Klaus Wowereit über Macht: „Das hat mich irre gemacht“
In zwei Wochen tritt Klaus Wowereit zurück. Der Noch-Regierende über seine Erfolge und die Ohnmacht, den BER nicht mehr selbst eröffnen zu können.
taz: Herr Wowereit, würden die Berliner von Ihnen einen Gebrauchtwagen kaufen?
Klaus Wowereit: Einen Gebrauchtwagen und einen Neuwagen gleich dazu.
Alle Berliner?
Wer kann denn immer gleich alle erreichen?! Auch als Gebrauchtwagenhändler hat man eine bestimmte Klientel.
Sie wissen, worauf wir anspielen?
Nein.
Diese Frage ist der zweite Teil des Ihrer Meinung nach einfachsten Tests für Politiker. Zumindest haben Sie das in Ihren Memoiren „Und das ist auch gut so“ im Jahr 2007 so formuliert. Die erste Frage lautete damals: Von wem fühlen sich die Menschen im Ausland am besten vertreten?
Das habe ich beantworten müssen?
Am 16. Juni 2001 wird der bisherige SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit mit den Stimmen von SPD, PDS und Grünen im Abgeordnetenhaus als Nachfolger von Eberhard Diepgen (CDU) zum Regierenden Bürgermeister gewählt.
Bei den vorgezogenen Neuwahlen im Oktober 2001 wird die SPD mit 29,7 Prozent der Stimmen erstmals seit Jahrzehnten wieder stärkste Kraft. Ab Januar 2002 leitet Wowereit einen SPD-PDS-Senat. Nach dem Wahlsieg 2006 setzt er die rot-rote Koalition fort.
2011 scheitern rot-grüne Koalitionsverhandlungen; nach zehn Jahren darf die CDU in Berlin wieder mitregieren. Doch die Legislatur wird von wiederholten Pannen auf der Flughafenbaustelle des BER überschattet; in der SPD steigt der Druck auf Wowereit, sich vom Amt zurückzuziehen. Am 26. August 2014 gibt er bekannt, am 11. Dezember zurückzutreten. Aus einem SPD-Mitgliederentscheid geht der bisherige Stadtentwicklungssenator Michael Müller überraschend deutlich als Sieger hervor. Er soll in der Parlamentssitzung am 11. Dezember als Nachfolger Wowereits gewählt werden. (taz)
Nein, das haben Sie geschrieben.
Sie habe sich ja richtig vorbereitet auf dieses Gespräch …
Von wem fühlen sich die Berliner denn am besten im Ausland vertreten?
Was Sie scheinbar ja unbedingt hören wollen: von mir. Immerhin habe ich das gerade bei der Verabschiedung eines US-amerikanischen Diplomaten bestätigt bekommen.
Sie haben in Ihrer vorher erwähnten Biografie Willy Brandt als Ihr Vorbild dargestellt.
Willy Brandt ist für mich nach wie vor eine prägende Figur – mit seinem Einsatz über Jahrzehnte für den Nord-Süd-Dialog, für Ausgleich, er war Friedensnobelpreisträger. Das ist ein Sockel, der ist sehr, sehr hoch.
Zu hoch für Sie?
Sockel waren nie mein Ziel. Man sollte sowieso tunlichst vermeiden, sich selbst einzuordnen in historische Abläufe. Ich glaube übrigens auch nicht, dass Brandt daran gearbeitet hat, so etwas zu erreichen – das ist so gekommen, das hat er sich verdient, und das haben dann andere bewertet.
Derzeit stehen bei allen Veranstaltungen mit Ihnen die Menschen Schlange, um – um im Bild zu bleiben – einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Aber das war ja beileibe nicht immer so. Selbst vor einem halben Jahr noch – ohne dass Sie inzwischen ein anderer geworden wären.
Wenn man die dreizehneinhalb Jahre betrachtet, die ich Regierender Bürgermeister bin, gab es Aufs und Abs. Unabhängig von allen Umfragen und selbst nach den Pannen am BER war die Resonanz in der Öffentlichkeit aber nie aggressiv. Deswegen kann ich mich nicht beschweren.
Wir wollen ja heute eigentlich über Macht reden. Waren Sie mächtig – oder sind es sogar noch trotz Ihrer Rücktrittsankündigung?
Als Chef der Exekutive hat man Macht. Macht auf Zeit. Trotzdem kann man in einer Demokratie nicht machen, was man will: Man muss die Leute immer überzeugen, sie mitnehmen.
Sie sind der erste Regierende Bürgermeister, der laut Verfassung eine Richtlinienkompetenz hat, also die Leitlinien der Politik vorgibt. Hat das geholfen?
Ich sage es mal so: Wenn man eine formale Richtlinienkompetenz braucht, ist schon ein kritischer Punkt erreicht. (lacht) Und schon bevor sie eingeführt wurde, war es keine Frage, wer die Vorgaben macht.
In Ihrer Amtszeit haben Sie öfters nach der Devise agiert: Ein gutes Pferd springt nicht höher, als es muss. Brauchen Sie den Kick?
Gefordert werden ist nicht per se schlecht. Und klar, man braucht auch ab und an einen Kick.
Haben Sie diesen Kick zuletzt noch gehabt? Auf dem SPD-Landesparteitag Anfang November haben Sie die Opposition gelobt, weil sie Ihrer Meinung nach so zahm ist.
Für den Regierenden ist ja nicht nur die Opposition ein Kick, man hat ja auch noch andere Herausforderungen …
Welche denn?
Die eigene Partei zum Beispiel. Aber im Ernst: Wenn man viel Routine hat, ist die Arbeit leichter, aber das birgt auch die Gefahr, dass man zu routiniert wird – im schlechten Sinne.
Sie wurden sehr oft von der Presse mit wenig attraktiven Attributen versehen, „arrogant“ war eines der häufigeren Wörter. Wann haben Sie aufgehört, diese Texte zu lesen?
Ich lese die Texte immer noch.
Freiwillig?
Selbstverständlich. Jeden Morgen zehn Tageszeitungen. Davon lasse ich mich nicht abkriegen.
In echt oder nur im Pressespiegel?
In echt, richtig zum Blättern.
Zurück zur Macht. Wo endete denn Ihre Macht: vor den Türen des BER-Aufsichtsrats?
Die Grenzen sind durch die Verfassung von Berlin gegeben.
Das ist die Macht auf dem Papier.
Aber es ist auch so. Die müssen ausgefüllt werden. Aber nicht alles lässt sich beeinflussen. Manchmal ist man dann auch nicht mehr in der Lage, etwas durchzusetzen oder die Verantwortung zu übernehmen.
Haben Ihre Finanzsenatoren Sie sehr stark eingeschränkt in Ihrer Macht?
Nein. Ich habe sie ja bewusst ausgewählt als starke Persönlichkeiten, die auch viel auszuhalten hatten. Zwischen uns bestand immer ein Vertrauensverhältnis und dementsprechend auch nie eine Konkurrenz, in der ich mich nicht hätte durchsetzen können. Im Gegenteil. Es ist ja relativ leicht, sich als Regierender Bürgermeister gegenüber einem Senator durchzusetzen.
Was heißt denn: leicht?
Der Senator, der sich mit dem Regierenden Bürgermeister anlegt, sollte sich das gut überlegen. Aber ein guter Regierender Bürgermeister arbeitet mit Überzeugung.
Und Sie waren selbstverständlich ein guter.
Wenn Sie das so sagen … Ich hoffe, ich bin einer.
Wie zeichnet sich dieses Gute aus?
Durch Erfolge.
Welche denn?
In aller Bescheidenheit: Diese Stadt hat sich in den 13,5 Jahren enorm entwickelt. Und ich rechne der Politik dabei sehr viel zu. Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen, bundesweit die höchsten Wachstumsraten: Die Grundlage ist die positive Wirtschaftsentwicklung. Und dann ist da die innere Liberalität Berlins, als Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg. Das gebe ich auch als Mahnung mit für die Zukunft: Das darf nicht vernachlässigt werden. Diese Offenheit der Stadt, das ist unheimlich wichtig und eine Voraussetzung dafür, dass Kreativität und Kultur überhaupt gedeihen können.
Was mussten Sie denn dafür tun, dass diese Stadt so offen wurde?
Eine Haltung zeigen, auch in vielen Einzelfragen. Diese Haltung überträgt sich dann auch. Und man muss einschreiten dort, wo etwas falsch läuft. Rahmenbedingungen schaffen.
Da haben Sie doch Macht, die über den Rahmen der Verfassung hinausgeht.
Nein, das gehört zum Verfassungsauftrag dazu. Ich muss als Regierender Garant dafür sein und es von oben nach unten weitergeben.
Wie gibt man so was weiter?
Wie gesagt: durch Haltung. Das sind Dinge, die kannst du nicht einfach anordnen - die müssen gelebt werden. Deswegen ist mir ja auch so was wie die jüngste ARD-Themenwoche "Toleranz" zu wenig. Wir brauchen nicht Toleranz, wir brauchen Akzeptanz. Die muss tagtäglich gelebt werden. Dafür braucht man Vorbilder. Dazu konnte ich meinen Beitrag leisten.
Wie unterscheiden Sie die beiden Begriffe "Toleranz" und "Akzeptanz"?
Tolerieren kann ich vieles, etwas zu akzeptieren geht weit darüber hinaus. Ich kenne viele Menschen, die etwa eine unterschiedliche Lebensweise nicht akzeptieren, aber tolerieren.
Unterm Strich kommt doch das Gleiche raus.
Nein. Wenn die Akzeptanz da ist, dann ist es etwas Selbstverständliches.
Noch mal zurück zur Macht: Wo sind Sie an die Grenzen Ihrer Macht gestoßen?
Etwa beim Thema Verwaltungsreform. Man glaubt nicht, wie beharrlich in dieser Hinsicht alles sein kann. Da bräuchte man eine Verwaltungsrevolution und keine -reform. Das ist aber schwer umsetzbar.
Macht Macht abhängig? Wenn ein Spitzensportler aufhört, muss der erst mal runtertrainieren. Was macht der baldige Exspitzenpolitiker Klaus Wowereit?
Das weiß ich noch nicht. Das muss ich abwarten. Es geht ja vielen Menschen in meinen Alter so - das ist nichts Typisches für Politiker -, dass man aus dem vollen Berufsleben kommt und plötzlich viel Freizeit hat.
Aber meist aus einer 40-, nicht aus einer 80-Stunden-Woche.
Es wird nicht einfach werden. Aber ich wusste immer, es war Macht auf Zeit. Das bedeutet eben auch, dass, wenn die Zeit abgelaufen ist, die Insignien der Macht zurückgegeben werden müssen.
Viele haben ja gewettet: Der Wowereit will unbedingt den BER noch eröffnen. Auch um zu verhindern, dass der Flughafen nicht immer negativ mit Ihrem Namen verbunden ist.
Für mich ist das Entscheidende, dass er komplettiert wird und möglichst bald öffnet. Das hätte ich natürlich sehr, sehr gern noch vollendet. Da haben Sie recht.
Nach der Tempodrom-Affäre um das Veranstaltungszelt aus Beton am Anhalter Bahnhof, das statt 16 Millionen Euro schließlich doppelt so viel kostete, haben Sie im Jahr 2007 geschrieben: "Inzwischen betrachten wir solche Projekte mit größter Skepsis und Sorgfalt." Angesichts des BER-Debakels kann man das kaum glauben.
Das Tempodrom kann man überhaupt nicht mit dem BER vergleichen, weder von der Dimension noch inhaltlich. Da sind ganz andere Dinge schiefgelaufen.
Aber Skepsis und Sorgfalt bei Großprojekten, davon merkt man in Berlin doch überhaupt nichts!
Natürlich gibt es die bei jedem einzelnen Projekt. (lange Pause)
Angenommen, es gab die Skepsis beim BER wirklich: Fühlen Sie sich nicht ohnmächtig angesichts des Scheiterns?
Ohnmacht ist da das falsche Wort. Es ist schon tragisch, wenn man feststellt, dass man alle politischen, finanziellen und rechtlichen Voraussetzungen getroffen hat und etwas trotzdem nicht wie geplant klappt.
Das ist doch eine Ohnmacht: Da haben Sie alles getan, was in Ihrer Macht stand, und dann das!
Na ja, das ist auf jeden Fall eine Lage, in der man nicht mehr selber schrauben kann. Mich hat das schon ziemlich irre gemacht.
Haben Sie eigentlich gern regiert und harte Entscheidungen getroffen?
Was heißt gern? Entscheidungen müssen getroffen werden, und Prozesse müssen irgendwann zu Ende gebracht werden. Damit hatte ich keine Schwierigkeiten.
Von Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt es oft: Die entscheidet nicht. Von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder ist vor allem die Bastapolitik bekannt geblieben. Wem fühlen Sie sich denn näher?
Doch eher in der Mitte. Von Bastapolitik halte ich nichts, nicht entscheiden bringt gar nichts. Man muss bereit sein, auch in meiner Position, andere Meinungen auf jeden Fall anzuhören und in die Entscheidung einzubeziehen.
Sie galten ja immer als einsamer Entscheider.
Zuhören heißt nicht, dass man diesen Ratschlägen immer folgt. Grundsätzlich aber gilt, dass jeder ein Korrektiv braucht. Aussitzen kann auch mal erfolgreich sein, aber sicher nicht auf Dauer.
Sie haben im Jahr 2007 geschrieben: "Wenn es ein Machtsystem Wowereit gibt, dann ist Michael Müller Ehrenmitglied". Jetzt wird das Ehrenmitglied Ihr Nachfolger - und das Machtsystem Wowereit existiert weiter?
Nein. Das Machtsystem Wowereit existiert nicht weiter, weil ich ja nicht mehr dabei bin.
Sie sind ganz weg?
Ich bin ganz raus aus der aktiven Politik.
Kein Strippenziehen mehr?
Ich fand es nie sehr hilfreich, wenn Ehemalige vermeintlich gute Ratschläge gegeben haben. Aber man weiß ja nie, was alles passiert. Bei übergeordneten Themenbereichen jenseits der Tagespolitik kann ich mir sicher auch vorstellen, mal die Stimme zu erheben.
Manche haben Sie bereits als künftigen Oberolympia-Werber gehandelt.
Sicher ist denkbar, dass ich bei einer Olympiabewerbung helfe. Ich werde da keine Management-Funktionen übernehmen. Aber es ist doch selbstverständlich: Wenn ich gebraucht werde und helfen kann, dann werde ich das tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour