Klagen gegen das Jobcenter: Im Kampf mit der Willkür-Behörde
Fast 40 Prozent der Klagen gegen Hartz-IV-Sanktionen sind erfolgreich. Doch zu viele Menschen haben keine Chance, sich zu wehren.
Nicht zum Termin erschienen. Nicht genügend Bewerbungen geschrieben. Nicht erreichbar gewesen. Diesen und jenen Job nicht angetreten; all das können Gründe für das Jobcenter sein, Hartz-IV-Beziehende mit Sanktionen zu belegen. Für die Betroffenen bedeutet das: Ihr ohnehin magerer Regelsatz von 409 Euro (seit 2017, vorher 404) im Monat verringert sich für drei Monate um bis zu 30 Prozent. Damit bleiben 286,3 Euro monatlich übrig. Ein gravierender Einschnitt für Menschen, die ohnehin am Existenzminimum leben.
Einer Anfrage der Linkspartei zufolge waren 2016 durchschnittlich 134.390 Personen im Monat von solchen Maßnahmen betroffen. Für die Jobcenter kommt so ein stolzes Sümmchen zusammen. Und besonders genau nimmt man es dort mit den rechtlichen Grundlagen anscheinend nicht. Immer wieder wird der Behörde Willkür vorgeworfen. Und tatsächlich sind etwa vier von zehn Widersprüche gegen Sanktionen erfolgreich.
Der Anfrage der Linkspartei zufolge wurde 2016 etwa 37 Prozent der gegen Sanktionen eingelegten Widersprüche teils oder vollständig stattgegeben. Allerdings gehen gerade mal 4 bis 5 Prozent der Sanktionierten diesen Weg. Insgesamt legten im vergangenen Jahr 50.805 Personen Widerspruch ein.
Dass das so ist, verwundert kaum. Den Rechtsweg zu gehen erfordert Ressourcen – und zwar nicht nur finanzieller Art. Der bürokratische Vorgang ist zeitaufwendig, die Rechtslage ändert sich ununterbrochen und ist für Laien schwer durchschaubar.
Wer nicht weiß, welche Rechtsmittel ihm zur Verfügung stehen, kann sich nicht wehren. Wer keine professionelle Hilfe zur Seite hat, scheut das Bürokratielabyrinth erst recht. Anwälte kosten Geld, Verfahren kosten Zeit, für eine aufschiebende Wirkung müssen extra Schritte eingeleitet werden. Ein Luxus, den sich viele nicht leisten können, wenn sie ohnehin schon mit dem niedrigen Regelsatz zu kämpfen haben.
Ein Dilemma, das Initiativen wie „Sanktionsfrei“ erkannt haben. Die Initiative ist eine Mischung aus digitaler Beratungsstelle und Rechtshilfefonds. Sie unterstützen Betroffene dabei, gegen Sanktionen vorzugehen. Entstandene finanzielle Engpässe sollen durch Spendengelder ausgeglichen werden. „Sanktionsfrei“ will damit auch ein Zeichen setzen. Gegen Schikanen und für mehr Widerstand. Wenn man sich die Zahlen so anguckt, kann man nur sagen: Weiter so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland