Kleingärtner in der Zwickmühle: „Gärten weg? So ein Dreck!“
Eine Wilmersdorfer Gartenanlage mit 100-jähriger Geschichte soll einem Schulneubau weichen. Umweltsenatorin enttäuscht Gartenfans.
Dank dieses guten Zusammenhalts gelang es den Kolonisten, quasi von jetzt auf gleich Ende Mai eine Protestkundgebung zu organisieren. Im Zweiten Entwurf des Kleingartenentwicklungsplans von Mitte April war überraschend der Block 1 ihrer Kolonie mit 19 Gärten als Baufläche der angrenzenden Schule ausgewiesen worden. 50 Menschen kamen und hielten selbst gemalte Transparente in die Luft: „Gärten weg? So ein Dreck!“
Vier Obstbäumchen, eine ungemähte Wiese mit blühendem Salbei und zwei Gemüsebeete nebst winziger Bude: Die Vereinsvorsitzende Gabriele Gutzmann hat mit nur 120 Quadratmetern wohl den kleinsten der Gärten. Sie wundert sich darüber, dass Wilmersdorf als jener Stadtteil Berlins, der in den letzten 50 Jahren mit die meisten Kolonien hergeben musste, schon wieder gefleddert werden soll. Und ist empört, dass sie erst aus der Zeitung von den Plänen des Senats erfuhr. Sofort hat sie zahllose Briefe an Politiker geschickt. Denn schließlich hat diese Gartenanlage eine 100-jährige Geschichte hinter sich und ist eine der letzten im innerstädtischen Bereich.
Citykleingärten sind selbstverständlich immer gefährdet. Besonders seit die Politik auf die Nachverdichtung der Innenstädte setzt. Und da SPD und Grüne die Laubenpieper seit den 1980er Jahren als mit Gift um sich spritzende Spießer ansehen, opferten sie so manche Schrebergärten. Auch die neue Begeisterung für Gemeinschaftsgärten kam Politik und Verwaltung gelegen – denn es führte dort zu der Hoffnung, das steigende Bedürfnis nach Grün durch geringeren Flächenanspruch deckeln zu können. Das war jedoch eine Fehleinschätzung. Die Gemeinschaftsgärten mit ihren oft sehr kleinen Beeten in vom begeisterten Publikum überrannten offenen Gärten haben vielmehr den Kleingärtnern erhebliche Neukundschaft zugetrieben.
Berlin hat derzeit 70.953 Kleingartenparzellen auf 2.903 Hektar. Gegärtnert wird auf knapp 3 Prozent der Stadtfläche. Seit 1945 verloren die Berliner 50 Prozent ihrer Parzellen. 16 Prozent sind als „Dauerkleingärten“ qua Bebauungsplan geschützt.
Organisiert: Von den 878 Berliner Kleingartenkolonien sind 738 mit 66.392 Parzellen im Landesverband Berlin der Gartenfreunde e. V. organisiert. Die Verbandszeitschrift heißt Gartenfreund. 4.476 Kleingärtner ackern auf 1.429.941 Quadratmeter Bahnland. Sie sind in der Bahn-Landwirtschaft e. V. organisiert. Das Verbandsorgan heißt Eisenbahn-Landwirt. (emr)
Demo gegen den Kleingartenentwicklungsplan
Die gemeinsame Demo von – coronabedingt nur etwa 45 – Kleingärtnern und Gartenaktivistinnen samt Naturschützern vor dem Roten Rathaus zeigte es: Ein Ausbooten der Kleingärten mittels Gemeinschaftsgarten-, Radweg- oder Schulbau-Argumenten funktioniert nicht. Kleingärtner sind längst auf giftfreien Gartenbau verpflichtet. Sie haben heute auch ihrerseits die neue Leidenschaft für Klimafragen, Biodiversität, Bienen, Hummeln und Co. übernommen.
Die Demonstration richtete sich gegen den Kleingartenentwicklungsplan von Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne). Der sollte an dem Tag vom Rat der zwölf Bezirksbürgermeister abgesegnet werden. Der Plan sieht vor, dass in den kommenden zehn Jahren mindestens 473 Kleingärten dem Bau von Bildungsstätten und sogar immer noch Straßen geopfert werden sollen. Ersatzland gibt es nicht, es wurde von den Vorgängerregierungen verhökert. Parzellenteilungen sind praktisch meist unmöglich. Der Rat der Bürgermeister vertagte die Entscheidung.
Aber damit stecken die Gartenfreunde in einer Zwickmühle. Solange der Plan nicht abgesegnet ist, sind die 160 Gartenanlagen, die nur bis ins Jahr 2020 abgesichert waren, zu der auch Am Stadtpark I gehört, nicht mehr geschützt. Andererseits ist der vorliegende neue Entwurf für die Gartenfreunde sehr unbefriedigend. Es sollen viel mehr Gärten weg, als abgesprochen war, und es gab kaum gemeinsame Treffen, also keinen „umfassenden Beteiligungsprozess“, heißt es im Fachblatt Gartenfreund.
Die organisierten Kleingärtner meinen vielmehr: „Grün retten ist so wertvoll wie neues Grün schaffen!“ Sie fragen: Kann die Landesregierung nicht beispielsweise die Ausgleichsgelder, die Investoren bei der Zerstörung von Grün hinterlegen müssen, so einsetzen, dass sie damit gefährdete Gartenanlagen zu expliziten Grün-Ausgleichsflächen umwidmet?
Gartenglück mit allen zu teilen
Die Kolonie Am Stadtpark I mit ihren 119 Parzellen auf 2,7 Hektar gab sich in den letzten Jahren Mühe, ihr Gartenglück mit allen zu teilen. Eine Parzelle ist für eine Schule und einen angrenzende Kindergarten eingerichtet. Im offenen Vereins- und Lesegarten treffen sich vormittags Hundehalterinnen zum Eierlikör und abends Jugendliche. Fotoausstellungen und Feste sowie offene Gartentüren am „Langen Tag der Stadtnatur“, holten die anliegende Nachbarschaft gezielt in die Gartenanlage.
Die Kolonie war einst Teil eines Kleingartengürtels, der den Stadtpark und Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf umgab. Heute heißt der Schöneberger Teil der begrünten Eiszeitrinne Rudolph-Wilde-Park. Die Idee, die Grüne-Lunge-Funktion von Parks zu erweitern, indem man an ihren Rand Kleingartenanlagen legt, stammt aus den 1920er Jahren, als in Großstädten „volksnah“ sozial denkende Sozialdemokraten regierten und die Stadtsäckel infolge von Krieg und Inflation mager ausgestattet waren.
Einen Volkspark zu unterhalten kostet Geld. Die Kleingärtner hingegen bewirtschaften ihre Flächen selbst und bescheren den Spaziergängern Blicke auf eine Blumenwelt, die auch die tierische Artenvielfalt deutlich erhöht, wie man im Frühjahr vielstimmig hören kann. Eine geniale Idee der Weimarer Republik, wie Gert Gröning, emeritierter Prof. der Universität der Künste in Berlin, gern betont.
Die benachbarte internationale Wangari-Maathai-Schule mit dem Baubedarf hat 103 Schüler. Sie residiert in einem für sie viel zu großen Gebäude einer ehemaligen Grundschule. Es handelt sich um eine Schule im Aufbau, unter Regentschaft der Senatsverwaltung, die eine zweite Internationale Schule wünscht – ohne dabei auf die Wünsche des Bezirks sonderlich Rücksicht zu nehmen.
Nicht in ihrem Namen
Die Namensgeberin der Schule, Wangari Maathai, ist eine der berühmtesten Umweltaktivistinnen Afrikas. Zusammen mit dem Nationalen Frauenrat Kenias gründete sie 1977 die Green-Belt-Bewegung, um gegen den Klimawandel Bäume zu pflanzen. Denn ausgetrocknete Flüsse und Bodenerosion bei Starkregen schädigen Hirtinnen und Bäuerinnen, die ihre Kinder dann nicht mehr ernähren können. Die Grüngürtel-Bewegung animierte Frauen überall dazu, gemeinsam Bäumchen zu setzen, zu pflegen, später auch Baumschulen zu gründen. 14 Sahel-Staaten beteiligten sich am Green Belt Movement, weit über 50 Millionen Bäume sollen gepflanzt worden sein.
Maathai wurde 2004 als erste Frau Afrikas mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Während sie zu Diktaturzeiten der 1990er Jahre als Umweltaktivistin mehrfach inhaftiert und gefoltert wurde, wurde die Professorin für Biologie später ins Parlament gewählt und stellvertretende Umweltministerin. Sie warb weltweit für das Bäumepflanzen.
Ist es möglich, dass Maathai dem Fällen von 90 Obstbäumen zustimmen würde, damit eine zweite Schule für „hochmobile Familien“ expandieren kann? Würde sie nicht darauf hinweisen, dass die Coronakrise weltweit eine erneute Notwendigkeit von Gärten zur Selbstversorgung gezeigt hat?
Die Idee des einstigen Umweltsenators Volker Hassemer (CDU), die Zahl der Kleingärten in Berlin auf 100.000 zu erhöhen, ist aktuell wie nie zuvor. Die Regierung sollte sich an ihren Koalitionsvertrag erinnern, dem zufolge sie keinerlei Grün mehr opfern wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland