Klausurtagung der Grünen: Jürgen Trittins verzweifelter Seiltanz
Der mächtigste Grüne will Diskussionen über Schwarz-Grün oder eine Ampel unterbinden. Aber für Rot-Grün wird es wohl eng.
WEIMAR taz | Eigentlich ist Jürgen Trittin ein Meister der Scheinantwort. Will der Grünen-Fraktionschef eine Frage nicht beantworten, redet er in langen Schachtelsätzen, lenkt ab und laviert um den Kern herum. Doch manchmal scheitert selbst er in dieser Disziplin.
Trittin, 58, legt die Fingerspitzen aneinander, er steht nach der Klausurtagung der Bundestagsfraktion in einem Tagungssaal in Weimar. Woran es liegt, dass Peer Steinbrück (SPD) in Beliebtheitsumfragen abstürzt, fragt ein Reporter. Trittin sagt mit vielen Sätzen nichts, und dann beginnt ein Pingpongspiel.
Worauf führen Sie Steinbrücks Sinkflug zurück? „Auf den Jahreswechsel.“ Und worauf wirklich? „Auf Unbeliebtheit.“ Aber Sie müssen doch einen Grund nennen können? „Dafür müsste ich jetzt viel in der Presse nachlesen, was ich im Urlaub nicht getan habe.“ Aha. Der Mann, der Vizekanzler werden will, hat die Zeitungen nicht gelesen.
Der persönliche Absturz: Für den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück geht es abwärts. Das zeigen aktuelle Zahlen des von Infratest dimap für die ARD erstellten „Deutschlandtrend“. Danach käme der Sozialdemokrat bei einer Direktwahl auf 30 Prozent. Im Dezember waren es noch 39 Prozent. Für Merkel würden sich 55 Prozent entscheiden.
Wechselstimmung, adieu: Von August 2010 bis Oktober 2012 votierte eine Mehrheit der Befragten für die SPD an der Spitze einer Bundesregierung. Das ist vorbei. Im Januar sprachen sich 48 Prozent für die Union aus und nur noch 39 Prozent für die SPD. (voe)
Bei den Grünen sind die Tage des Herumdrucksens angebrochen. Sie sind fassungslos über das Agieren des Sozialdemokraten, sie fürchten, dass seine Unbelehrbarkeit einen rot-grünen Wahlsieg verhindert. Doch will niemand den Wunschpartner weiter beschädigen.
Lieber nicht über Steinbrück reden
Am Mittwoch steht eine interne Aussprache der Fraktion auf der Tagesordnung. Sofort kommen besorgte Äußerungen zu Steinbrück. Trittin und seine Kollegin Renate Künast schwören die Abgeordneten ein. Nur noch diplomatische Äußerungen, bitte lieber grüne Inhalte betonen.
So laute jetzt die Parole, erzählen Parlamentarier hinterher. Gleichzeitig zieht die Führung Brandmauern hoch. „Die SPD muss SPD-Probleme lösen, wir lösen unsere“, sagt Künast. „Wenn bei der SPD suboptimal agiert wird, kann das nur heißen, wir werben selbstbewusst für Grün.“ Bei aller Diplomatie klingt da eine gewisse Genervtheit durch.
Mit feinen Abgrenzungen wollen die Grünen vorbeugen, in einen Abwärtssog gezogen zu werden. In der Abschlusserklärung loben die Grünen vollmundig ihre Ideen zur Energiewende, zur Gleichstellung von Frauen, zu mehr Gerechtigkeit. Den Partner SPD erwähnen sie in der vorletzten Zeile, nur ein einziges Mal. Natürlich lässt sich die sozialdemokratische Misere dann doch nicht ganz von grüner Politik trennen.
So klingen Sätze in der Abschlusserklärung, in der die Grünen der Merkel-Regierung „schamlose Klientelbedienung“ vorwerfen, plötzlich hohl. Eigentlich habe man den Wahlkampf mit dem Thema Geldgier hochziehen wollen, erzählt eine Abgeordnete. „Das können wir uns doch jetzt schenken.“ Mit einem Vortragsmillionär als Kandidaten bekommt einiges einen Beigeschmack, auch wenn er formal im Recht ist.
Westerwelle ist beliebter
Zumal nun eine Umfrage erstmals belegt, dass Steinbrücks Image unter der Debatte über Kanzlergehalt oder Pinot Grigio leidet. Wenn es um die Zufriedenheit mit der Arbeit eines Politikers geht, rangiert er bei den Deutschen inzwischen hinter Guido Westerwelle. Hinter einem also, über den gerade Grüne gerne Witze machen.
Beim informellen Abendessen im Dorint-Hotel führen viele Abgeordnete eine alte Debatte, deren Neuauflage Trittin unbedingt vermeiden will. Was tun, wenn es für Rot-Grün nicht reicht? Trittin selbst zog lange mit dem Satz durch die Lande, er wolle Schwarz-Gelb „rückstandsfrei“ ablösen. Seit Monaten verkneift er sich jedoch solch absolute Formulierungen.
Anders als Künast und Parteichefin Claudia Roth hat er bisher weder eine Ampel noch Schwarz-Grün ausgeschlossen. Stattdessen betont er lieber die Gemeinsamkeit mit der SPD. Es ist ein Seiltanz: Trittin weiß, wie sensibel Partei und Wähler auf Abweichungen von der reinen Lehre Rot-Grün reagieren. Das Drama im Wahlkampf 2009 ist noch zu präsent.
Damals drängten die beiden Spitzenkandidaten Trittin und Künast ein halbes Jahr vor der Wahl auf eine Ampel als realistischste Machtoption. Ein Aufstand der Basis war die Folge, der Landesverband NRW drohte offen mit Meuterei. Der Vorstoß endete mit einer Blamage, weil Westerwelle die Ampel kassierte.
Kurz vor Trittins Auftritt auf der Pressekonferenz bekommt auch Künast eine Steinbrück-Frage. Können Sie sich einen besseren Kanzlerkandidaten vorstellen? „Mir fällt spontan keiner ein, der mir lieber wäre.“ Es spricht für Künast, dass sie nach diesem Satz selbst schmunzeln muss.
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