgehilfin keinen Ausbildungsplatz fand, verließ sie Penkun. Sie landete in Starnberg, in Bayern. Schön sei es da gewesen, sagt Netzel. Aber auch weit weg. 2006 kam sie mit ihrem ersten Kind zurück. Heute arbeitet sie in dem Steuerbüro, in dem sie ihre Ausbildung machte.
Touristisches Zentrum mit Alpenpanorama gegen Penkun, die Stadt ohne Eiscafé, in der von den 20 Läden vor der Wende noch eine Handvoll übriggeblieben sind. Der größte ist ein neuer Penny am Ortseingang. War die Rückkehr die richtige Entscheidung, Frau Netzel?
„Das hier ist mein Zuhause.“ Mittlerweile hat sie zwei weitere Kinder, hat zwei Häuser in Penkun gebaut und kann sich nicht mehr vorstellen, noch mal woanders zu wohnen. Berlin? Niemals, sagt Mandy Netzel. Da sei es ihr zu dreckig und die ganzen Menschen erst. „Da fahr ich nur zum Shoppen hin.“
Und mit einem Mal kommt es einem so vor, als sei hier das Zentrum, nicht dort draußen, hinter den Winterfeldern.
Auch ihre beiden Geschwister ziehe es wieder in die Region, erzählt Mandy Netzel. „Die sind damals auch weg“, sagt Bernd Netzel. „Die haben keine Lust mehr auf Großstadt.“ Er wirkt ganz zufrieden damit.
Ab und zu fehle ihr schon was, gibt Mandy Netzel zu. Es sind Kleinigkeiten. „Ein nettes Café.“ Und für jede Kugel Eis in den nächsten Ort zu fahren sei anstrengend. „Die Fahrerei nervt.“
Stunden im Auto, befürchtet sie, die mit einer Schließung der Regionalschule noch mehr werden könnten. Mit dem Auto brauche man 30 Minuten zum neuen Schulcampus nach Löcknitz, erzählt Mandy Netzel. Mit dem Schulbus vermutlich länger. Fahrzeit, die Mandy Netzel ihren Kindern gerne ersparen würde.
Kein Eiscafé, aber eine Schule
Stunden im Bus, das ist für viele Kinder in den deutschen Randlagen Alltag. Wenn Schulen schließen, werden auch die Fahrzeiten für Kinder länger. In Mecklenburg-Vorpommern gelten 60 Minuten für ältere Schüler als „zumutbar“. So steht es in einem Gesetz, das den komplizierten Namen Schulentwicklungsplanverordnung trägt. Nur: wer länger in die Schule braucht, der ist auch unkonzentrierter. Das haben Studien herausgefunden. Müde Kinder aus den Randlagen gegen gut konzentrierte aus den Zentren. Ist das fair?
Wir müssen uns für Bildung einsetzen, sagt Bernd Netzel. Was er meint: Penkun braucht vielleicht kein Eiscafé, aber eine Schule schon. Trotzdem sind Vater und Tochter gegen eine Zusammenlegung der Schulen.
Sie wegen der Kinder: „Die Großen zusammen mit den Kleinen, das ist keine gute Idee.“ Er wegen der Kosten. „Wir können uns noch nicht mal den Eigenanteil leisten“, sagt Netzel senior. Und wenn es eine Förderung gäbe, dann würde der Umbau mehrere Jahre dauern. Zu lange, fürchtet Bernd Netzel: „Dann ziehen die Familien woandershin.“ Wenn es nach ihm ginge, würde die Regionalschule einfach ein neues Dach bekommen, eine neue Ausstattung und fertig.
Anders sieht das Antje Zibell, Netzels Nachfolgerin im Amt. Sie empfängt in einem Sitzungsraum neben Netzels Büro. „Ich hab hier im Haus ein kleines Kabuff, aber bin eh immer unterwegs“, kommentiert sie den Mangel eines Büros. Bernd Netzel hat nicht nur den goldenen Schlüssel behalten.
Was fehlt, ist Geld
Zibell trägt die braunen Haare kurz, ist energisch, redet schnell und eindringlich, das Amt der Bürgermeisterin (CDU) passt gut zu ihr. „An das neue Konzept für die Regionalschule lasse ich keine Luft“, sagt sie. Über die Möglichkeit, dass die Stadt das Geld für die Zusammenlegung nicht bekommt, will sie gar nicht erst reden.
Lieber spricht sie von der Zukunft Penkuns als Speckgürtel Stettins. Sie hofft auf das Wachstum der anderen, um selber zu wachsen. Von der Randlage zurück ins Zentrum. „Wir planen neues Bauland.“ Für junge Familien, die nach Penkun ziehen.
Zibell hofft auf Zuzug, nicht nur wegen der Schule, auch wegen der Finanzen der Stadt. Kommunen erhalten Gelder aus dem Länderfinanzausgleich. Der Betrag richtet sich nach den Einwohnern, und wo weniger leben, fließt auch weniger Geld.
„Ich hätte gerne mehr Geld, um die Stadt zu unterstützen“, sagt Zibell. Die Stadt und ihre Bewohner, die einspringen, wo der Staat fehlt. Denn auch das ist Penkun: nicht nur ein Beispiel für Engagement, sondern auch für Menschen, die ehrenamtlich Aufgaben bewältigen, die der Staat erledigen sollte.
20 Vereine gibt es in Penkun. Darunter sechs Angelvereine, einen Club für Hühnerzüchter und einen sehr erfolgreichen Sportverein. Eine Bürgergruppe verabredet sich regelmäßig, um den Spielplatz zu verschönern oder die Wanderwege zu ordnen. Es gibt einen Jugendtreff, der seit den 1990ern von freiwilligen Helfern betreut wird.
Alle für Alle
Auch die kleine Stadtbücherei lebt vor allem von der Liebe zum Buch, nicht von Fördergeldern. Die zwei Räume voller Bücher liegen direkt neben Netzels Büro. Eine ältere Frau räumt Bücherstapel in Regale. Zweimal in der Woche steht sie hier. Von 9 bis 16 Uhr. „Wir haben noch 30 Leser.“ Manchmal kommt keiner, sie ist trotzdem immer da. Typisch Penkun eben. Wenn es kein anderer macht, macht man es selber.
Spricht man mit der Landesregierung über die Regionalschule von Penkun, kommt viel Positives. „Eine wunderschöne Stadt“, sagt Patrick Dahlemann am Telefon. Er ist parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern und zuständig dafür, die Randlagen wieder ins Zentrum zu holen. Die Schule in Penkun nennt er „existenziell wichtig“ für die Stadt. Die Millionen wären gut investiert, sagt er. Konkreter wird er allerdings nicht. Penkuns Zukunft bleibt ungewiss.
Im März wird das Café am Markt schließen. „Der Konsum wackelt auch“, sagt Bernd Netzel. Er hat aber schon einen Plan: Er will einen Pendelservice einrichten, vom Marktplatz zum Penny-Supermarkt. Vielleicht einmal die Woche. „Wir sind da dran“, sagt Netzel. Es muss ja schließlich weitergehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach